"Ein Motu Proprio und bischöfliche Tollwut"

19. Juli 2021 in Kommentar


"Ein Motu Proprio geht durch die Welt. Barmherzigkeit ist darin nicht zu finden." - Ein Gastkommentar von N. N., einem Diözesanpriester, der die Heilige Messe im überlieferten Römischen Ritus feiert


Vatikan (kath.net)
Wird man von einem wilden Hund gebissen, dann muss man wohl oder übel zwischen den weißen Wänden einer Arztpraxis die Wange hinhalten. Wangen – andere – müssen auch jetzt hingestreckt werden. Ein Motu Proprio geht durch die Welt. Barmherzigkeit ist darin nicht zu finden. Von gestern auf heute, mit zwei Seiten in A4, spaltet die „Sorge um die Einheit die Kirche” selbige noch mehr als sie ohnehin schon gespalten ist. In den Händen hält man einen Text, der nach kirchenrechtlicher Auskunft so schnell und arglos verfasst worden sein muss, dass man noch nicht einmal merkte, dass „das Missale, vor der Reform von 1970” (Art 3) ja gar nicht das 1962er Missale der sogenannten „Alten Messe” ist, sondern streng genommen, jenes von 1965 (1967). Dass dieses nun offiziell verboten ist, schmerzt wohl niemanden, weil es praktisch niemand nutzt...

Aber das Unverständnis des Lesers muss schon lange vor solchen Details beginnen. Nicht das Motiv, nämlich die päpstliche Sorge um die Einheit, wird der geneigte Leser missverstehen. Diese Sorge ist berechtigt. In der Tat ist sie zu hegen die ureigenste Funktion des Petrusdienstes. Das Unverständnis trifft vielmehr die Analyse jener, die den Papst in dieser Frage beraten haben.

Da steht der Nachfolger Petri also im schwankenden Kirchenschiff unserer Zeit. Was steht ihm vor Augen, wenn er mittels „Umfrage bei den Bischöfen” in unsere Pfarren blickt? Kirchenbesucher, die nicht wissen, was das Messopfer ist? Leute, die meinen, Gesang, eine Gute Predigt, und (heiliges) Brot seien Gottesdienst? Eine schwindende Zahl von Katholiken, die wenn überhaupt in ein- oder knapp zweistelligen Prozentsätzen oft „gültige” aber „formlose” Messen besuchen? Stehen ihm vor Augen jene, die sich für da Liedgut ihrer Hochzeiten bei „Titanic” bedienen oder bei der Taufe ihres Kindes mangels Katechese im Vaterunser stocken? Klagt er an, dass die katholischen Universitäten einen toten jüdischen Wanderrabbi verkünden, statt einem leiblich auferstandenen Herrn? Setzt er Maßnahmen gegen Karnevalsmessen und Missbrauch, durch den sich ewig narzistische Kleriker im Altarraum der Konzilsliturgie gebärden? Gibt es mehr als eine Warnung für einen Synodalen Weg, der die Kirche spalten muss, weil er nicht vereinbar ist, mit beständiger Lehre? Nein. Oder nur ein bisschen. Denn gespalten, so sind sich die Herren in Purpur, Rot und Weiß anscheinend einig, wird anderswo.

Es ist nicht das jahrzehntelange Verschweigen der kirchlichen Lehre oder offene Rebellion (Königsteiner Erklärung, Maria Troster Erklärung) oder das Tolerieren von Missständen in Ausbildung und kirchlichem Leben, das den mystischen Leib Christi schändet. Nein. Es sind anscheinend jene, deren Glaube sich weder seit 2007 geändert hat – noch seit 1970 oder 1570. Was sich bei diesen geändert hat, ist lediglich das Maß an Verzweiflung, mit dem sie auf ihre Kirche blicken.

Das heißt nicht, dass die Freunde der Tradition ein herzensguter, heiliger Haufen wären. Das Knien vor dem Herrn im goldenen Kelch am Hochaltar unter gregorianischen Gesängen schützt vor Torheit und Sünde nicht. Ich weiß es. Weil ich ein solcher Sünder war und bin. Es gibt bei manchen in der Tat das pharisäische Gefühl, etwas Besseres zu sein – oder wenigstens im Gegensatz zu anderen: ein „richtiger” Katholik. Es gibt einen Ästhetizismus, dessen Spitzen aus Tüll ein regenbogenfarbiges Doppelleben verbergen. Es gibt gerade in Anbetracht der jüngeren Entwicklungen einige, deren Traurigkeit in Frust und Sarkasmus umgeschlagen ist und ihrem geistigen Leben die Fruchtbarkeit nimmt. Und es gibt einige wenige, die von den gleichen Entwicklungen getrieben, der Kirche den Rücken kehren, den Stuhl Petri für vakant erklären und getrennt von Rom ihr Heil suchen und laut in Sozialen Netzwerken Stimmung machen.

Sie brauchen Geduld, Ermutigung und Hilfe, die Kontinuität des Glaubens auch im aktuellen Magisterium zu sehen. Sie brauchen jene Sorge, wie sie ein Papst Franziskus so bereitwillig und medienwirksam Atheisten, antikirchlichen Aktivisten und Politikern, „Gescheiterten”, und Ausgegrenzten anbietet. Ihnen – aber auch allen frommen Seelen, die mehrheitlich kaum oder gar nicht mit diesen Krankheiten geschlagen sind – mit einem unvergleichlichen Federstreich, die geistige Heimat zu nehmen, ist hingegen ein Bärendienst an der Einheit.

Wer wird leugnen, dass ein Papst die volle Jurisdiktionsgewalt besitzt? Doch welcher Papst hat sich ohne Gefahr für den Glauben je dazu ermächtigt, nicht Diener, sondern Herr der Überlieferung zu sein. Der Papst gehört der Kirche. Nicht die Kirche dem Papst. Entgegen den Worten und Halbzitaten, mit denen dieser Schritt begründet wurde, hatten die Vorgänger von Franziskus sich mit ihren Angeboten nicht bloß versöhnlich an die Traditionalisten außerhalb der Kirche gewandt. Johannes Paul der II. sprach von einem „berechtigten Anliegen der Gläubigen”, Gott in diesem Ritus Gott zu ehren. Benedikt XVI erklärte, dass etwas, das der Kirche heilig war und immer noch vielen ist, nicht verboten werden könne.

Und doch stehen jene Traditionsverbundenen nun (ebenfalls beispiellos) von einem Tag auf den Anderen vor der Wahl zwischen einem jesuitsch-soldatisch verlangtem Kadavergehorsam und der absolut legitimen Sehnsucht ihres Herzens. Sie verstehen nicht, warum das ungehorsame Regenbogenfahnen-Hissen und Paare-Segnen – verboten durch den gleichen Papst – der Einheit scheinbar weniger schadet, als das fromme Beten, das sie in einer gewachsenen Form mit einigen der schönsten Ausdrucksformen der Jahrhunderte mit allen von der Kirche verehrten Heiligen verbindet.

Das kann für kein katholisches Herz Sinn ergeben. Es muss zerspringen. Und es zerspringt in diesen Tagen eben gerade nicht jenen, die schon lange außerhalb der Einheit stehen. Diese sehen sich lediglich in ihrer Einschätzung bestätigt, dass der Mann aus Argentinien von Anfang an ein ungeheuerlicher Ketzer war. Getreten wie Hunde werden jene, die als Seelsorger – gerade in Pfarreien – eine Brücke zwischen der neuen und der alten Form gebildet haben, indem sie friedlich Gläubigen in beiden dieser legitimen Ausdrucksformen des westlichen Kults dienten. Sie wussten um die Schwächen der Gläubigen hier und dort in beiden Riten. Aber ihre Person selbst war Zeugnis für Einheit mit Kirche und Papst. Getreten wie Hunde werden jene, die sich zu einem Dienst in Gemeinschaften entschieden, welche nicht minder die Einheit mit dem Papst betonen. Getreten wie Hunde werden jene, welche die überlieferte Liturgie besuchen um der tödlichen Willkür schlecht ausgebildeter Priester zu entgehen, die eine One-Man-Show von einem sakralen Opferakt nicht mehr zu unterscheiden wissen.

Zuletzt bringt dieses Motu Proprio die Bischöfe, welche den päpstlichen Willen mit rigider, liebloser Gewalt durchsetzen sollen, an die Grenzen ihrer Glaubwürdigkeit. Wie etwa soll ein Kardinal Schönborn, der vor aller Augen wohlwollend, klatschend zusah, wie ein Schauspieler in einer Jedermann-Inszenierung mit Bierflasche auf die Kommunionbank des Stephansdoms sprang – jener dort noch täglich von Gläubigen benutzten Erweiterung des heiligen Altars - nun in Wien vitale, fruchtbringende Gemeinschaften mit der Geisel eines toten Gehorsams aus dem Tempel Gottes in den Untergrund oder in die Arme schismatischer Gruppierungen treiben, ohne jegliches Vertrauen zu verlieren?

Bischöfe werden vor die unmögliche Wahl gestellt, dieses Motu Proprio einfach zu ignorieren – wie sie es, zugegeben, mit den meisten an sie gerichteten Dokumenten schon seit Jahrzehnten tun; oder ihr plötzlicher, eifriger Gehorsam steht in so eklatantem Widerspruch zu ihrer Untätigkeit in der Verhinderung aller anderen spalterischen Tendenzen, dass nicht nur jeder Sehende hier und jetzt, sondern auch die Einwohner von Sodom und Gomorrah am Jüngsten Tag gegen sie Zeugnis ablegen werden.

„Cancel Culture”, so die eigentlich bereits durchgesickerte weltliche Lehre unserer Zeit, radikalisiert und vertieft die Gräben nur. Und doch, trotz all dieses offensichtlichen Irrsinns, der nie zu größerer Einheit führen kann und damit das Anliegen des Papstes selbst untergräbt, haben die ersten Bischöfe, die sich demütig Diener Christi nennen und mit dem Symbol des Kreuzes schmücken, begonnen, mit eiserner, gold-beringter Faust nicht gegen isolierbare Missstände, sondern gegen die Tradition als Ganzes vorzugehen. Die „Alte Messe“ muss weg, grölt mancher siegestrunken in den Ordinariaten! Bischof Angel Luis Rios-Matos (Prot. No. 062-0M-2021), von Mayaguez (Puerto Rico), etwa, sieht sich gar mit solcher Machtfülle gegen die kleinen Schafe Christi beseelt, dass er seinen Hirtenstab nicht nur gegen die „Alte Messe” schwingt und zur Sicherheit den Priestern jede Fürsprache für die überlieferte Liturgie untersagt, sondern auch noch gleich die römische Form der Messgewänder, das Segensvelum oder die Verwendung einer Bursa verbietet, weil er – in bezeichnender, völliger Unkenntnis der geltenden liturgischen Bücher – meint, diese Dinge seien dem „alten Ritus” zugeordnet.

Werden nun offensichtlich Blinde – im theologischen Sinn – vom Wahn erfasst? Ist ihr Dienst denn wahrlich Auslöschung? Kommt kein Einlenken mehr, Reue und rasche Umkehr? Dann müssen die Gläubigen einmal mehr die Backen hinhalten. Nur gibt es keine Impfung gegen eine solch bischöfliche Tollwut. Es gibt für die Gläubigen – wenn sie sich retten und Zeugen Christi sein wollen - nur Feindesliebe und Beharrlichkeit im Guten. Dass zu diesem „Guten” die Messe – auch in der alten Form - gehört, daran kann niemand zweifeln, der nicht selbst im Herzen blind geworden ist.

 

Gezeichnet von einem anonymen Priester - anonym, weil nun die Zeit des Untergrunds begonnen hat. Hab keine Angst du kleine Herde. Christus ist bei dir. Nicht alle Hirten werden dich verraten.

 


© 2021 www.kath.net