12. August 2021 in Spirituelles
Warum diese Härte, ohne einen Funken Gnade oder Mitgefühl? - Ein Kommentar von P. Daniel-Ange zum jüngsten Motu Proprio Traditionis custodes
Rom (kath.net/as/red)
Pater Daniel Ange ist einer der bekanntesten Priesterpersönlichkeiten Frankreichs und Gründer der Gebets- und Evangelisationsschule "Jeunesse Lumiere", aus der auch zahlreiche Priesterberufungen hervorgingen. Nach 30 Jahren monastischen Lebens (davon 12 Jahre in Rwanda), hatte P. Daniel Ange in den 80er-Jahren den Ruf gespürt, die frohe Botschaft zu den Jugendlichen zu bringen. Bei Veranstaltungen der Charismatischen Erneuerung im deutschen Sprachraum kamen regelmäßig viele tausende Menschen zu seinen Veranstaltungen.
kath.net veröffentlicht exklusiv für den deutschen Sprachraum ein Schreiben des Priesters zum Motu proprio Traditionis custodes:
Ich bin verblüfft und bestürzt über dieses Motu proprio. Das Mindeste, was wir sagen können, ist, dass es uns umhaut! Ich teile die Tränen so vieler meiner Freunde und Verwandten. Ich bete, dass sie nicht zu Bitterkeit, Verbitterung, wenn nicht gar zu Aufruhr und Verzweiflung verleitet werden.
Warum diese Härte, ohne einen Funken Gnade oder Mitgefühl? Wie können wir nicht verblüfft, destabilisiert sein?
Natürlich gibt es unter diesen katholischen Brüdern, die an der Tradition hängen, einige, die - ach! ach! - verhärtet, starr, verschlossen, in ein Ghetto zurückgezogen, bis hin zur Verweigerung der Konzelebration bei der Chrisam-Messe - was unzulässig ist. Aber hätte es für diese kleine Minderheit nicht ausgereicht, eine deutliche Ermahnung auszusprechen, verbunden mit der möglichen Androhung von Sanktionen? Inspiriert durch das Buch der Weisheit: “Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden und an dich glauben, Herr. Doch selbst jene hast du geschont, weil sie Menschen waren; du sandtest deinem Heer Wespen voraus, um sie nach und nach zu vernichten. vollzogst du doch erst nach und nach die Strafe und gabst Raum zur Umkehr. Dabei wusstest du genau, dass ihr Ursprung böse und ihre Schlechtigkeit angeboren war und dass sich ihr Denken in Ewigkeit nicht ändern werde” (12, 2,8,10).
Erfrischende Oasen in einer Wüste des allgemeinen Glaubensabfalls
Aber weiß der Papst, wenn er nur von Frankreich spricht, dass es dort wunderbar strahlende Gruppen und Gemeinschaften gibt, die viele junge Menschen, junge Paare und Familien anziehen? Der Sinn für das Heilige, die Schönheit der Liturgie, die kontemplative Dimension, die schöne lateinische Sprache, die Fügsamkeit gegenüber dem Sitz Petri, der eucharistische Eifer, die häufige Beichte, die Treue zum Rosenkranzgebet, die Leidenschaft für die zu rettenden Seelen und so viele andere Elemente, die sie nicht finden - ach! - in vielen unserer Kirchengemeinden.
Sind nicht alle diese Elemente prophetisch? Sollten sie uns nicht herausfordern, anregen, antreiben? War dies nicht die Intuition des Heiligen Johannes Paul II. in seinem Motu proprio "Ecclesia Dei”?
In ihren Gemeinden dominieren junge Menschen, Haushalte und Familien, die sonntags zu fast 100 % anwesend sind. Man soll nicht sagen, dass sie nostalgisch und anachronistisch sind. Im Gegenteil: Latein, Messe ad orientem, Gregorianik, Soutane: das ist alles neu für sie. Es hat den Reiz der Neuheit.
Ist es da verwunderlich, dass Klostergemeinschaften, die das Offizium in lateinischer Sprache halten und manchmal sogar die Eucharistie nach dem Messbuch des Heiligen Johannes XXIII. feiern, florieren und viele junge Menschen anziehen?
Ich denke dabei insbesondere an Gemeinschaften, die ich persönlich kennenlernen durfte und die ich schätze und bewundere, wie die von Le Barroux (Mönche und Nonnen) und ND de la Garde sowie die Missionare der Barmherzigkeit in Toulon. Es soll nicht gesagt werden, dass sie keine Missionare sind! Um die erste herum gruppiert sich unter anderem das Marie-Madeleine-Kapitel mit seinen Hunderten von Teenagern und Jugendlichen, ganz zu schweigen von den Exerzitanten, die sich dort einfinden. Für letztere gibt es keine bessere Möglichkeit, Muslime und unsere kleinen Heiden an den Stränden zu evangelisieren. Ganz zu schweigen von der ständig wachsenden Pfingstwallfahrt nach Chartres.
Zusammen mit den Pfadfindern und der St. Martins-Gemeinschaft ist diese kirchliche Bewegung diejenige, die der Kirche die meisten Priesterberufungen beschert. Ich bin Zeuge der wunderbaren Begeisterung, die im Priesterseminar von Wigratzbad in Bayern herrscht, das dank eines gewissen Kardinals Ratzinger gegründet wurde.
In einer Welt, die so hart ist, in der der Kampf um die Treue zu Jesus und seinem Evangelium ein heroischer ist, in der sie bereits in den Schulen und in ihren Familien an den Rand gedrängt, verachtet und verspottet werden, in der alle ihre Werte verachtet, wenn nicht gar prostituiert werden, in der sie sich schrecklich allein und isoliert fühlen, so unsicher, manchmal am Rande der Verzweiflung: warum, aber warum verweigert man ihnen diese wenigen Festungen, die ihnen die Kraft, den Mut, die Kühnheit geben, in den Widerstand zu gehen und durchzuhalten? Wir befinden uns inmitten einer turbulenten Zeit für die Kirche, inmitten des Zusammenbruchs des Glaubens in der Welt. Der Krieg gegen Christus und seine Kirche ist entfesselt, wir befinden uns mitten in einem Mord-gegen-Fürst-des-Lebens-Duell, junge Menschen haben mehr denn je ein Recht darauf, unterstützt, gestärkt, bewaffnet, einfach gesichert zu werden. Wir sollten ihnen nicht einige unserer schönsten Refugien verschließen. Wie eine Hochgebirgshütte inmitten von tödlichen Gletscherspalten.
In der trockenen Wüste einer Gesellschaft, in der "die stille Abtrünnigkeit des Menschen, der glaubt, ohne Gott glücklich zu sein" (Johannes Paul II. ) an Boden gewinnt, sind diese Gruppen und Gemeinden wahre und erfrischende Oasen. Ihre schönsten Blumen sind die jungen Menschen und sogar Kinder, die die leuchtenden Höhen der Heiligkeit erreicht haben. Wie könnte man Anne-Gabrielle Caron aus der Pfarrei der Missionarinnen der Barmherzigkeit in Toulon unerwähnt lassen, deren Seligsprechungsprozess bereits eingeleitet wurde. Und die kleine Märtyrerin Jeanne-Marie Kegelin im Elsass, deren zwei Brüder Priester der Fraternité S.Pierre sind. (Vorausgesetzt, dies ist nicht der Grund, der diese Sache verzögern würde).
Eine Sterilisationsspritze?
Wie kann man nach all dem verstehen, dass der Papst anscheinend nur auf ihre Auslöschung, Auflösung, pure und einfache Liquidation abzielt? Indem sie einfach die jetzt auferlegten Normen anwenden? Das zeigt sich daran, dass ihre Priester aus ihren Gemeinden herausgerissen werden und ihnen verboten wird, neue Gemeinden zu gründen: Ist das nicht eine Art Sterilisationsspritze? Dass kein neuer Priester des ordentlichen Ritus die so genannte tridentinische Messe ohne die Erlaubnis seines Bischofs feiern kann, der verpflichtet ist, die römischen Richtlinien zu befolgen.
Johannes XXIII. ist nicht mehr Teil des Römischen Ritus, da dessen "einziger Ausdruck" nun das einzigartige Messbuch von Paul VI. ist. Dieser Ritus gehört somit ipso facto der Vergangenheit an, ist überholt und befindet sich in einem Vakuum ohne Gewicht...
Ist dies nicht ein Dolchstoß in den Rücken oder vielmehr in das Herz unseres lieben Benedikt XVI. Sein Geniestreich war es, diesen Ritus zu retten, indem er ihn einfach zur zweiten Variante oder Form des einzigen römischen Ritus machte. Welchen Mut brauchte er! Und dies geschah keineswegs aus reiner Diplomatie oder kirchlicher Politik, wie das Motu Proprio andeutet. Wie oft hat er nicht bekräftigt, dass dieser Ritus, der das christliche Volk geheiligt, die ganze Kirche bewässert und über so viele Jahrhunderte hinweg so viele Früchte der Heiligkeit hervorgebracht hat, heute volles Recht hat und ein fester Bestandteil der lateinischen und römischen Liturgie ist.
Es war ein Skandal, dass man vor 60 Jahren versucht hat, sie zu eliminieren. Und plötzlich, mit einem Federstrich, wird sie von einem Papst außer Kraft gesetzt, der sicherlich weniger liturgisch gesinnt ist als Benedikt XVI.
Wird Benedikt XVI. in seinem klösterlichen Ruhestand seinen Nachfolger um die Erlaubnis bitten müssen, diesen Ritus wieder zu zelebrieren, den er so sehr liebte und den er meisterhaft zu retten wusste?
Gefahr der Spaltung oder Untergrund?
Auch hier ist die Absicht unseres Heiligen Vaters sicherlich schön und gut: die Gemeinschaft im Volk Gottes zu schützen. Der Effekt dürfte jedoch genau das Gegenteil sein.
Ich zittere: viele könnten einfach versucht sein, sich der Ecône und der Gesellschaft St. Pius X. anzuschließen, der Papst Franziskus im Jahr der Barmherzigkeit großzügig die Hand gereicht hat. Vor etwa 40 Jahren trennten sie sich heldenhaft von Erzbischof Lefebvre und kehrten zur Mutterkirche in Rom zurück, wo sie von Papst Johannes Paul II. mit offenen Armen empfangen wurden (wie könnte man die leuchtende Gestalt von Johannes Paul Hivernat von Ecône und dann von Rom und Versailles vergessen, im Gefolge der Heiligkeit). Und nun sind sie gezwungen zu sagen: “Ihr wollt uns nicht mehr: Wir gehen dahin zurück, wo wir hergekommen sind”. So viele Opfer wurden umsonst gebracht! Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben uns geliebt und verstanden, ebenso wie viele wunderbare und mutige Bischöfe, und wir wurden betrogen, von heute auf morgen.
Kurzum, es besteht die reale Gefahr von "Schismen, die auf allen Seiten gedeihen werden, wenn abrupte Bischöfe ihre Macht auf starre Äbte ausüben" (G. Privat). Sonst ist die Versuchung groß, in den Untergrund zu gehen…
Bedeutet die trinitarische Gemeinschaft nicht einen innerkatholischen Ökumenismus?
Ist die kirchliche Gemeinschaft also nicht die der Allerheiligsten Dreifaltigkeit (Joh 17), d.h. die der Schönheit in ihrer Vielfalt? Je größer die Unterschiede sind - unter der Voraussetzung, dass sie als Ergänzung gelebt werden -, desto schöner ist die Kirche. Ist das Anderssein nicht eine Bedingung für die Fruchtbarkeit? Warum fällt es uns so schwer, diese getauften Brüder und Schwestern mit ihrer Sensibilität, ihren Sehnsüchten, ihren spezifischen Charismen zu empfangen, aufzunehmen und zu lieben, auch und gerade wenn sie nicht unsere eigenen sind? Warum sollten wir jungen Menschen, die ohnehin schon so empfindlich sind, unsere eigenen Vorlieben aufzwingen? Sogar in Rom ist ihnen eine Kongregation gewidmet. Wir bewundern ihre prächtigen göttlichen Liturgien, ob koptisch, äthiopisch, armenisch, syrisch, maronitisch, melchitisch, russisch-byzantinisch oder griechisch, und wir weigern uns, die lateinische und römische Liturgie in ihrer traditionellen Form zu akzeptieren!
Es wäre nur logisch, wenn wir das gesamte monastische oder religiöse Leben standardisieren würden! Benediktiner, Zisterzienser, Karmeliten, Klarissen: Auf Wiedersehen! Alle spirituellen Bewegungen sollten in ihrer ganzen lästigen Vielfalt vereinheitlicht werden. Neo-Katechumenat, Fokolar, Charismatische Erneuerung, Oaza, Communione e liberazione: exit! Benediktinische, karmelitische, franziskanische, dominikanische, jesuitische, vinzentinische, salesianische usw. Traditionen und Empfindlichkeiten: Schund! In den Mülleimer!
Nein und nein, Einheit ist nicht Uniformität, sondern Vielfalt! Gemeinschaft ist nicht Horizontalität, sondern Komplementarität!
Der heilige Johannes Paul II. hat es in seinem Motu proprio Ecclesia Dei treffend ausgedrückt: “Es ist aber auch erforderlich, daß alle Hirten und übrigen Gläubigen aufs neue sich bewußt werden, daß die Vielfalt der Charismen sowie der Traditionen der Spiritualität und des Apostolates nicht nur legitim sind, sondern für die Kirche einen Schatz darstellen; so wird die Einheit in der Vielfalt zur Schönheit, - zu jener Harmonie, die die irdische Kirche, vom Heiligen Geist angeregt, zum Himmel emporsteigen läßt”.
Werden Sie die Schreie und Tränen Ihrer eigenen Kinder hören?
Hat der Heilige Vater die Auswirkungen, wenn nicht gar das Erdbeben, das eine solche Unnachgiebigkeit in der Kirche und sogar außerhalb der Kirche auszulösen droht, ermessen? Dass ein Atheist mit einer unbestreitbaren Ausstrahlung wie Michel Onfray es wagt zuzugeben, dass er "bestürzt" ist. Er sagte: "Die lateinische Messe ist das Erbe der Genealogie unserer Zivilisation”. Und mit seinem üblichen Sarkasmus, den ich natürlich nicht teile: "Für diejenigen, die an Gott glauben, ist die lateinische Messe im Vergleich zur Messe am langen ruhigen Fluss das, was die heutige römische Basilika von St. Augustinus für eine Mehrzweckhalle ist”. Augustinus' zeitgenössische römische Basilika mit einer Mehrzweckhalle in einem Wohnblock verglichen: das Heilige und Transzendente sucht man vergeblich."
Hat er an den Schock gedacht, den unsere Brüder in den heiligen orthodoxen Kirchen erleben werden? Das Motu proprio Benedikts XVI., der von ihnen als großer Theologe geschätzt wird, hatte sie beruhigt: dass die lateinische Kirche einen liturgischen Ritus, der Jahrhunderte überdauert hat, treu bewahren und schützen würde. Und jetzt stellen sie die bange Frage: Werden wir ihn nicht wegwerfen?
Hat er das wahrscheinliche Erdbeben unter so vielen jungen Menschen, jungen Paaren, ganzen Familien vorausgesehen, die destabilisiert, verunsichert, entmutigt und zur Revolte verleitet sein werden? Bis jetzt haben sie ihren Papst Franziskus geliebt - so liebenswert und verwirrend er auch ist -, sie waren dem römischen Lehramt treu, und jetzt sind sie hier, bedroht von Zweifeln, Misstrauen, wenn nicht gar Ablehnung, mit dem bitteren Eindruck, betrogen, verleugnet, wenn nicht gar verraten worden zu sein.
Wie können wir nicht mit ihnen weinen?
Möge wenigstens eine große Welle des der Tauf entspringenden Mitgefühls, der brüderlichen und väterlichen Zuneigung unserer Bischöfe, glühende Gebete sie umgeben, sie trösten, sie unterstützen, sie ermutigen, sie aufnehmen. Eifrig. Großzügig. Das heißt, liebevoll.
Lieber Heiliger Vater - den ich liebe, schätze und bewundere -, im Namen vieler meiner Freunde, ob jung oder alt, wage ich es, Ihnen in aller kindlichen Einfachheit meine tiefe Trauer mitzuteilen. Aber, beseelt von einer verrückten Zuversicht, wage ich zu hoffen, dass Sie angesichts der vielen Tränen auf den Wangen Ihrer eigenen Kinder den Mut und die Bescheidenheit haben werden, eine so unnachgiebige Entscheidung zu überdenken, trotz Ihrer letzten Worte: "trotz allem, was dagegen spricht, auch wenn es eine besondere Erwähnung wert ist".
Entgegen aller Hoffnung, hoffe ich!
Bruder Daniel-Ange
23. Juli, 40. Jahrestag meiner Priesterweihe, auf dem Internationalen Eucharistischen Kongress in Lourdes
(c) der Übersetzung aus dem Französischen by kath.net
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