28. August 2021 in Chronik
Auf einer Tagung sprachen Theologen über christliche Anthropologie und drängende Fragen der katholischen Sexualmoral. Gastbeitrag von Max Mattner.
Köln (kath.net/ pm)
„Ich fände es persönlich schwierig, wenn wir uns als Christen so angleichen, dass wir nicht mehr unterscheidbar sind. Wenn wir Menschen nix anderes anzubieten haben als alle anderen auch, dann sind wir arm dran!“ – Mit diesen Worten wandte sich der Kölner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, an die Teilnehmer der 52. Jahrestagung des Internationalen Priesterkreises, einer Initiative einiger Priester der Prälatur Opus Dei, welche vom 10. bis 12. August im Kölner Maternushaus stattfand. Besonders drängend erschien dieses Thema in Anbetracht der aktuellen Auseinandersetzung im Gesprächskreis „Synodaler Weg“ über die Lust-orientierte „Fortentwicklung“ der kirchlichen Sexualmoral.
Den metaphysischen Kern der behandelten Themen nahm der Eröffnungsvortrag des emeritierten Bonner Dogmatik-Professors Karl-Heinz Menke vorweg, der über das Verhältnis von Theonomie und Autonomie sprach: Eingehend auf die Konzepte einer absoluten, bedingungslosen Selbstbestimmung bei Jürgen Habermas und Magnus Striet sprach Menke dafür, Theonomie gerade Voraussetzung für die menschliche Freiheit anzuerkennen: „Erst unter der christlichen Voraussetzung, dass alles Wirkliche Ansprache des Schöpfers an den mit Vernunft begabten Menschen ist, darf man von Wahrheitsfähigkeit der menschlichen Begriffsgeschichte ausgehen.“
Während für Menke der göttliche logos, das in Jesus Christus menschgewordene Wort Gottes, Maßstab eines gelingenden menschlichen Lebens ist, an dem sich der Einzelne orientieren kann, sieht der Fundamentaltheologe Striet die Liebe Gottes als Ausgangspunkt an, eine selbstursprüngliche und nicht an den Willen des Schöpfers gebundene Freiheit des Menschen zu postulieren. Demnach gäbe es Gott nur in einem Reflexionszirkel des eigenen menschlichen Bewusstseins als Gott für mich, nicht aber als realen Gott einer Person gewordenen Wahrheit, an welcher der Mensch sich ausrichten kann.
Infolge bleibt Wahrheit stets etwas subjektives, das sich lediglich an mehr oder weniger guten und anerkannten Gründen im Sinne der Kommunikationstheorie Habermas‘ und der kantischen Vernunftlehre ausrichten kann, letztlich aber in keinem letzten Halt verankert ist. „Kants kategorischer Imperativ und kommunikativ erzielte Konsense können die Gesellschaft offensichtlich nicht vor der Versuchung bewahren, unter bestimmten Bedingungen – in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft, im Embryonalzustand, im Koma, zur Gewinnung eines lebensrettenden Medikamentes – die Selektion oder Instrumentalisierung von Menschen für Menschen zu erlauben“, so Menke, „eine von Plausibilitäten und Konsensen bedingte Menschenwürde ist keine unbedingte. Jeder weltanschaulich neutrale Staat, der Gott in der Verfassung nennt, weiß, dass die Personenwürde des Menschen nicht durch Definitionen oder demokratische Mehrheiten begründet wird“.
Auch Thomas Möllenbeck, u. a. Professor für Dogmatik in Münster, sprach über das Verhältnis von Anthropologie und Natur und die Hybris des Menschen, sich über die Schöpfungsordnung und ihre Moral hinwegsetzen zu wollen. Eingehend auf den Essay „Die Abschaffung des Menschen“ von C. S. Lewis erläuterte er, dass dieser bereits 1978 vorhergesehen habe, dass die Natur nicht länger als Grundlage des menschlichen Lebens, sondern vielmehr als funktional, als Instrument angesehen wird: „Weil der Mensch die Natur unterworfen hat, muss er sich nicht mehr an ihr Gesetz halten. Die Natur konditioniert den Menschen nicht länger, vielmehr kann der Mensch sich selbst entwerfen“, so der auch in Trumau und Heiligenkreuz lehrende Dozent. Während die Moral die Betriebsanleitung zum Gebrauch des Menschen orientiert an seiner Natur darstelle, sei sie zunehmend weniger natürlich gewachsen als menschengemacht:
„Zum Beispiel das Gender-Mainstreaming ist doch nichts anderes als eine Anarchie, in der der Mensch sich selbst gestaltet aus Willkür. Während Homosexuelle früher um Toleranz warben mit dem Satz ‚Ich bin nunmal so‘, geht es heute nicht mehr um das Sein, sondern um die Konstruktion seiner selbst vorbei an der Natur. Das ist höchst bedenklich, wenn man bedenkt, dass selbst Habermas einmal sagte, Gott bliebe nur so lange ein ‚Gott freier Menschen‘, wie wir die absolute Differenz von Schöpfer und Geschöpf nicht einebnen.“ Wer Lewis lese, könne kaum zu einem anderen Ergebnis kommen als dem, dass der Mensch sich nach und nach abschaffen werde: „Warum sollte man auch für etwas Gutes einstehen, wenn es kein natürliches Gutes, keine unbedingte Moral mehr gibt?“
Dass der Mensch sich nur in der Begegnung mit Gott, der seinem Leben Richtung und Ziel gibt, findet, stellte zuletzt auch die Spanische Bischofskonferenz fest. Daran erinnerte der Eichstätter Neutestamentler Lothar Wehr, der über die Erneuerung des Menschen durch Christus in der Theologie des Paulus sprach: „Gott ist Schöpfer und Ziel der Geschichte, in deren Mitte der von Christus erlöste Mensch steht – heutige gesellschaftliche Probleme sind besonders begründet in der Abwendung des Menschen von der Schöpfungsordnung und von Christus!“
Die nach dem Willen Gottes geordnete Natur sei Voraussetzung und Ausgangspunkt für ein moralisches Leben. „Sünde meint stets die Ablehnung Gottes, während es wahre Freiheit nur durch die Bindung an die Schöpfung und ihren Erlöser Christus gibt. Die Lehre der Kirche ist ein Angebot, eine Hilfe zu einem erfüllten Leben“, so Wehr. Sein Nachredner Stephan Kampowski, Professor für Anthropologie am Institut Johannes Pauls II., sprach sich für eine Anthropologie der kompromisslosen Umkehr aus, Moral nicht individualistisch am subjektiven Standort des Einzelnen auf dem Weg der Nachfolge zu bemessen, sondern gelte für alle Menschen gleichermaßen.
„Christlicher Moral geht es um 100% und nicht darum, gerade nur ein bisschen besser zu sein als alle anderen“, so der römische Professor. Hinsichtlich der Sexualmoral der Kirche machte die Tagung insbesondere die Theologie des Leibes stark. „Noch in 500 Jahren werden sich Theologen fragen, was noch zur Theologie des Leibes gehört“, so Achim Neuhaus. Der Steuerberater ist Initiator des Neuevangelisierungsprojektes „FOR ME“ (https://www.for-me.io/), welches in den nächsten Jahren plant, im Rahmen von programmatischen Wochenenden etwa 60.000 junge Menschen in ganz Mitteleuropa unter dem Slogan „Let’s talk about sex“ mit der Theologie des Leibes vertraut zu machen und europaweit 1.000 Referenten zu qualifizieren, die die Workshops anleiten. Dabei geht es bei weitem nicht nur um die Sexualität, vielmehr wird diese als Zugang zum Evangelium verstanden, durch den die Teilnehmer dazu gelangen sollen, den Sinn ihres Lebens zu verinnerlichen.
Problematisiert wurde die Trennung von Liebe und Sexualität ferner durch den katholischen Publizisten und Youcat-Herausgeber Bernhard Meuser. Verstärkt werde diese Tendenz durch den mit zahlreichen Obszönitäten verbundenen Regenbogen, der für eine Revolution steht, welche die ganze Gesellschaft der sexuellen Selbstbestimmung ohne Grenzen unterordnen will. „Karl Marx wies bereits darauf hin, dass der letzte Unterschied zwischen Menschen, der überwunden werden müsse, der zwischen Mann und Frau sei – inzwischen geschieht dies, indem der Mensch seine sexuelle Identität frei wählen und wechseln kann und die Kirche sich eine neue Sexualmoral entwirft“, so Meuser.
Dass dies unter dem Vorwand der Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche geschieht, verärgere ihn besonders: „Als man sich an die MHG-Studie machte, hatte ich positive Erwartungen, dass man nun auch über Homosexualität unter Priestern und Ephebophilie, Knabenliebe, sprechen müsse. Wir kannten ja die Geschichten aus den Priesterseminaren, über die einfach nicht gesprochen werden durfte“, führte der mehrfache Buchautor aus, „nur wurde darüber dann nicht gesprochen, sondern man zog eine Erzählung über Machtmissbrauch aus dem Hut, wonach der letzte Machtinstinkt die sexuelle Ausnutzung Schutzbefohlener sei – losgelöst von der sexuellen Orientierung.
Infolge werden Homosexuelle heute fast als Opfer des Missbrauchs dargestellt, statt über den Zusammenhang von Missbrauch und Homosexualität zu sprechen.“ Die Bischöfe sollten laut Meuser dieses Problem klar benennen, statt auf dem Synodalen Weg eine neue Sexualmoral zu entwerfen, welche losgelöst von Natur und Offenbarung ein intrinsisches System autonomer Moral zu entwerfen. „Es geht dabei nicht darum, Homosexuelle undifferenziert zu verurteilen, jedoch sind Homosexuelle gefährdet vom Problem der Einsamkeit, die sie frustriert und in ihnen wuchert. Sie schaffen es nicht, sich auf das andere Geschlecht zu transzendieren und verbleiben in der ‚Hölle des Gleichen‘, einem latenten Narzissmus, der Missbrauch begünstigt.“
Der Abschlussvortrag der Erlanger Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz widmete sich noch einmal von einer mehr akademischen Seite der Theologie des Leibes, die die Leiblichkeit des Menschen – weit mehr als Körperlichkeit seiend – als eine Kondition des Menschen nannte, die auch im nächsten Äon, nach der Auferstehung noch bestehen werde. „Ehe und auch Ehelosigkeit werden im Jetzt nur angelebt und erst in der Ewigkeit vollendet“, so die diesjährige Augustin-Bea-Preisträgerin. „Der Leib ist der Lieblingsweg der Gnade, was auch daran deutlich wird, dass jedes neue Leben erst aus der Ein-Fleisch-Werdung der beiden Geschlechter entsteht.
In der verleiblichten Existenz des Kindes entsteht etwas Dauerhaftes und Unauflösliches, das die Grundsätze der Theologie des Leibes verständlich macht: ‚Du allein‘, ‚Du für immer‘ und ‚Du für ein Kind‘. Erst durch das Zueinander der Geschlechter können der Mann zum Mann und Vater, die Frau zur Frau und Mutter werden.“ Heutige Moral könne mit diesen Aspekten oft nichts anfangen, weil sie den Wert des Leibes nicht in der Weise hochschätzten, wie es im Katholizismus der Fall sei: „Die neue Moral kennt keine Ausschließlichkeit, Sex ist Spaß egal mit wem, ohne den Namen des anderen zu kennen, ohne ein Kind zu wollen und wird auf Lust reduziert, die regelmäßig dazu führt, am Frühstückstisch einem Unbekannten zu begegnen.“
Die Liebe, die im Zueinander von Mann und Frau nach christlichem Verständnis in der Ehe sichtbar werde, spreche dagegen nicht vom „Jetzt!“, sondern vom „Für immer!“. „Das einmal gültig erfahrene ‚Du‘ im Gegenüber währt nicht nur einen Moment, sondern ein Leben lang. Die Erinnerung daran schützt vor Abflachung. Gänzlich erfahrbar wird diese Hingabe von Frau und Mann dann in der Ewigkeit, wo unsere Erlösung erst noch bevorsteht. Das ist auch ein Teil der unserer Verfassung: Warten und ein Noch-Nicht verweisen ihn auf die Ewigkeit, weil er sich im Jetzt nicht selbst erlösen kann.“
Erst in der Ewigkeit werde der Mensch vollendet, indem er triebfrei und Ego-frei nicht alles nur auf sich und seine eigene Lust beziehe. „Ich überlebe meinen Tod. Erst danach geht es richtig los!“ Die langjährige Professorin kritisierte dabei die Reduktion von Leib und Beziehung auf Sexualität: „Ich würde sogar sagen, dass Sexualität unglaublich überschätzt wird. Sie gilt als Allheilmittel, führt in Wahrheit aber zu Isolation und Selbstbezüglichkeit, ihr wird alles untergeordnet, was den Menschen auf seinen Trieb zurückwirft.“
Die Tagung leistete einen Beitrag für einen größeren apostolischen drive, um die christliche Moral so zu erweisen, wie es der Kölner Kardinal in seinem Statement sagte: „Das Christentum war schon immer eine Alternativkultur!“
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