Die Großeltern: die Bewahrer und oft Zeugen der Grundwerte des Lebens

26. Juli 2021 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: am Festtag der heiligen Eltern der Gottesmutter Joachim und Anna. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Sie sind die Eltern der Jungfrau Maria, Joachim und Anna, die Heiligen, derer die Weltkirche heute gedenkt. In den Jahren seines Pontifikats hatte Benedikt XVI. anlässlich dieses Jubiläums oder bestimmter Audienzen, die dem Thema der Familie gewidmet waren, gerne innegehalten, um die „andere“ Rolle zu betrachten, die Joachim und Anna gespielt haben: die der „Großeltern“ Jesu.

Ein Thema, dem der Papst immer wieder eine Reflexion über die Art und Weise, wie heutige Familien die Anwesenheit der Großeltern im eigenen Haushalt leben, hinzugefügt hatte, wie auch Alessandro De Carolis von Radio Vaticana im Jahr 2012 unterstrich.

Die Frage mag nicht originell sein, aber selbst der zerstreuteste Christ wird sich mindestens einmal über die Heiligen Joachim und Anna die Frage gestellt haben: was muss es bedeutet haben, der Vater und die Mutter von Maria und der Großvater und die Großmutter von Jesus zu sein? Unter den vielen gibt es sicherlich eine Gewissheit: die Liebe, die die Mitglieder dieses ganz besonderen Hauses vereinte, ist eine Ikone, auf die man schauen sollte, um die Schönheit familiärer Bindungen in einer Zeit zu verstehen, in der – wie Benedikt XVI. feststellte – „der sich verbreitende Relativismus“ und „neue Familienmodelle“ die Grundwerte der traditionellen Familie geschwächt“ haben und damit die Rolle der Großeltern brüchiger geworden ist:

„Ich freue mich über das Zusammentreffen mit euch zum Abschluss der XVIII. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie, deren Thema lautete: »Die Großeltern: Ihr Zeugnis und ihre Gegenwart in der Familie«...

Heute hat die wirtschaftliche und soziale Entwicklung tiefgreifende Veränderungen im Familienleben mit sich gebracht. Die Alten, darunter viele Großeltern, kommen sich oft wie auf einer Art »Parkplatz« vor: Manche merken, daß sie der Familie zur Last fallen, und ziehen es vor, alleine oder in Altenheimen zu leben – mit allen Konsequenzen, die diese Entscheidungen mit sich bringen“ (An die Teilnehmer der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie, 5. April 2008).

Diese Anprangerung hat nichts von ihrer Aktualität verloren, im Gegenteil. Die Ausgrenzung älterer Menschen ist eine lange Geschichte, die vor allem im Sommer jedes Jahr zu einer neuen Nachricht wird. Und so braucht es jemanden, der das nicht vergisst und Respekt für diejenigen einfordert, die nicht mehr viel Kraft haben, selbst darum zu bitten, manchmal nicht einmal von ihren eigenen Angehörigen:

„Wenn die Großeltern, wie es oft und von vielen Seiten heißt, eine wertvolle Ressource darstellen, müssen konsequente Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden, die es gestatten, sie so gut wie möglich aufzuwerten. 

Die Großeltern sollen wieder in der Familie, in der Kirche und in der Gesellschaft lebendig gegenwärtig sein. Was die Familie betrifft, so sollen die Großeltern weiterhin Zeugen der Einheit und der Werte sein, die auf der Treue zu einer einzigen Liebe gründen, die den Glauben und die Lebensfreude hervorbringt“ (An die Teilnehmer der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie, 5. April 2008).

Da ist aber noch ein weiterer Aspekt, den das Fest der Heiligen Joachim und Anna in den Vordergrund stellt:

„Eine zweite Anregung zum Nachdenken geht vom heutigen Gedenktag der hll. Joachim und Anna aus, der Eltern der Gottesmutter und somit der Großeltern Jesu. Dieses Fest läßt an das Thema der Erziehung denken, das einen wichtigen Platz in der Seelsorge der Kirche einnimmt. Es lädt uns insbesondere dazu ein, für die Großeltern zu beten, die in der Familie die Bewahrer und oft Zeugen der Grundwerte des Lebens sind. Die erzieherische Aufgabe der Großeltern ist immer sehr wichtig, und sie wird noch wichtiger, wenn die Eltern aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, eine angemessene Präsenz bei den heranwachsenden Kindern zu gewährleisten. Dem Schutz der hl. Anna und des hl. Joachim empfehle ich alle Großeltern der Welt und erteile ihnen einen besonderen Segen. Die Jungfrau Maria, die einer schönen Ikonographie nach auf den Knien ihrer Mutter Anna das Lesen der Heiligen Schrift erlernte, helfe ihnen, an den Quellen des Wortes Gottes stets den Glauben und die Hoffnung zu nähren“ (Angelus am 26. Juli 2009 in Les Combes, Aosta-Tal).

Benedikt XVI., an die Teilnehmer der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie: „Die Großeltern: Ihr Zeugnis und ihre Gegenwart in der Familie“, 5. April 2008)

Meine Herren Kardinäle, 
verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt, 
liebe Brüder und Schwestern! 

Ich freue mich über das Zusammentreffen mit euch zum Abschluß der XVIII. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie, deren Thema lautete: »Die Großeltern: Ihr Zeugnis und ihre Gegenwart in der Familie«. Ich danke euch, daß ihr meinen Vorschlag von Valencia aufgenommen habt, wo ich sagte: »Unter keinen Umständen dürfen sie [die Großeltern] aus dem Kreis der Familie ausgeschlossen werden. Sie sind ein Schatz, den wir den heranwachsenden Generationen nicht vorenthalten dürfen, vor allem wenn sie ihren Glauben bezeugen.« Ich begrüße besonders Kardinal Ricardo Vidal, Erzbischof von Cebu, Mitglied des Leitungsausschusses, der die Gefühle von euch allen zum Ausdruck gebracht hat, und denke ganz herzlich an den lieben Kardinal Alfonso López Trujillo, der das Dikasterium seit 18 Jahren mit Hingabe und Kompetenz leitet. Wir vermissen ihn unter uns. Ihm gilt unser Wunsch für eine rasche Genesung und unser Gebet. 

Das Thema, mit dem ihr euch auseinandergesetzt habt, ist allen sehr vertraut. Wer erinnert sich nicht an seine Großeltern? Wer kann ihre Anwesenheit und ihr Zeugnis in der eigenen Familie vergessen? Wie viele von uns tragen zum Zeichen für Kontinuität und Dankbarkeit den Namen ihrer Großeltern! In den Familien ist es üblich, nach dem Hinscheiden der Großeltern ihrer am Jahrestag ihres Todes mit einer Seelenmesse und, wenn möglich, mit einem Besuch am Grab zu gedenken. Solche und andere Liebes- und Glaubensgesten sind Ausdruck unserer Dankbarkeit ihnen gegenüber. Sie haben sich für uns hingegeben, sich aufgeopfert, in bestimmten Fällen auch hingeopfert. 

Die Kirche hat den Großeltern stets dadurch besondere Aufmerksamkeit erwiesen, daß sie ihren großen Reichtum unter dem menschlichen und sozialen wie auch unter dem religiösen und spirituellen Gesichtspunkt anerkannte. Meine verehrten Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. – dessen dritten Todestag wir vor wenigen Tagen begangen haben – haben in ihren Ansprachen wiederholt die Hochachtung hervorgehoben, die die kirchliche Gemeinschaft für die alten Menschen, für ihre Hingabe und Spiritualität hat. Im besonderen rief Johannes Paul II. während des Jubiläumsjahres 2000 im September auf dem Petersplatz die Welt der »Senioren« zusammen; bei dieser Gelegenheit sagte er: »Trotz der Einschränkungen, die mit dem Alter verbunden sind, bewahre ich mir die Lebensfreude. Dafür danke ich dem Herrn. Es ist schön, sich bis zum Ende für die Sache Gottes zu verzehren.« Diese Worte sind in der Botschaft enthalten, die der Papst ein Jahr zuvor, im Oktober 1999, an die alten Menschen gerichtet hatte und die ihre menschliche, soziale und kulturelle Aktualität unversehrt bewahrt. 

Eure Vollversammlung hat sich mit dem Thema der Präsenz der Großeltern in Familie, Kirche und Gesellschaft mit einem Blick auseinandergesetzt, der die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu erfassen vermag. Wir wollen diese drei Momente kurz analysieren. In der Vergangenheit hatten die Großeltern eine wichtige Rolle im Leben und Wachsen der Familie. Auch in vorgerücktem Alter waren sie weiterhin mit ihren Kindern, ihren Enkeln und sogar Urenkeln zusammen und gaben ein lebendiges Zeugnis liebevoller Sorge, Aufopferung und tagtäglicher vorbehaltloser Hingabe. Sie waren Zeugen einer persönlichen und gemeinsamen Geschichte, die in ihren Erinnerungen und in ihrer Weisheit weiterlebte. Heute hat die wirtschaftliche und soziale Entwicklung tiefgreifende Veränderungen im Familienleben mit sich gebracht. Die Alten, darunter viele Großeltern, kommen sich oft wie auf einer Art »Parkplatz« vor: Manche merken, daß sie der Familie zur Last fallen, und ziehen es vor, alleine oder in Altenheimen zu leben – mit allen Konsequenzen, die diese Entscheidungen mit sich bringen. 

Die »Kultur des Todes«, die auch das Lebensalter der Senioren bedroht, scheint leider immer weiter voranzuschreiten. Mit wachsender Hartnäckigkeit gelangt man sogar dazu, die Euthanasie als Lösung für die Bewältigung gewisser schwieriger Situationen vorzuschlagen. Es ist daher notwendig, das Alter mit seinen Problemen, die auch mit den neuen familiären und sozialen Rahmenbedingungen aufgrund der modernen Entwicklung zusammenhängen, immer aufmerksam und im Licht der Wahrheit über den Menschen, die Familie und die Gemeinschaft zu bewerten. Es gilt, immer energisch auf alles zu reagieren, was die Gesellschaft entmenschlicht. Die Pfarr- und Diözesangemeinden werden von dieser Problematik nachdrücklich auf den Plan gerufen und versuchen, auf die heutigen Bedürfnisse der alten Menschen einzugehen. Es gibt kirchliche Vereinigungen und Bewegungen, die sich dieses wichtigen und dringenden Anliegens angenommen haben. Es ist erforderlich, sich zusammenzuschließen, um gemeinsam jede Form der Ausgrenzung zu überwinden, denn von der individualistischen Gesinnung werden nicht nur sie – die Großväter, Großmütter, die alten Menschen – überrollt, sondern alle. Wenn die Großeltern, wie es oft und von vielen Seiten heißt, eine wertvolle Ressource darstellen, müssen konsequente Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden, die es gestatten, sie so gut wie möglich aufzuwerten. 

Die Großeltern sollen wieder in der Familie, in der Kirche und in der Gesellschaft lebendig gegenwärtig sein. Was die Familie betrifft, so sollen die Großeltern weiterhin Zeugen der Einheit und der Werte sein, die auf der Treue zu einer einzigen Liebe gründen, die den Glauben und die Lebensfreude hervorbringt. Die sogenannten neuen Familienmodelle und der sich verbreitende Relativismus haben diese Grundwerte der Kernzelle der Familie geschwächt. Die Übel unserer Gesellschaft – wie ihr im Verlauf eurer Arbeiten mit Recht festgestellt habt – bedürfen dringend der Heilmittel. Könnte man angesichts der Krise der Familie nicht vielleicht einen Neuanfang setzen mit der Gegenwart und dem Zeugnis derjenigen – nämlich der Großeltern –, die über eine größere Überzeugungskraft für Werte und Vorhaben verfügen? Man kann nämlich die Zukunft nicht planen, ohne auf eine Vergangenheit zurückzugreifen, die voller bedeutsamer Erfahrungen und geistlicher und moralischer Bezugspunkte ist. Wenn ich an die Großeltern, an ihr Zeugnis der Liebe und Treue zum Leben denke, fallen mir die biblischen Gestalten von Abraham und Sara, Elisabet und Zacharias, Joachim und Anna sowie auch die hochbetagten Simeon und Hanna oder auch Nikodemus ein: sie alle erinnern uns daran, daß der Herr von einem jeden in jedem Lebensalter das Einbringen seiner Talente fordert. 

Richten wir nun den Blick auf das VI. Welttreffen der Familien, das im Januar 2009 in Mexiko stattfinden wird. Ich begrüße Kardinal Norberto Rivera Carrera, Erzbischof von Mexiko-Stadt, der hier anwesend ist, und danke ihm für alles, was er in diesen Vorbereitungsmonaten zusammen mit seinen Mitarbeitern bereits verwirklicht hat. Alle christlichen Familien der Welt blicken auf diese der Kirche »immer treue« Nation, die allen Familien der Welt ihre Tore öffnen wird. Ich lade die kirchlichen Gemeinschaften, besonders die Familiengruppen, die Bewegungen und Vereine für Familien, ein, sich geistlich auf dieses gnadenreiche Ereignis vorzubereiten. Verehrte und liebe Brüder, ich danke euch noch einmal für euren Besuch und für die in diesen Tagen vollbrachte Arbeit; ich versichere euch meines Gedenkens im Gebet und erteile euch und euren Lieben von Herzen den Apostolischen Segen.

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Zum Bild: Die „Begegnung von Anna und Joachim am Goldenen Tor“ ist ein Fresko (200x185 cm) von Giotto, das auf die Zeit um 1303-1305 datiert wird und Teil des Zyklus in der Scrovegni-Kapelle in Padua ist. Es ist die letzte der Geschichten von Joachim und Anna im obersten Register der rechten Wand, mit Blick zum Altar.

 


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