25. August 2021 in Kommentar
"Das vor allem medial und vielfach nachdenkungsfrei und kritikresistent nachgeplapperte Bild von Woelki ist immer wieder so simpel wie falsch." Gastbeitrag von Martin Lohmann/The Germanz
Köln (kath.net/The Germanz) Nein, auch Rainer Maria Kardinal Woelki ist nicht vollkommen. Das würde er selbst übrigens niemals von sich behaupten. Er machte und macht Fehler. Er kann nicht alles. Manches kann er gar nicht, so wie niemand alles kann. Anderes wiederum sehr gut. Und nein, der Bösewicht, als den ihn manche sehen und als der er immer wieder von bestimmter Seite skizziert wird, ist er auch nicht. Das vor allem medial und vielfach nachdenkungsfrei und kritikresistent nachgeplapperte Bild von Woelki ist immer wieder so simpel wie falsch. Zugegeben: Es ist nicht einfach, diesen nicht einfachen Menschen hinter all den Attacken, die auf ihn einprasseln, möglichst echt zu erkennen.
Es könnte alles so einfach für ihn selbst sein, wenn, ja wenn er denn endlich in den Chor derer einstimmen würde, die das Heil der katholischen Weltkirche von einem deutschen synodalen Prozess erwarten. Doch Rainer Maria Woelki will katholisch bleiben, er weiß, dass er erst recht als Bischof die Pflicht hat, die Lehre der Kirche treu zu bewahren und die anvertraute Wahrheit ins Heute zu übersetzen. Authentisch. Echt. Ohne Abstriche. Auf Christus ausgerichtet. An Christus orientiert. Der Kölner Kardinal weiß sich als Treuhänder einer vom Gottessohn geoffenbarten Wirklichkeit, die nicht beliebig an den jeweiligen Zeitgeist angepasst oder aufgegeben beziehungsweise modisch zurechtgeschnitten werden kann. So gesehen stört der Erzbischof alle, die meinen, man könne alles eventuell Sperrige wegschneiden und alles, was auf den ersten Blick nicht verstanden wird, grundsätzlich ändern. Zölibat und Frauenordination sind nur zwei Stichwörter.
Würde RCW, wie manche ihn nennen, hier unüberlegt mitmachen, statt aus der Kompetenz des treuen Wissenden auf Sinn und Inhalt bestimmter katholischer Prägungen, die anderswo längst anders geregelt und gelebt werden, hinzuweisen, würde er nicht nur den Dauerbeschuss einer geneigten Attackengemeinschaft von Funktionären und Medienleuten augenblicklich loswerden. Er wäre auch der unbestrittene Superstar im Aufklären des Missbrauchsskandals. Keiner der bischöflichen Mitbrüder hat nämlich bisher so entschieden aufarbeiten und Präventionsarbeit installieren lassen wie er. Doch all dies geht unter im Kugelhagel gegen den gelegentlich etwas spröde und schlacksig wirkenden Störenfried beim Synodalen Umbausprozess. Objektivität und Differenzierung landen auf der Verbotsliste. Fairness scheint gegenüber Woelki zur Todsünde mutiert zu werden. Nach wie vor wollen viele Rainer Maria Kardinal Woelki waidwund schießen.
Geht es um die Kirche Jesu Christi – um Wahrheit und Aufklärung? Sitzt der Kardinal wie gefesselt in einer Falle? Einer Medienfalle? Erstaunlich, wie Medienvertreter etwa völlig übersehen und deshalb beredt verschweigen, dass das Landgericht Köln der BILD bereits in mehren Fällen eine wahrheits- und faktenwidrige „rechtswidrige Kampagne“ gegen Woelki untersagen musste. Ein Redakteur lässt Fakten weg, verdreht und erfindet haltlose Verdächtigungen – weil es dann besser in die Vernichtungs-Story passt. Andere schreiben eifrig ab und verbreiten Fake-News über Woelki.
Einige fragen sich, inwieweit bei manchen Protagonisten gegen Woelki und für eine komplett andere Kirche eigene Lebenswege subjektiv den objektiv notwendigen Prozess der Aufklärung und Aufarbeitung überwölben. Doch rechtfertigt eine eigene Agenda, die katholische Lehre durch ein Verbiegen „anzupassen“? Wenn gar eine ZdK-Vizepräsidentin – Missbrauchsskandal und sogenannten Reformweg verknüpfend – verrät, es müsse als Folge des Missbrauchs strukturelle Veränderungen geben etwa im Blick auf die Sexuallehre der Kirche, den Zölibat und die Frauenordination, dann sind viele Fragen beantwortet. Unfreiwillig. Entlarvend. Denn nachweislich sind diese Themen keine Ursache für den widerlichen Missbrauch, den es auch dort gibt, wo diese „Probleme“ fehlen. Wer die Sexuallehre der Kirche komplett ändern will, weil sich einige Priester und andere sich nicht daran hielten und sich schuldig machten, handelt nach der Logik, die Straßenverkehrsordnung für schuldig zu erklären, wenn Verkehrsteilnehmer sie missachten und schwere Unfälle und Leid verursachen. Müsste man deshalb der StVO abschaffen oder radikal ändern?
Zurück zu Woelki. Der Kölner Stadt-Anzeiger überschrieb – ganz seinem Feldzug gegen den Erzbischof treu – neulich einen Beitrag von Joachim Frank erwartungsgemäß mit „Woelki lehnt Reformen in der Kirche ab“. Und das selbstverständlich nur, weil der Kölner Kardinal mal wieder die Lehre der Kirche etwa zum Frauenpriestertum verteidigt und deutlich macht. Also: weil er katholisch ist und argumentiert. Man fragt sich, warum der Autor, der es ja aus eigener Lebensgeschichte besser wissen müsste, beziehungsweise die Zeitung hier offenbar Fake-News verbreiten. Denn Rainer Maria Kardinal Woelki lehnt erkennbar Reformen in der Kirche NICHT ab. Allerdings ist er für echte Reformen – wie die Orientierung an der Urform der Kirche, also an Jesus Christus, dem Gottessohn. Oder die Re-Form der kirchlichen Wirklichkeit am Kern der Kirche, an der Ausrichtung auf die allerheiligste Eucharistie. Darum geht es letztlich beim inkarnierten Glauben, bei der Fides incarnata, wie die 700 Seiten starke Festschrift (Verlag Herder) zum 65. Geburtstag von Rainer Woelki am 18. August heißt. Und es ist die inkarnierte Wahrheit, die Veritas incarnata, die uns befreit, die wirklich frei macht.
Für Rainer Maria Woelki ist die Eucharistie das „alles Entscheidende: Denn sie allein lässt uns in nicht zu überbietender Weise teilhaben an Seiner Liebe, die Sein Wesen ist und ohne die wir nicht sein können“. Gegen alle Versuche der Nivellierung oder Relativierung setzt er die Erkenntnis einer tiefen Wahrheit: „Vielleicht ist es eine, die uns einmal ganz nahe und selbstverständlich war und die uns doch mit der Zeit ein wenig abhanden gekommen ist oder uns nur noch verschwommen vor Augen steht: Es ist die Wahrheit, dass die hl. Messe nicht in erster Linie ein soziales Ereignis in unserem Leben ist. Sie ist vor allem eins: Sie ist die Begegnung mit Christus selbst. Denn er schenkt sich uns im Sakrament des Altares, in der hl. Kommunion. Er zieht in unser Herz und in unser Leben ein. Er wird Teil von uns und wir Teil von ihm.“
Der Untrennbarkeit von Glaube und Vernunft und der Untrennbarkeit von Wahrheit und Freiheit entspricht die Untrennbarkeit von persönlicher und sakramentaler (kirchlicher) Christusgemeinschaft, von Glaubensvollzug und Glaubensinhalt. Wer wissen will, wer Woelki jenseits allen Trommelwirbels gegen ihn im Kern und wirklich ist, findet beispielsweise hier etwas Belastbares und Nachhaltiges über den Kölner Metropoliten, wenn dieser formuliert:
„Ich weiß: Die Frage nach der Wahrheit ist wie die nach der Freiheit eines der ganz großen Themen unserer Geistesgeschichte. Und vermutlich stehen heute beide Gruppen, Gläubige und Atheisten, vor der gleichen Herausforderung, wie schon Nietzsche spitz bemerkte: ‚dass auch wir Aufklärer, wir freien Geister des 19. Jahrhunderts, unser Feuer nicht von dem Christenglauben nehmen, der auch der Glaube Platons war, dass Gott die Wahrheit, dass die Wahrheit göttlich ist‘. Und gerade deshalb bleibt es so wichtig, über die großen Fragen der Menschheit miteinander im intensiven Gespräch zu bleiben. Wir Christinnen und Christen tun dies aus der Überzeugung heraus, dass sich in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums Antworten auf diese Fragen finden, auf die Fragen nach Freiheit, nach Liebe, nach dem Ursprung des Bösen, der Herkunft und dem Ziel des Menschen.“
Rainer Maria Kardinal Woelki ist kein Mann der Show, des raschen und effektheischenden oder reißerischen Wortes, der an medialer Oberflächlichkeit orientierten Geste des Moments. Er ist vielmehr ein Mann des Gebetes, des Nachdenkens, der Ruhe, des Bedächtigen, des Wesentlichen. Und vor allem ist er ein im Glauben Verankerter, der das Suchen nicht aufgibt, der aber als ein eucharistischer Mensch auf den Kern dessen, was Kirche ist und bleibt, unbeirrt ausgerichtet sein möchte, und zwar den Menschen zuliebe: auf Jesus Christus, den Gottessohn.
Martin Lohmann ist Theologe, Historiker und freier Journalist. Der Publizist kennt Rainer Woelki aus gemeinsamer Studienzeit.
kath.net-Buchtipp:
Fides incarnata
Festschrift zum 65. Geburtstag von Rainer Maria Cardinal Woelki
Von Markus Graulich; Karl-Heinz Menke
Sonstiger Urheber: Markus Graulich; Karl-Heinz Menke; Paul Josef Cordes; Georg Dietlein; Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz; Manfred Gerwing; Axel Hammes; Helmut Hoping; Kurt Koch; Andrzej Kucinski; Markus Lersch; Martin Lohmann; Thomas Marschler; Helmut Moll; Gerhard Kardinal Müller; Christoph Ohly; Stefan Oster; Franz Sedlmeier; Franz-Peter Tebartz-van Elst; Rudolf Voderholzer; Lothar Wehr; Ralph Weimann; Ludwig Weimer; Thomas Windhöfel; Andreas Wollbold
Hardcover, 704 Seiten
2021 Herder, Freiburg
ISBN 978-3-451-38532-2
Preis Österreich: 49.40 EUR
Fotos - Links: Kardinal Woelki (c) Erzbistum Köln / Rechts: Martin Lohmann (c) LohmannMedia
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