Conchita Wurst auf der Mondsichel oder die Umwertung aller Werte

10. Juli 2021 in Kommentar


Eine Ausstellung des Museums Bibelhaus in Frankfurt mit dem Titel ‚Gott w/m/d’ zeigt, wie weit die Gender-Theorie in alle gesellschaftlichen Bereiche eingedrungen ist. Ein kath.net Kommentar von Peregrinus


Frankfurt (kath.net)

Der Monat Juni ist in vielen Ländern seit einigen Jahren in zunehmend aufdringlichem Maße der Verherrlichung verschiedener LGBT-Lebensstile gewidmet. Unter dem Schlagwort „Pride“, zu deutsch „Stolz“, ist der sechsfarbige Regenbogen, das Symbol der LBGT-Bewegung, unübersehbar. Öffentliche und private Institutionen hissen Flaggen, färben ihre Logos oder legen gar – wie unlängst sogar das katholische Traditionsunternehmen C&A – eigene Produkte auf, um sich zu “Vielfalt“, „Toleranz“ und „Inklusion“ zu bekennen.

Diese Entwicklung macht auch vor den christlichen Religionsgemeinschaften nicht halt. In der katholischen Kirche hat das klare Nein des Vatikan zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare im März zu einem Proteststurm aus bestimmten katholischen Kreisen geführt, wie man ihn anlässlich der Enzyklika „Humanae vitae“ im Jahr 1968 zum ersten Mal erlebt hat. Es mag auf den ersten Blick nicht ersichtlich sein, doch die Ereignisse hängen miteinander zusammen. Denn erst wenn man die Sexualität von der Fortpflanzung getrennt hat, wie es durch die Verwendung von Verhütungsmitteln geschieht, ist die Gleichstellung per se unfruchtbarer homosexueller Beziehungen mit heterosexuellen überhaupt denkbar.

Wie in einem Brennglas zeigt eine aktuelle Ausstellung des Museums Bibelhaus in Frankfurt zu diesem Thema die Entwicklung in der evangelischen Kirche Deutschlands. Unter dem Titel „G*tt w/m/d“ soll die Ausstellung die „Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten“ sichtbar machen. Träger des Museums ist die Frankfurter Bibelgesellschaft. Mehr als die Hälfte der Einnahmen der Bibelgesellschaft kommen von der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, die auch das Museum finanziell unterstützt. Die Wahl dieses Themas macht die Verschiebung des Schwerpunktes der evangelischen Kirche in den letzten zweihundert Jahren deutlich: Es wird nicht mehr die Zeit im Licht der Offenbarung gedeutet, sondern die Offenbarung im Licht der Zeit beziehungsweise des Zeitgeistes interpretiert. Unter diesen Voraussetzungen kann man natürlich auch die Frage stellen, wie Gott aus der Perspektive der Gender-Theorie zu sehen ist. Insofern ist die Themenwahl für die Ausstellung nicht überraschend.

Der Ursprung für diese Entwicklung ist wohl in der liberalen Bibelexegese des 19. Jahrhunderts zu suchen. Seit damals wird die Bibel zunehmend als rein historischer Text unter den jeweiligen Prämissen der modernen Wissenschaft interpretiert. Wenn nun die Bibel, also die Grundlage des evangelischen Glaubens schlechthin ("sola scriptura"), entmystifiziert wird, was bleibt dann noch übrig? Die jeweils gültigen Paradigmen und Narrative der Epoche.

Vielleicht hat die evangelische Kirche beim Thema Geschlechter auch einen gewissen Nachholbedarf. Durch die Abschaffung der Heiligenverehrung in der Reformation wurden seither mit den drei göttlichen Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist drei generisch maskuline Personen verehrt. Das gilt zumindest im Deutschen, im Hebräischen ist die Bezeichnung „Heiliger Geist“ weiblich. Als Katholiken verehren wir in Maria die Mutter Gottes und die Königin des Himmels. Es gibt eine Vielzahl weiblicher Heiliger und seit 1970 auch weibliche Kirchenlehrer. Das weibliche Element spielt in der katholischen Glaubenspraxis eine viel größere Rolle als in der evangelischen.

Ein letzter Gedanke sei dem Ausstellungsobjekt gewidmet, welches als Titelbild für den Katalog und den Internetauftritt der Ausstellung „G*tt w/m/d“ gewählt wurde. Es handelt sich um die Statue „Conchita Wurst auf der Mondsichel“ des österreichischen Künstlers Gerhard Goder aus dem Jahr 2014. Conchita Wurst ist eine Kunstfigur des österreichischen Sängers Thomas Neuwirth. Neuwirth hat als „Conchita Wurst“ den Eurovision Song Contest 2014 in Kopenhagen gewonnen. Goders Werk ist dem Typus der „Madonna auf der Mondsichel“ nachempfunden, einer seit dem 16. Jahrhundert beliebten Darstellung. Inspiriert von der dramatischen Szene, die im 12. Kapitel der Apokalypse geschildert wird, wird die Muttergottes auf der Mondsichel stehend mit dem Jesuskind im Arm dargestellt. Die Plastik von Goder zeigt nun Conchita Wurst auf der Mondsichel. Die Figur mit langen, dunklen Haaren, Bart, langem Gewand und weichen Gesichtszügen erinnert an moderne Jesus-Darstellungen, wie es in einer Beschreibung des Museums Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin heißt, zu deren Sammlung die Plastik gehört.

Aus katholischer Perspektive ist das nichts anderes als die „Umwertung aller Werte“, die der Philosoph Friedrich Nietzsche als Zeichen eines Epochenwechsels bezeichnet hat. Ein homosexueller Mann, der sich selbst als „schöner Mann und schöne Frau in einer Person“ sieht und zumindest eine Zeit lang zu einer Art Ikone der Schwulen- und Transgenderbewegung geworden ist, wird an Stelle der Mutter Gottes dargestellt, die der Welt den Erlöser geboren hat. Tatsächlich soll mit der Darstellung auf der Mondsichel auf die Popularität des Eurovision Song Contests ebenso hingewiesen werden wie auf die „plurale Gesellschaft“ mit einer Vielfalt sexueller Orientierungen. So steht es in der Beschreibung des Objekts auf der Internetpräsenz des MEK.

Der von Friedrich Nietzsche angekündigte Epochenwechsel beginnt für den Philosophen mit der Abwendung vom Christentum. „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet“, schreibt er in „Die fröhliche Wissenschaft“ (Aphorismus 125). Die neue Epoche wird für Nietzsche durch den „Willen zur Macht“ gekennzeichnet sein, eine Macht, die sich nicht mehr an der Moral orientiert. Denn durch den Tod Gottes ist jede Orientierung verloren gegangen.

Nietzsche könnte mit seiner Diagnose Recht haben. Die Gender-Theorie kann als Wille zur Macht über die menschliche Geschlechtlichkeit, die Familie, ja sogar über den menschlichen Körper, der mittels Hormonbehandlung und chirurgischer Eingriffe je nach Wunsch zu einem „Mann“ oder einer „Frau“ umgewandelt werden soll, interpretiert werden. Letztlich handelt es sich um ein Aufbegehren des Menschen gegen die Schöpfungsordnung Gottes.

Die Forderung nach Toleranz und Akzeptanz für Homosexuelle und Transgender-Personen wird zwar mit moralischen Argumenten untermauert. Insofern scheint der von Nietzsche diagnostizierte Abschied von der Moral noch nicht eingetreten zu sein. Ein kurzer Rückblick zeigt aber, wie wandelbar diese Moral ist. Vor wenigen Jahren war der Feminismus die führende progressive Bewegung, die mit hohem moralischen Anspruch gegen Ungerechtigkeit, Intoleranz und Diskriminierung aufgetreten ist. Mittlerweile sind die Frauenrechtlerinnen gegenüber der Transgender-Bewegung ins Hintertreffen geraten. Frauen, die sich dagegen wehren, dass Männer im Frauensport antreten, dass sie Umkleideräume und Toiletten für Damen betreten oder die den Begriff „Frau“ nicht durch „Menschen, die menstruieren“ ersetzen wollen, werden von der neuen Avantgarde des gesellschaftlichen Fortschritts als TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminist) bezeichnet und bekämpft.

 

Autor Peregrinus ist der Redaktion bekannt.

 


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