„Great Reset“, oder „zurück zur Menschlichkeit“?

25. Juni 2021 in Kommentar


Ich wünsche mir aus dem kirchlichen Sprachrohr eine differenz. Sicht auf die Lage statt der einseitigen Beharrung auf bestimmten Gesundheitsinteressen und des bloßen Einstimmens in die allgemeinen Hiobsbotschaften - Kommentar von Michael Koder


Bratislava (kath.net/mk) „Ich sehe eine Welt, die von einem illusorischen Gefühl der Sicherheit getäuscht wurde, das auf dem Hunger nach Profit basiert.“ Diese (Kern-)Botschaft richtete Papst Franziskus vor wenigen Tagen an das GLOBSEC-Sicherheitsforum in Bratislava, das unter dem Motto „Rebuild the World Back Better“ stand. Er bekräftigte in seinem Appell die Notwendigkeit eines Wiederaufbaus der Welt nach der Corona-Pandemie, sprach von wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit sowie ökologischer Schuld, und reiht sich damit ein in die Diktion und den Chor jener globaler politischer und wirtschaftlicher Eliten, die einen „Great Reset“, einen Großen Neustart zugunsten bestimmter, „gesamtgesellschaftlicher“ Interessen fordern, denen sich auch die Privatwirtschaft unterzuordnen hat und die letztlich vom Staat verordnet werden sollen – kath.net hat berichtet [https://www.kath.net/news/73738].

Selbst wenn man diesem Großen Neustart und den dahinterstehenden Überlegungen etwas abgewinnen kann, so stellt er doch für gläubige Menschen nur die eine Seite der Medaille dar:

Ich sehe nämlich (vor allem) eine Welt, die von einem illusorischen Gefühl der Sicherheit getäuscht wurde, das letztlich auf einem fehlenden Sinn des Lebens und einer fehlenden Perspektive jenseits des irdischen Lebens beruht. Ich sehe eine Welt, die in Panik vor einem Virus gefangen ist, sich in die Angst verbeißt und dabei unmenschliche Maßnahmen trifft. Der Wiener Psychiater Dr. Raphael Bonelli hat unlängst von einer „kollektiven Zwangsneurose“ gesprochen, in die sich unsere Gesellschaft verstrickt habe.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Angst immer wieder neue Blüten treibt, immer neuen Treibstoff für weitere Befürchtungen findet, und daher die Corona-Verbotspolitik mehr und mehr ausgedehnt werden muss: die befürchtete zweite Welle im Herbst 2020, dann waren die Gesichtsvisiere nicht mehr genug, dann waren auch die Stoffmasken nicht mehr genug, dann sind die Mutanten aufgetaucht, dann die dritte Welle, die „3G-Regel“ … und nun wird schon von der vierten Welle im Herbst geredet, von der neuen Delta-Mutante, und selbst wenn Corona vorbei wäre, soll angeblich eine riesige Grippe-Welle drohen.
Ich leugne nicht den wahren Kern dieser Ängste und die Existenz der Mutanten. Aber es ist offensichtlich, dass sich ein bestimmter Teil der Gesellschaft und der (virologischen, politischen, medialen, kirchlichen) Elite in der Panik verrannt hat, oder sogar diese Massenpanik (unbewusst oder bewusst) schürt.

Denn als das Schüren von Panik und Spaltung ist das Verhalten der meisten gesellschaftlichen Machthaber, leider auch der kirchlichen, zu bezeichnen. Durch Verordnungen und Rahmenordnungen, moralisierende Pressekonferenzen und zahlenfixierte Angstpropaganda in Zeitungen werden wir eingeteilt in gute und böse Menschen. Die Spaltung reicht weit in die Familien und Arbeitsstätten hinein. „Wie hältst du‘s mit Corona?“, das ist leider für viele, vor aller Freundschaft, zu einer der wichtigsten Fragen geworden. Die Bösen sind nach der verordneten Meinung die, die die Maßnahmen nicht auf Punkt und Beistrich, und am besten im voreiligen Gehorsam über-erfüllen. Kritik ist schlicht nicht erwünscht. Der Mensch wird durch Masken- und Testpflichten immer mehr entmenschlicht und zur Maschine degradiert, die den Befehl von oben einfach auszuführen hat, um dann etwa für genau 24, 48 oder 72 Stunden das Privileg der vollen Bürgerfreiheit zu erhalten. Folgerichtig ist auch das Hinterfragen von (psychischen, sozialen…) Auswirkungen auf diese „Maschine“ nicht erwünscht und geht im Fluss der „Sicher-ist-sicher-Mentalität“ unter.

Ich stimme dem Papst zu: es grassieren Egoismus und Rücksichtslosigkeit. Aber nicht nur in der Wirtschafts- und Umweltfrage, sondern gerade in unserem Umgang mit diesem welthistorischen Ereignis der Pandemie. Rücksichtslos wird durch die Corona-Maßnahmen eine Entmenschlichung des Menschen vorangetrieben, und diese verordnete Rücksichtslosigkeit fördert wiederum den allgemeinen Egoismus in der Gesellschaft, nämlich die Denkweise: der andere MUSS für mein Wohlergehen herhalten, ich habe einen Anspruch darauf, ob er will oder nicht. Eine Zwangs-Solidarität also, die in dieser aufgeblähten, entgrenzten Form nicht der christlichen Gerechtigkeit entspricht.

Ja, wir brauchen dringend eine Neubesinnung am Ende dieser Krise. Hier wünsche ich mir vor allem aus dem kirchlichen Sprachrohr eine differenziertere Sicht auf die Lage, statt der einseitigen Beharrung auf bestimmten Gesundheitsinteressen und des bloßen Einstimmens in die allgemeinen Hiobsbotschaften. Der Mensch, ob gläubig oder nicht, muss einsehen, dass auch mit der modernsten Technik in einer Pandemie nicht alle gerettet werden können, ja nicht dürfen, selbst wenn es technisch (zB durch Totalüberwachung) möglich wäre, damit der Mensch dabei noch Mensch bleibt.

Nie wieder Krieg – so lautete eine verbreitete Parole nach dem Zweiten Weltkrieg. Nie wieder so eine rücksichtslose Entmenschlichung – so könnte die Lehre lauten, die wir aus den Corona-Jahren ziehen.

 


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