Liturgie? Abholzen!

17. Juli 2021 in Kommentar


Papst Franziskus wird mit seinem "Motu proprio" nichts erreichen. - Ein kath.net-Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Rom-Köln (kath.net)

Der Teufel steckt manchmal im Detail. Das "Motu proprio" zur Unterdrückung des älteren Gebrauchs der Römischen Messe samt Begleitschreiben erschien am 16. Juli zunächst nur auf Italienisch. Man weiß noch nicht genau, wer im Vatikan derzeit mit besonderer Heftigkeit das ehrwürdige Kirchenlatein befehdet, aber die Vermutung liegt nahe, dass der Ghostwriter oder Redakteur des liturgischen Gewaltakts die Sprache der Kirche kaum noch kennt und praktiziert. Diktion und Stil entsprechen so gar nicht dem, was man von Bergoglio kennt. Da hat jemand das Ohr des Papstes gefunden und wird jetzt Sektkorken knallen lassen. Der Täter ist aber fraglos der Papst selber, der sich im Text auch nicht hinter einem zweiten oder dritten Mann verstecken kann. Erreichen wird er mit dem Bombenangriff auf die ältere Liturgie nichts. Denn er ignoriert das zentrale Problem: die Auszehrung und das Entschwinden der Liturgie des "novus ordo" in mehreren Weltgegenden, speziell im deutschsprachigen Raum. Welchen Sinn hat die strikt einheitliche Feier der Sakramente der Kirche, wenn niemand mehr teilnimmt? Dann hat sich auch die 'participatio actuosa' erledigt, die "tätige Teilnahme" an der Liturgie, die sich Pius X. allerdings etwas anders vorstellte als die Ingenieure der Liturgiereform. Bugnini et al. haben mehr abgeholzt als neu gepflanzt.

Als 'Summorum Pontificum' 2007 erschien, tat ich mich schwer damit. Ich kannte nur die "neue Liturgie", wünschte mir aber immer schon ihre würdige, korrekte und fromme Feier, mit mehr Latein. Diesen Weg bietet der Heilige Vater jetzt sogar an. Ich könnte persönlich also zufrieden sein. Doch hat sich im Laufe der vergangenen 14 Jahre gezeigt, dass die fahrlässige, exzessiv kommunikative und nur noch ungefähr an liturgischen Vorschriften orientierte Praxis in Klerus und Volk die gottesdienstliche Dimension des kirchlichen Lebens ingesamt unterspült und wegschwemmt. Es kommt hinzu, dass die kirchlichen Beschäftigten hierzulande kaum noch in Kontakt treten mit der sakramentalen Realität der Kirche. Der Jubel im "Sektor" wird allerdings groß sein. Denn die Einheitspartei deutscher Christen wird eine Falschaussage der päpstlichen Gesetzgebung zum Dreh- und Angelpunkt der Angelegenheit machen: Die neue Liturgie sei der "einzige" Ausdruck der nachkonziliaren 'lex credendi'. Denn an diesem Punkt offenbart sich der ideologische Hintersinn des fruchtlosen Gewaltakts.

Die Freunde der "alten Messe" werden als Partisanen einer vorgestrigen, überlebten Gesinnung beleidigt, die überwunden und unterdrückt werden müsse. Es lässt sich überhaupt nicht in Abrede stellen, dass eine steigende Anzahl an Katholiken sich in jüngster Zeit mehr und mehr in die reiche theologische, geistliche und liturgische Tradition der Kirche flüchtet, da sie mit den immer dürftigeren und dümmeren Verlautbarungen aus Rom oder anderswoher kaum noch zurechtkommen können. Es lässt sich auch nicht in Abrede stellen, dass manche inzwischen mehr und mehr mit Verachtung über das moderne Papsttum reden, so wie es Lefebvre gegenüber Paul VI. vorgemacht hat. Das ist kein gangbarer Weg. Kurios mutet allerdings inzwischen an, dass immer noch Leute auf das jüngste Konzil eingeschworen werden sollen, für die es allenfalls ein Dutzend Sätze in den Konzilstexten gibt, mit denen sie hadern. Die andern, die nur dasselbe Dutzend Sätze zur Kenntnis genommen  hat, bleiben aber unbehelligt. Das Konzil lehrt beispielsweise, das die konkret verfasste katholische Kirche die wahre Kirche Christi ist. Es lehrt die Unfehlbarkeit des Lehramt der Kirche. Es lehrt die Siebenzahl der Sakramente, darunter auch die unauflösliche Einehe, offen für die Weitergabe des Lebens. Die 'lex credendi' des Konzils stimmt mit der Tradition der Kirche überein, also auch mit dem "Lehrgehalt" der römischen Liturgie, die bis zum Konzilsschluss in Geltung war.

Es war der revolutionäre Ansatz in der Interpretation des Konzils, der Erzbischof Lefebvre und einige andere nachkonziliar in die Opposition trieb. Die politischen Implikationen dieser Opposition sind nicht zu leugnen und erschweren bis heute die Integration der Piusbruderschaft in die Kirche. Doch davon zu unterscheiden ist das echte, berechtigte Anliegen des "dogmatischen" Traditionalismus. 'Extra Ecclesiam nulla salus': Modifiziert durch "Lumen gentium" (vgl. Nr. 14) ist auch heute und in Zukunft davon zu sprechen, dass die Kirche grundsätzlich heilsnotwendig ist. Auch die "neue Liturgie" dient diesem Zweck. Ihre Interpreten schweigen jedoch davon. Also sind die Kirchen leer. Die Verfolgung und Unterdrückung "altmodischer" Beter wird daran nichts ändern. In der neueren Gesetzgebung wird anscheinend die "Zeit der Geduld" gegenüber Widerständlern beendet und eine Offensive der Disziplinierung begonnen, vorgeblich im Namen des Konzils.

Man darf vermuten, dass in der römischen Kurie ein Selbstverständnis überlebt hat, trotz der "Ausländer" an der Spitze (Wojtyla, Ratzinger, Bergoglio), dass man von dort die Geschicke der Weltkirche einheitlich autoritär lenken will. Dem stehen vordergründige Bekenntnisse zur Subsidiarität oder Synodalität nicht entgegen, denn auch diese Parolen sollen möglichst weltweit nach derselben Melodie gebrüllt werden. Der vorkonziliare "partito romano" wurde gewissermaßen von einem nachkonziliaren abgelöst, für den anscheinend Figuren wie Kardinal Sodano und Kardinal Parolin stehen. Ihre erstaunliche Toleranz gegenüber bunten Seilschaften im Apparat entkräftet den Verdacht nicht. Warum aber nachkonziliare Despotie moralisch besser sein soll als vorkonziliare, nur einem anderen Programm verpflichtet, erschließt sich dem teilnehmenden Beobachter nicht. Wahrscheinlich ist "das Konzil" in vielen Weltgegenden sogar unfruchtbar geblieben, weil man gar nicht dem allgemeinen Ruf zur Heiligkeit folgen wollte, sondern weiterhin die Gewissen regieren, engherzig und kleinlich. Warum nur soll das von einem einzelnen Priester am Nebenaltar zelebrierte Messopfer ein Angriff auf die Einheit der Kirche sein? Das ist nur ein Beispiel von vielen. Man gibt sich gern der Illusion einer Kirche als frömmelnder, universaler Einheitspartei hin, die sie nie sein konnte oder sein wollte.

Es scheint eine heimliche Sehnsucht der Päpste nach dem Scheitern zu geben. Tatsächlich ist die gesamte Papstgeschichte durchzogen von unzähligen Niederlagen, unter dem Regime des gefallenen Äon. Dem unheimlichen Triumphalismus im Selbstverständnis steht diese erstaunlich magere Bilanz gegenüber. Papst Franziskus hat seine positiv formulierten Ziele kaum erreicht. Schreitet er jetzt mit letzter Kraft zu offener Demontage? Gerechtfertigt ist der im Jurisdiktionsprimat des Bischofs von Rom versteckte Heilsoptimismus allerdings stets dadurch, dass Christus selber, der Herr der Kirche, seine eigenen Ziele verwirklicht, nicht die seines Stellvertreters. Der spätere Blick zurück auf "Traditionis custodes" von heute könnte zu dem Urteil kommen, dass damit eine unglückliche Nachkonzilszeit endete und eine neue Vorkonzilszeit begann. Denn die Vorbereitung auf ein nächstes Pastoralkonzil, das die alte Tradition neu belebt, scheint jetzt zu beginnen. Es wird die Wächter der Tradition versammeln, nicht die Söldner des Modernismus.

 


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