"Der Skandal, der keiner war"

11. August 2021 in Buchtipp


Historiker Hubert Hecker entlarvt Kampagnenjournalismus gegen die Kirche anhand des „Kölner Klinikskandals“ im Jahr 2013, der in Wahrheit ein Medienskandal war. Gastbeitrag von Michael Hesemann


Köln (kath.net) Eine junge Frau, die im Kölner Nachtleben gefeiert hat, wacht aus dem durch „k.o.-Tropfen“ verursachten Koma auf und befürchtet, vergewaltigt worden zu sein. Auf einer Notfallambulanz im Stadtteil Nippes wird sie von der diensthabenden Ärztin Irmgard Maiworm betreut und auf das Risiko einer Schwangerschaft hingewiesen. Die Ärztin stellt ihr ein Rezept für die „Pille danach“ aus, rät ihr aber, sich zur Sicherung gerichtsverwertbarer Spuren gynäkologisch untersuchen zu lassen. Zu diesem Zweck, der Anonymen Spurensicherung nach Sexualdelikten, war in Köln das ASS-Netzwerk gegründet worden, das an die beteiligten Kliniken eigene Untersuchungs-Sets ausgegeben hatte. In dem Glauben, dass es noch zum ASS-Netz gehört, ruft Maiworm also im katholischen St. Vinzenz-Hospital, dann im ebenfalls katholischen Heilig-Geist-Krankenhaus an. In beiden Fällen erklärt man ihr, dass man diese Untersuchung nicht mehr durchführen könne, da beide Krankenhäuser ein paar Monate zuvor aus dem ASS-Netz ausgetreten seien. Schließlich schickt Maiworm ihre Patientin in eine weltliche Klinik.

Aus Stationsklatsch und eigenen Ressentiments gegen die Kirche spinnt Maiworm sich eine Geschichte zusammen, die eigentlich eine klassische Verschwörungstheorie ist. Diese Geschichte erzählt sie erst einem befreundeten WDR-Journalisten, dann erfährt ein Skandalreporter des notorisch kirchenfeindlichen „Kölner Stadtanzeigers“ von dem Vorfall, der, vom tragischen Schicksal der jungen Frau einmal abgesehen, eigentlich völlig belanglos war. Die mutmaßlich Vergewaltigte war ordentlich betreut worden, es ging nur noch darum, wer in der Lage war, eine forensische Spurensicherung vorzunehmen. Zwei Kliniken fehlte das Untersuchungs-Set, eine dritte sagte zu. Der Skandalreporter des „KStA“, Peter Berger, interessierte sich jedoch nicht für die Tat und die Täter und noch weniger für ihr Opfer. Für ihn lieferte der Vorfall vielmehr einen Vorwand zu einem der massivsten Angriffe auf die katholische Kirche und den 2017 verstorbenen heiligmäßigen Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner. Eine unbarmherzige Kirche habe einer vergewaltigten Frau in ihrer Notsituation jede Hilfeleistung versagt, behauptete er. Kirchliche Krankenhäuser würden auf Weisung des Kardinals sogar generell Vergewaltigungsopfer abweisen, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, die „Pille danach“ verschreiben zu müssen.

Nichts davon war, wie gesagt, wahr. Der Vergewaltigten war bereits geholfen, sogar die „Pille danach“ verschrieben worden. Niemand hatte sie abgewiesen. Es ging lediglich um die Frage, wer die forensische Spurensicherung vornehmen konnte, sprich: wer das Test-Set vor Ort parat hatte.

Das alles ereignete sich im Januar 2013. Doch es ist auch ein exemplarischer Fall, ein Lehrbuchbeispiel ersten Ranges, das aufzeigt, wie antiklerikaler Kampagnenjournalismus agiert, welche Stolperfallen es dabei auch für Kirchenvertreter gibt (die allzu schnell und oft völlig unnötig das „mea culpa“ anstimmen und damit scheinbar Vorwürfe bestätigen, die tatsächlich erstunken und erlogen sind), welche Strategien einzuschlagen wären und wie journalistische Schaumschläger zu entlarven und mit ihren eigenen Waffen zu schlagen sind. Darum sollte jeder katholische Journalist, aber auch jeder Amtsträger und Vertreter der Kirche Hubert Heckers sachliche Dokumentation „Der Kölner Kliniken-/Medienskandal“ unbedingt lesen. Denn was der Autor, ein Historiker und Oberstudienrat a.D., hier mit 350 Quellenverweisen dokumentiert, ist entlarvend für den verkommenen Zustand des deutschen Journalismus in der Ära Merkel, eine Presse, die leider wirklich manchmal ziemlich unverfroren lügt. Der Fall Relotius war da nur der Gipfel eines ziemlich schmutzigen Eisberges!

Die Grundregel der Rechtsprechung wie des seriösen Journalismus, das „audiatur et altera pars“ (Höre auch die andere Seite!), wurde dabei schlichtweg ignoriert. Weder der Reporter Berger noch seine Kollegen machten sich die Mühe, bei den katholischen Kliniken nachzufragen, was nun wirklich geschehen war. Eine Recherche, selbst die oberflächlichste, fand schlichtweg nicht statt. Es genügte, Frau Maiworm zu hören und aus ihrer nicht nur einseitigen, sondern auch von antikatholischen Ressentiments geprägten Aussage eine Skandalstory zu stricken, die wie auf Knopfdruck öffentliche Empörung bewirken und eine Eskalationslawine auslösen sollte, die sich letztendlich gegen den an der Sache völlig unbeteiligten Kardinal und die Ethik der katholischen Kirche richtete. Denn trotz aller Unterstellungen von KStA und Konsorten hatte es nie eine Anweisung Meisners gegeben, wen die katholischen Kliniken nun behandeln und welche Medikamente sie verschreiben durften. Das Blatt hatte frech gelogen, als es behauptete, der Kardinal habe „Ärzte unter Druck gesetzt“. Tatsächlich unterstehen die besagten Kliniken dem Orden der Cellitinnen und nicht dem Erzbischof Köln. Und nach der „Pille danach“ hatte in der fraglichen Nacht ohnehin niemand gefragt.

Aus dem Missbrauch eines Vergewaltigungsopfers durch die Kölner Schmutzpresse wurde bald eine Medienkampagne. „Das gegenseitige Aufschaukeln von Redaktion und Leserschaft war ein weiteres Triebrad im Mechanismus der Skandalisierung“, stellt Hecker treffend fest. Der linke Landessender WDR mit Sitz in Köln tat das seinige dazu, die Eskalationsspirale anzutreiben. Auch in den TV-Beiträgen kam nur Maiworm zu Wort. Die bundesdeutsche Presse griff den Vorfall auf, kolportierte aber lediglich die Sichtweise des KStA. Politiker wie Jens Spahn von der CDU und Karl Lauterbach von der SPD hauten gleichermaßen auf die Empörungspauke. Spahn bezeichnete es als „zutiefst unchristlich und unbarmherzig, wie sich die Krankenhäuser gegenüber der Frau in Not verhalten haben“, Lauterbach warf den Kliniken „so viel Unmenschlichkeit“ vor und forderte, sie zur „Strafe … vom Netz (zu) nehmen“. Nur zur Erinnerung: Die Frau war nirgendwo abgewiesen worden, ihre Notfallversorgung hatte bereits stattgefunden! Sven Lehmann von den NRW-Grünen schließlich forderte vom völlig unbeteiligten Erzbischof, eben Kardinal Meisner, sich von „seinen mittelalterlichen Dogmen (und) verqueren Moralvorstellungen … zu verabschieden.“

Das alles gipfelte in einem Inquisitionstribunal der Zeitgeist-Jünger unter Vorsitz von Günther Jauch, der selbst bereits als „Stern-TV“-Moderator in diverse Presseskandale verwickelt war. Unter dem Titel „In Gottes Namen … wie gnadenlos ist der Konzern Kirche?“ wetterte, hetzte und polemisierte der meistüberschätzte Moderator des deutschen Fernsehens in einer Art Schauprozess gegen die Kirche, ihre Morallehre und den Lebensschutz, um schließlich jede Kinderstube und die Illusion journalistischer Neutralität über Bord zu werfen und übergriffig zu werden: den katholischen Publizisten und Lebensrechtler Martin Lohmann, der eingeladen worden war, um die Lehre der Kirche zu erläutern, brüskierte er – unter Wortbruch gegen vorherige Absprachen mit dem Kollegen, nicht persönlich werden zu wollen, weil es ihm ja allein um die Lehre der Kirche zum Lebensschutz gehe – mit dem Totschlagargument, ob er denn seiner 13jährigen Tochter im Fall einer Vergewaltigung die „Pille danach“ verweigern würde. Jauch hatte keine Scham, Lohmanns Tochter auf diese Weise zu „missbrauchen“.

Freilich das traurigste Kapitel in Heckers sauberer Dokumentation beschreibt den hilflosen Umgang der Kirche mit den haltlosen Vorwürfen. Statt von Anfang an in die Offensive zu gehen, die Kampagne als solche zu entlarven und die haltlosen Vorwürfe zu widerlegen, gingen zuerst die Kliniken und dann noch das eigentlich unbeteiligte Erzbistum in die Defensive, entschuldigten sich (wofür?) und schütteten damit Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner, die sie, ganz im Sinne Voltaires, letztendlich zermalmen wollen. Der herzensgute, aber leider in der Auswahl seiner Berater oftmals unkritische Kardinal Meisner ließ sich sogar von gewissen Beratern (offenbar mit guten Kontakten zur Pharmaindustrie) einreden, einige Versionen der „Pille danach“ hätten gar keine abtreibende Wirkung, obwohl sowohl die römische Glaubenskongregation wie auch diverse Ärzteverbände inklusive führender Gynäkologen dem deutlich widersprachen.

So kam es, wie es kommen musste: Die Kirche, allen voran der Erzbischof, gingen, obwohl sie völlig korrekt gehandelt hatten, schwer beschädigt aus dem „Kölner Klinikskandal“ hervor, während der Skandalreporter Berger und sein Kollege, der (aus biografischen Gründen) notorische Kirchenhasser Joachim Frank, noch mit Journalistenpreisen für ihre Kampagne geehrt wurden. Damit stehen sie in einer Reihe mit Relotius und trugen sicher nicht zum Vertrauen in bundesdeutsche Medien bei. Doch der Weg war frei für die nächste Diffamierungskampagne gegen einen lehramtstreuen Kirchenmann, der als Meisners Nachfolger im Gespräch war: den brillanten Theologen und integren Hirten Franz-Peter Tebartz-van Elst, Bischof von Limburg, dessen Achillesferse es war, das ehrgeizige Bauprojekt seines Amtsvorgängers zuende bringen zu müssen.

Das aber macht den „Kölner Klinikskandal“, der in Wahrheit ein Medienskandal war, zu einem relevanten Kapitel bundesdeutscher Zeit- und Kirchengeschichte, das es verdient hat, von Hecker so sauber aufgearbeitet worden zu sein. Antikatholische Affekte, Sensationsgier, journalistische Skrupellosigkeit, aber auch die freiwillige Unterwerfung unter vermeintliche Zeitgeistströmungen und Publikumsanschauungen bereiteten den Boden für eine Stimmungsmache, die schnell zur Treibjagd ausartete. Im Mittelpunkt immer die Frage: Wie kam es, dass niemand sich die Mühe machte, die Vorgänge zu recherchieren? Und die traurige Antwort: Weil sich niemand für die Wahrheit interessiert, wenn die Aussage einer Geschichte stimmt, wenn sie zu dem propagierten Narrativ einer „unmenschlichen“, scheinheiligen, in überkommenen Dogmen verhafteten Kirche passt. Dass dieses Narrativ der „Sicht und Losungen der politischen Elite“ der Ära Merkel entspricht, deutet der Historiker zumindest an: „Ebendiese einseitige, parteiische, belehrende, moralisierende und selbstgleichgeschaltete Berichtsflut habe zum Glaubwürdigkeitsverlust der Medien beigetragen.“ Der Kirche wäre mehr Selbstvertrauen gewünscht, um solch manipulativem Kampagnenjournalismus zu trotzen. Denn sonst wird sie selbst zum Spielball von Kräften, die ihr nun wirklich nichts Gutes wollen.

kath.net-Buchtipp

Der Kölner Kliniken- / Medienskandal
Eine Fallstudie zu Skandalisierungsprozessen, Schwarmjournalismus und Medienpreisen
Von Hubert Hecker
Taschenbuch, 204 Seiten
2021 Tredition; Heckmedien
ISBN 978-3-00-068482-1
Preis Österreich: 11.40 EUR


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