10. August 2021 in Kommentar
Die Impfstraße im Wiener Stephansdom gefährdet den innerkirchlichen Gesellschaftsvertrag - Ein Gastkommentar von Christian Spaemann
Wien (kath.net)
Jetzt ist es soweit, von kommendem Donnerstag an, bis Sonntag, Mariä Himmelfahrt, wird im Wiener Stephansdom von morgens bis abends, auch während der hl. Messen, geimpft. Wie aus Mails an Priester der Erzdiözese Wien hervorgeht, werden noch händeringend zwei Priester gesucht, die bereit sind, sich während der am kommenden Mittwoch stattfindenden Pressekonferenz vor laufender Kamera einer Impf-Simulation zu unterziehen. Dieses kirchliche Schmierentheater kann nur im Zusammenhang mit einer, Jahre zurückreichenden Entwicklung verstanden werden. Es geht um nichts weniger als eine schleichende Auflösung dessen, was man als innerkirchlichen Gesellschaftsvertrag bezeichnen könnte. Was ist damit gemeint?
Die Amtsträger der Kirche, vom Papst bis hinab zum Kaplan in der Pfarrei nebenan, werden von den Gläubigen nicht gewählt. Die Akzeptanz dieser nichtdemokratischen Struktur der Kirche durch Christen, die es ansonsten gewohnt sind, als freie Bürger in einer demokratischen Gesellschaft zu agieren, ist nicht voraussetzungslos. Diese Akzeptanz impliziert nämlich, dass sich die Amtsträger der Kirche als Sachwalter ihres Gründers verstehen. Dazu gehört, dass sie mit Verlässlichkeit und Transparenz die objektiven Angelegenheiten des Glaubens, der Sakramente, der Seelsorge und der Moral vertreten, so dass sich Gläubige unterschiedlicher Herkunft und sozialer Stellung und unterschiedlicher politischer und wissenschaftlicher Ansichten mit dem Handeln ihrer Bischöfe identifizieren können.
Hierzu gehört auch, die Freiheitsrechte der Menschen, ihre Würde und ihre Unversehrtheit zu verteidigen. Im konkreten Fall hieße das, nicht Impfstraßen in Sakralräumen aufzubauen oder das Wohlgefallen der Behörden erregen zu wollen, sondern sich umgekehrt gerade in dieser Situation gegen jede Art von gesellschaftlichem Zwang zur Impfung stark zu machen. Pius XI war es, der sich 1930 in seiner Enzyklika Casti connubii in prophetischer Weise vehement für die körperliche Integrität des Menschen gegenüber staatlichen Übergriffen eingesetzt hat. Die derzeit laufende Impfkampagne ist in ihrem Ausmaß und ihren Folgen für unsere Gesellschaft sowohl unter den Spitzen der medizinischen Wissenschaft, als auch unter Top-Juristen und Staatsrechtlern höchst umstritten.
Wenn sich hier Amtsträger der Kirche öffentlich auf eine Seite schlagen, stellt dies einen, für viele Gläubige unerträglichen Klerikalismus dar. Dieser Klerikalismus hat sich schon seit vielen Jahren angebahnt. Denken wir nur an die Eigenmächtigkeiten in der Liturgie oder die einseitige Haltung vieler Bischöfe in der Migrationskrise, die christliche Kritiker der Migrationspolitik ohne sachliche theologische Grundlage ausgegrenzt hat. Diese Eigenmächtigkeiten führen zu einem allmählichen Prozess der Delegitimierung und des Autoritätsverlustes der kirchlichen Hierarchie, für den man vor allem in der staats- und kirchensteuerfinanzierten Kirche der Länder deutscher Sprache blind zu sein scheint. Zurück zur Impfstraße im Wiener Stephansdom.
In der Coronakrise wurde und wird in vielen Staaten dieser Erde durch den Einfluss mächtiger Konzerne, die Begehrlichkeiten der Politik und das Agieren keineswegs unabhängiger Medien mit Berufung auf die Wissenschaft ein scheinbar alternativloser Diskursrahmen vorgegeben. Solch eine Konstellation ist immer problematisch und gefährdet das Allgemeinwohl. Sie führt zu einer dramatischen Spaltung innerhalb der Gesellschaft, bis hinein in die Familien. Die Bischöfe hätten die Chance, durch ausgewogene, Weisheit und Weitblick vermittelnde Stellungnahmen, zu versuchen, diese Spaltung wenigstens unter den Gläubigen abzumildern. Das Gegenteil ist nun der Fall.
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