Christoph Rohde – Das Kreuz und der Krieg. Prämissen einer realistischen katholischen Friedensethik

3. Juli 2021 in Buchtipp


„Die katholische Friedensethik hat nicht zum Ziel, einen Diktatfrieden zu vermitteln, sondern eine Versöhnung der Parteien herbeizuführen. Diese Intention hat der Autor anschaulich dargelegt.“ Rezension der Neuerscheinung. Von Lothar C. Rilinger


Rückersdorf (kath.net) „Frieden schaffen ohne Waffen!“ – Dieser Slogan geisterte immer wieder durch den friedenpolitischen Diskurs, und er war die Grundlage für die vermeintlich moralisch höchststehende Forderung, die Bundeswehr abzuschaffen. Wenn man sich aber selbst jeglicher militärischen Macht entblößte, um als Gutmensch in die Geschichte eingehen zu können – die Gegenseite würde diesen Schritt ausnutzen, um die Unterwerfung des friedliebenden Staates zu vollenden. In dieser Auseinandersetzung scheint der Unterschied zwischen der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik auf. Der Gesinnungsethiker vertritt die moralische Auffassung, dass jegliche Gewalt verwerflich sei, während der Verantwortungsethiker auch die militärische Gewalt ins Kalkül zieht, um einen Frieden zu erzielen. Die Welt wurde immer mit rechtswidrigen Eroberungskriegen überzogen, wie auch immer versucht wurde, diese zu rechtfertigen – ob unter der Prämisse „Volk ohne Raum“, ob als Durchsetzung der als höchst stehend empfundenen französischen Zivilisation, ob als Möglichkeit, Reichtum durch Ausbeutung der Kolonien zu erzielen oder um die kommunistische Ideologie zu verbreiten. Immer gab es Gründe, fremde Staaten zu okkupieren, und immer gab es auch für die überfallenden Staaten Gründe, Frieden durch Gewalt zu erzwingen.

Christoph Rohde nähert sich diesem Zwiespalt von Friedfertigkeit und Gewalt, um sich mit seinem neuen Buch „Das Kreuz und der Krieg. Prämissen einer realistischen katholischen Friedensethik“ (Rückersdorf 2021) in den Diskurs einzuschalten. Seine gut fundierten Vorstellungen einer katholischen Friedensethik stützt der Autor auf das römische Diktum Si vis pacem para bellum, wonach der Frieden erzielt werden könne, wenn man sich auf den Krieg vorbereitet. Damit hat sich Rohde entschieden, die militärische Gewalt zwar nicht als einziges Mittel anzusehen, um den Frieden zu bewahren oder zu erzwingen, doch er schließt sie nicht aus, um ein friedliches Miteinander der Staaten und Völker zu ermöglichen.

Die Gründe seiner Thesen führt er gekonnt, fundiert und voller Substanz aus, um den Leser schlussendlich dorthin zu führen, wo er als Konklusion seines Denkens die Grundzüge der von ihm gedachten katholischen Friedensethik entfaltet. Dass er es als gerechtfertigt ansieht, sich auf die katholische Ethik und auf die Lehre der Kirche zu beziehen, ergibt sich aus der Begründung der Erklärung der Menschenrechte der UNO aus dem Jahr 1948. Als ideelle Vorlage dieser Erklärung verweist Rohde auf die Schrift „Vom ewigen Frieden“, die Immanuel Kant 1795/96 veröffentlicht hat. Dabei hat sich die UNO aber auch auf die Vorstellung bezogen, dass der Mensch als imago Dei anzusehen ist, mit der Folge, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner je eigenen Individualität, gleich im Sinne des Gesetzes ist. Mit diesem Hinweis weist Rohde auf das dem Menschen intrinsische Naturrecht auf Gleichheit hin, das aus der biblischen Vorstellung hergeleitet wird und damit die nicht hintergehbare und von Menschen nicht aufhebbare Gleichheit aller Menschen festlegt. Leider scheint diese biblische Begründung der Gleichheit aller Menschen allmählich in den Hintergrund zu treten, um durch die Begründung der Menschenrechte ersetzt zu werden, wie sie in der französischen Erklärung der Männer- (später: Menschen-) und Bürgerrechte vom 26. August 1789 formuliert worden ist. Danach wird durch die mittels der von einer ideologischen Elite gebildeten volonté générale, also des Allgemeinen Willens, festgelegt, wer dieses Recht für sich reklamieren darf.

Rohde beharrt aber darauf, dass sich die Begründung der Menschenrechte aus der christlichen Vorstellung vom Wesen des Menschen als Ebenbild Gottes ergibt und geht infolge dessen davon aus, dass das christliche Moment deshalb auch zwingend die Friedensethik zu bestimmen hat. Von dieser Prämisse ausgehend entwickelt er zehn Pfeiler für eine katholische Friedensethik, die er vor dem Leser erläutert.

Grundlage ist demzufolge das biblische Menschenbild, wonach alle Menschen als Ebenbild Gottes anzusehen sind, was zwangsnotwendig die allgemeine Gleichheit indiziert. Aus dem Prinzip der Gleichheit resultiert die Forderung, dass, um eine Friedensethik zu entwickeln, auch die Argumente der Gegenseite gehört werden müssen. Damit übernimmt der Autor den sich aus dem römischen Recht ergebenden Grundsatz audiatur et altera pars, wonach auch die Gegenseite gehört werden müsse – ein Prinzip, das er als Ausdruck der Glaubwürdigkeit beschreibt. Auch die Argumente der Gegenseite in die Überlegungen über eine Friedensethik einzubeziehen, hält Rohde für eine „genuin moralische Qualität“. Da der Autor eine katholische Ethik denkt, besteht er darauf, ebenfalls die Transzendenz mit in die Überlegungen einzubeziehen. Durch den Glauben könnten wir nach seiner Auffassung für Lösungen eintreten, auch wenn sie im Hier und Jetzt vielleicht noch nicht ihre Erfüllung erfahren können. Gerade dieser Gedanke setzt aber den unbedingten Glauben an die Transzendenz in Gott voraus und damit rekurriert er auf eine Begründung, die sich allerdings allmählich im materialistischen Glauben an die Immanenz zu verflüchtigen droht.

Um die streitenden Parteien wieder zusammenzubringen, wendet sich der Autor gegen modernistische Coaching-Prozesse. Er fordert vielmehr demütige Friedensstifter, die über Lebenserfahrung verfügen und deshalb nicht der Versuchung unterliegen, sich ideologisch den Fragen zu nähern, die den Konflikt ausgelöst haben. Aus dieser Demut heraus verbietet es sich, moralisierend zwischen den Parteien zu vermitteln. Vielmehr bietet es sich an, aus einer Distanz heraus die gesellschaftlichen Prozesse zu würdigen, die Grundlage des Streites sind. Da eine Friedensethik die Interessen beider Seiten berücksichtigen muss, hält es Rohde für notwendig, dass auf der Grundlage der Lebenserfahrung abgewogen werden muss, was durchgesetzt, was also von beiden Seiten akzeptiert werden kann. Die Chancen müssen realistisch beurteilt werden, um Möglichkeiten der Einigung antizipieren zu können. Eine Friedensethik muss immer die Bereitschaft der Parteien, sich zu verständigen, berücksichtigen. Das Diktat einer Friedensordnung gebiert nicht den Frieden, sondern die neue Auseinandersetzung – wie die Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg und die Friedensverträge, die nach Pariser Vororten benannt worden sind, gezeigt haben. Deshalb muss der Frieden von beiden Seiten gewollt sein, beide Seiten müssen überzeugt sein, dass ihre Interessen berücksichtigt werden. Nur dann kann eine Versöhnung erfolgen. Friedensethik ist deshalb mehr als eine Ethik des Waffenstillstandes, mehr als eine Möglichkeit, das Schweigen der Waffen herbeizuführen. Friedensethik muss das Verhältnis zwischen den Parteien dauerhaft regeln, und dieses ist nur möglich, wenn sich die Parteien nach einem Schuldbekenntnis gegenseitig vergeben. Nur die sich aus dem Christentum ergebende Vergebung, die dem Sakrament der Buße entlehnt ist, kann eine Versöhnung bewirken – nur die Bereitschaft, zukünftig nicht mehr auf die Verwerfungen der Vergangenheit zu schauen und hieraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Notwendig ist es, als versöhnte Geschwister die Zukunft zu gestalten – immer von der Vorstellung geleitet, dass wir alle Kinder Gottes sind und deshalb zusammengehören.

Rohde hat eine Friedensethik entwickelt, die zwar den Glauben an Gott voraussetzt, die aber gerade durch diesen Rekurs zukunftsweisend ist. Dass dieser Ansatz erfolgversprechend ist, belegen die Erfolge der vatikanischen, ja, der kirchlichen Friedenspolitik. Der Glaube kann nicht aus dem Gedankengerüst von Rohde verbannt werden, schließlich bietet er die Gewähr, dass die Interessen beider Seiten berücksichtigt werden, so dass keine befürchten muss, zu etwas gezwungen zu werden. Die katholische Friedensethik hat nicht zum Ziel, einen Diktatfrieden zu vermitteln, sondern eine Versöhnung der Parteien herbeizuführen. Diese Intention hat der Autor anschaulich dargelegt. Nicht nur den Friedensaktivisten jeglicher Couleur sei dieses Buch ans Herz gelegt, auch den Personen, die sich den Frieden auf Erden immer wieder wünschen, aber wissen, dass es einen ewigen Frieden erst in der Transzendenz geben wird – erst dann, wenn das Reich Gottes gekommen ist, wie wir immer im Paternoster beten.

kath.net-Buchtipp:
Das Kreuz und der Krieg
Prämissen einer realistischen katholischen Friedensethik
Von Christoph Rohde
Taschenbuch, 368 Seiten
2021 Lepanto Verlag
ISBN 978-3-942605-20-5
Preis Österreich: 19.10 EUR


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