29. Juni 2021 in Spirituelles
Die Worte des Pariser Erzbischofs „wären auch geeignet, aus ihnen die entsprechenden Auszüge bei den Veranstaltungen des ‚Marsch(es) für das Leben‘ zu zitieren“. Von Juliana Bauer
Paris (kath.net) Wenn ich die vielen, gerade zur Zeit wieder herrschenden unerträglichen Diskussionen über das menschliche Leben verfolge, die unsäglichen Debatten über das vermeintliche Recht, dem ungeborenen Leben ein Ende bereiten zu können und die häufig schwächliche Haltung zu dessen Schutz von Seiten nicht weniger Hirten und – nun auch ein Völker-Parlament ertragen muss, welches „das Töten zum Recht erklärt“, so stelle ich diesem diabolischen Wirrwarr die Predigt von Erzbischof Michel Aupetit gegenüber, die er am 2.Sonntag nach Dreifaltigkeit in St Germain l’Auxerrois, Paris, hielt. Sie ist eine Predigt, die ein Licht in dieser Finsternis darstellt. Worte, die auch geeignet wären, aus ihnen die entsprechenden Auszüge bei den Veranstaltungen des „Marsch(es) für das Leben“ zu zitieren.
Dem Pariser Erzbischof, der sich immer wieder für die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tod einsetzt, gelingt es meisterhaft, die Kostbarkeit des Lebens aus dem Kleinsten, aus dem Samenkorn, aus der Eizelle äußerst sensibel nachzuzeichnen und dieses, das Tagesevangelium vor Augen (Mk 4,26-34), in seiner Identität mit dem Wachsen des Reiches Gottes herauszuarbeiten. In dieser Verbindung verleiht er der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens sowie der Achtung vor der Schöpfung besonderes Gewicht.
Die Predigt
Bei dem Evangelium des 13. Juni dachte Mgr Aupetit unwillkürlich an seinen Aufenthalt in Notre Dame de l’Ouÿe vor einigen Monaten (wo sich rund 60 km von Paris entfernt ein Bildungshaus seiner Diözese, insbesondere für junge Leute, befindet). Dort, im angrenzenden Wald stand eine Eiche, von der er fasziniert erzählt… „eine 300 Jahre alte Eiche, prächtig, majestätisch, riesig. Ein herrlicher Baum…am Fuß sah ich eine kleine Eichel, fast lächerlich klein… mein Großvater verfütterte die Eicheln den Schweinen… diese kleine Eichel schenkte uns diesen Baum… das ist unglaublich… Dieser prächtige Baum…stammte…von einer einfachen Eichel wie dieser … In dieser kleinen Eichel ist der ganze Baum, die ganze Eiche enthalten…
„Und auch ihr, Brüder und Schwestern, auch ihr“, in einem begeisterten Ausruf wendet er sich an die Gemeinde, einem Ausruf, der seine ganze Faszination an der Schöpfung Gottes ausdrückt, „auch ihr wart am Beginn eures Lebens eine kleine Zelle, eine kleine embryonale Zelle … in der zuerst nichts enthalten war, dann aber alles, dann, nach eurer Befruchtung, ward ihr darin enthalten, ihr in eurer Ganzheit … Eine kleine embryonale Zelle … in der alles enthalten ist, … euer Herz, eure Lungen…alles, was ihr seid… Sie … unterscheidet sich im Aussehen nicht von den Zellen des Körpers, der Haut …, der Leber, der Schleimhäute, die sich nur identisch zu vermehren wissen. In dieser kleinen embryonalen Zelle ist ein menschliches Lebewesen enthalten. Das ist wundervoll, das ist großartig…“
In der Schriftfassung seiner Predigtworte geht der Arzt Aupetit nochmals eigens auf die Körperfunktionen ein: „Das ganze großartige und unglaubliche Programm eures erwachsenen Körpers und seiner komplexen Funktionen: das Schlagen des Herzens, seine Funktionen, die Atmung, die Verdauung, die Sekretionen. Was für ein Wunder!“
Dann veranschaulicht Michel Aupetit seinen Zuhörern das große Wunder der Schöpfung. Er beleuchtet dabei, vergleichend zur Entwicklung des Menschen, die Parabel vom Senfkorn (Mk 4, 30-32). „… Jesus spricht uns von jenem kleinen Senfkorn, einem unbedeutenden Samenkorn, das alle Welt verachtet … das eine große Pflanze wird. Die Lebenskraft ist enthalten in etwas ganz Kleinem, ist das nicht zum Staunen? Das ist etwas zur Bewunderung… und nicht zur Manipulation, wie es unsere Abgeordneten heute mit den neuen Bioethikgesetzen beantragen.“ Er sei darüber immer wieder verblüfft… er verstehe die Experimente, gerade mit menschlichen Embryonen nicht, den Umgang mit dem Kleinen… „Ja, das ist das, was heute fehlt, das Staunen, das Be-Wundern … Das Bewundern der Natur, ihrer Lebenskraft. Diese Lebenskraft kommt von Gott. Das Vergessen aber führt zur Katastrophe…
Im 20. Jahrhundert sprach man viel vom Humanismus… ja, die Zeit des Humanismus … das war in der sogenannten Moderne… Man betete den Menschen an. So wie man aber den Menschen anbetete, verachtete man die Natur. Heute sind wir… in der Postmoderne und heute ist das Gegenteil der Fall. Wir fördern heute eine radikale Ökologie; diese radikale Ökologie betet die Natur an und verachtet den Menschen. Das ist eine Fehlstellung auf der ganzen Linie. Man spricht heute auch viel von Antispeziesismus und Transhumanismus. Man erkennt aber auch, dass die Ablehnung des Menschen die Verachtung der Natur mit sich zieht. Aber die Antwort darauf ist einfach. Sie ist absolut einfach.
Es geht nicht darum den Menschen oder die Natur anzubeten, es geht darum, Gott anzubeten. Wenn wir Gott anbeten, achten wir die Natur. Wenn wir Gott anbeten, haben wir Achtung vor dem Menschen. Denn sowohl der Mensch, als auch die Natur sind von Gott erschaffen…“
Mgr Aupetit führt aus, dass Jesus gerade auf diese außergewöhnliche Lebenskraft, die Kraft dieser unbedeutenden kleinen Samenkörner, wie die des Senfs, sein Augenmerk richtet und uns darlege, dass bereits alles von dieser Gemüsepflanze im dem winzigen Samen vorhanden ist. „Alles … alles ist vorhanden.“ Jesu Gedanken weiterführend, der das Samenkorn und das Wachsen der aus ihm stammenden Pflanze als Metapher für das Reich Gottes sieht, zieht der Erzbischof schließlich den Vergleich der kleinen Samen und Früchte, des Senfkorns, der kleinen Eichel, der winzigen embryonalen Zelle mit Jesu Wort, das dieser „in uns gelegt hat…“ Aupetit geht somit über die körperliche Entwicklung des Menschen hinaus zu dessen geistig-spiritueller Entfaltung und Bestimmung, das Reich Gottes zu erlangen. Er verweist anhand des Evangelientextes darauf, dass das Reich Gottes in unseren Herzen zu finden sei, dass es kein Territorium darstelle, das es zu erobern gelte. „So verstehen wir, dass das Reich Gottes ganz in seinem Wort enthalten ist, das Jesus in unsere Herzen gesät hat.“
Vom Reich Gottes, das bei jedem Einzelnen anbricht, der sich Christus zuwendet, spannt der Erzbischof den Bogen zur Gemeinschaft der Kirche. Viele würden nach seinem Ort fragen, fragen, wo es denn sei, manche sähen es mit der Kirche vermischt. Michel Aupetit nennt in diesem Zusammenhang auch einen bedeutenden französischen Theologen des frühen 20. Jahrhunderts, der diese Auffassung vertrat, widerspricht jedoch vehement. „Die von Jesus gegründete Kirche ist nicht das Reich Gottes, sondern ihr Zeichen, ihr Sakrament. Ein Sakrament ist das wirksame Zeichen der Gnade Gottes. Jedes Sakrament gibt dem, der es empfängt, seine Bedeutung.“
Erzbischof Aupetit stellt den Vergleich mit der Eucharistie her und weist auf die Verwandlung des Brotes in Jesu Leib und damit auf die leibliche Präsenz Christi im Zeichen des Brotes. Als weiteres Beispiel zeigt er die Taufe auf. „Wenn ihr getauft werdet im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes erhaltet ihr das Sakrament und werdet Sohn und Tochter Gottes… ihr seid von Gott adoptiert, das ist ein wirkmächtiges Heilszeichen. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt, dass die Kirche das Zeichen des Heils ist… Sie ist nicht das Heil, das ist Christus, sie ist aber das Zeichen des Heils. Ihre Rolle ist, das Königreich zu säen, das der Herr zum Keimen bringt. Das ist auch eure Rolle, Brüder und Schwestern Das Reich Gottes ist bereits gegenwärtig in den Gaben Gottes, die er in uns bewirkt, in der Taufe, die uns zum Kind Gottes macht, durch die Gabe des Heiligen Geistes, die wir in Fülle empfingen und des ewigen Lebens, die wir in der Eucharistie erhalten.
Alles ist in den Gaben Gottes enthalten. Das Reich Gottes ist in euch, ihr habt es … mit seinen Gaben … empfangen… Das … bereits vorhandene Königreich wächst nicht durch eine quantitative Ausdehnung, wie sie die Eroberung eines Territoriums bedeutet, es ist ein wertvolles Dasein aus der Gabe Gottes, das in euch wächst… durch die Liebe Gottes, die in euch wohnt … und durch eure Liebe zu Gott und zum Nächsten, die der Geist Gottes in eure Herzen sät.“
Zum Schluss weist Erzbischof Aupetit darauf, dass „der, der fähig ist, die Liebe Gottes zu empfangen, um seinen Nächsten zu lieben“, und „der, der fähig ist in diese außergewöhnliche Dynamik des Lebens einzutreten, das Christus uns geschenkt hat“ dem Reich Gottes am nächsten stehe. Als anschauliches Beispiel dafür nennt er ein entscheidendes Wort Jesu, wie es der Evangelist Markus überliefert: „Dem Schriftgelehrten, der Jesus antwortet, dass die Liebe zu Gott und zum Nächsten besser sei als alle Opfer, die Gott dargebracht würden, sagt Jesus: ‚Du bist nicht weit vom Reich Gottes‘ (Mk 12,32-34) …“
Messe du 13 juin 2021 à Saint-Germain l’Auxerrois, 13/06/2021, KTOTV
Homélie de Mgr Michel Aupetit - Messe à St Germain l’Auxerrois - Dimanche 13 juin 2021, Homélies -
Diocèse de Paris.
Übersetzung für kath.net: Dr. Juliana Bauer
Der Großteil der Predigtübersetzung stammt aus der mündlichen Ansprache von Erzbischof Aupetit, an einigen Stellen ergänzte ich Gedanken aus der stark gekürzten und leicht veränderten schriftlichen Predigtfassung.
Archivfoto Erzbischof Aupetit (c) Erzbistum Paris
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