Jubel ist beim Kirchenaustritt fehl am Platz

19. Juli 2021 in Kommentar


Die Versäumnisse in Fragen der Katechese und religiösen Erziehung sind nicht wieder einzuholen. Das Sterben der verfassten Kirche in Deutschland nimmt seinen Lauf. Nicht die Kirche wird jedoch untergehen - Der Montagskick von Peter Winnemöller


Köln (kath.net)

Machen wir uns bitte nichts vor, dass 2020 das Jahr mit den zweithöchsten Kirchenaustrittszahlen war, ist allein den Coronamaßnahmen geschuldet. Damit endet dann auch die Spekulation. Wie viele Menschen mehr aus der Kirche ausgetreten wären, lässt sich nicht sagen. Fakt ist, nur 2019 sind bislang mehr Menschen aus der Kirche ausgetreten als im vergangenen Jahr. Da das trotz der Einschränkungen bei Behörden und Gerichten so war, ist allein schon sprechend.

Es wäre in höchstem Maße blauäugig, nicht davon auszugehen, dass die mangelhafte Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in den Diözesen nichts mit den Kirchenaustrittszahlen zu tun hat. Es ist jedoch einfach so, dass dies nur der Kamm der Austrittswelle ist. Das breite Fundament der Welle stellen nach wie vor diejenigen, die mit der Kirche einfach nichts (mehr) anzufangen wissen. Jahrelang standen Statistikexegeten scheinbar ratlos vor dem Phänomen steigender Austrittszahlen bei steigenden Kirchensteuereinnahmen.

Ein Blick auf die Altersstruktur der Austretenden zeigt den Grund für dieses nur scheinbar absurde Faktum. Die Kirchensteuer stieg, weil das Einkommenssteueraufkommen des Staates stieg. Dieses stieg, weil insbesondere bei Babyboomern die Einkommen in den letzten Jahren stetig anstiegen und die Steuerbelastung bei dieser Bevölkerungsgruppe überproportional und ungesund hoch ist. Ausgetreten waren in der Vergangenheit vorwiegend diejenigen, die ohnehin keine Einkommenssteuer zahlen. Diese Zahl ist auch in Deutschland recht groß. Immerhin ist Deutschland zu einem Niedriglohnland geworden.

Eine weitere Gruppe gar nicht so kleine Gruppe tritt mehrheitlich aus der Kirche aus: junge Menschen ohne kirchliche Sozialisation und ohne Bindung an die Kirche, die jedoch als Kinder aus Traditionsgründen getauft wurden. Diese treten häufig genau dann aus der Kirche aus, wenn sie anfangen, Geld zu verdienen und erstmals den Posten „Kirchensteuer“ auf der Gehaltsabrechnung finden. Steuerberater sind sogar verpflichtet, auf die Möglichkeit des Kirchenaustritts hinzuweisen und die Höhe der Einsparungen durch den Kirchenaustritt zu benennen. Die Kirchensteuer spart man sich gerne, wenn man keine Bindung an den Laden hat. So erklärt sich, warum diese Austritte sich nicht auf das Kirchensteueraufkommen auswirken. Der Austritt ereignet sich bevor überhaupt Steuern in nennenswertem Umfang fließen könnten.

Man muss kein Prophet sein, um vorhersehen zu können, dass auch künftige Jahrgänge von Berufseinsteigern sehr fix zu Kirchenaussteigern werden. Da nun die Zeit der Verrentung der Babyboomer – der zahlungskräftigsten Gruppe der Kirchensteuerzahler – beginnt, sehen wir Jahren entgegen, wo die Zahlungsausfälle die Kirchenaustritte überholen werden. Die jetzt ausgetretenen jungen Leute werden ihre Kinder sicher mehrheitlich nicht taufen lassen. Realistisch gesehen hat der progressive Verfall nicht nur der Kirchenmitgliedschaft, sondern auch der Kircheneinnahmen den Point of no return längst überschritten.

Die Versäumnisse in Fragen der Katechese und religiösen Erziehung sind nicht wieder einzuholen. Das Sterben der verfassten Kirche in Deutschland nimmt seinen Lauf. Nicht die Kirche wird jedoch untergehen. Diese wird sich an einzelnen Orten wiederfinden, an denen Menschen, die ihren Glauben teilen auch räumlich zusammenziehen werden. Wie lange das dauert, vermag niemand zu sagen. Tendenzen und Ideen dazu, man lese die Benedikt Option, sind schon in der Welt. Mit der Volkskirche, die wir kennen – und zumindest einige von uns schätzten – wird das nichts mehr zu tun haben.

Eine bürgerliche Kirche ist Geschichte. Die Kirche wird geistliche und caritative Avantgarde sein. Dort werden Schwangere in Not Aufnahme und Schutz vor Abtreibungszwang finden. Dort wird kein Armer hungrig vor die Tür geschickt und dort hilft man Flüchtlingen, ohne ihr Schicksal zur Ideologie zu machen. Dort wird man Alten einen würdigen Tod erlauben. Ja, die Kirche könnte zu einer illegalen Untergrundorganisation werden. Das ist, schaut man auf die gesellschaftliche Entwicklung, nicht auszuschließen. Die Ähnlichkeiten der Kirche der Zukunft mit der Kirche der Antike sind weitaus größer als die Ähnlichkeiten mit der Kirche der Neuzeit oder der Postmoderne. Da der Staat sein Interesse bald verlieren wird, werden in nicht allzu ferner Zeit auch Kirchensteuer und kirchliche Behördenstrukturen der Vergangenheit angehören.

Jubel wäre an dieser Stelle, da kann man mal mit der aus der Kirche ausgetretenen Gründerin der umstrittenen Zweinullerbewegung einig sein, tatsächlich nicht am rechten Ort. Der Christ allerdings zieht seine Hoffnung nicht aus Zahlen und Zahlungen.

Der Christ zieht seine Hoffnung aus der Gegenwart Christi in der Kirche. Und da sich der Herr von Austritten nicht beeindrucken lässt, besteht immer Grund zur Hoffnung.

 

VIDEO-TIPP: Der Gottmensch Jesus Christus - Einführung (1) von Weihbischof em. Marian Eleganti

 

 

 


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