Konfession und Wahlverhalten

21. September 2021 in Kommentar


Der "Linksrutsch" der deutschen Kirche, Teil 1 - Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Im Italien der 1960-er Jahre vollzog die tonangebende Partei, die 'Democrazia Cristiana', eine Öffnung "nach links", eine Hinwendung zu den Sozialisten (1963), der bereits eine Zusammenarbeit mit der kleinen sozialdemokratischen Partei vorausging. Verdanken wir Katholiken die fulminante Fehldeutung des jüngsten Konzils also im Ursprung einem innenpolitischen Problem in Rom? Linker Flügel der DC gegen rechter Flügel? Die "Öffnung", die Papst Johannes und Papst Paul damals vertraten, war theologisch gemeint: Die katholische Kirche sollte fortan die ihr fern stehenden Menschen überzeugen, im Wege des Dialogs. Das allerdings ist ein anspruchsvolles, schwieriges Unterfangen. Viel leichter zu verstehen ist die Parole: "Wir auch!" Freude und Hoffnung der Welt seien auch Freude und Hoffnung der Kirche. So wurde der vielzitierte Konzilstext "Gaudium et spes" krass vereinfacht unter die Leute gebracht. Weltrevolution? Wir auch! Wenn auch vorläufig nur in Gestalt einer "Liturgiereform". Die war zwar missionarisch gemeint, wurde zunächst auch fast allgemein akzeptiert, hat dann aber mitbewirkt, dass die Kirchen bei uns heute so leer sind. Die jüngere Generation hat mittels der "neuen Messe" keinen Anschluss an die katholische Tradition gefunden, durch den Unterricht außerhalb der Liturgie noch weniger. Der im inneren Raum der Kirche so erlittene Konfessionsbruch hatte dann Folgen für das Wahlverhalten, auch in Deutschland.

Immer schon wurden die strikt katholischen Wähler für ihre nahezu unverbrüchliche Loyalität zu den Unionsparteien schlecht entlohnt. Denn CDU und CSU hatten sich auf die Fahnen geschrieben, über den "Zentrumsturm" (wie man das geschlossene Milieu vor 1933 nannte) hinauszuwachsen. Die C-Parteien wollten bewusst auch für protestantische Wähler attraktiv sein und begründeten so ihren Erfolg; Adenauer und Strauß sammelten auch konservative und liberale Wähler ein. Die strukturell mehrheitsfähigen Parteien der Mitte waren entstanden, in Bayern noch erfolgreicher als im übrigen Westdeutschland. Der politische Katholizismus hatte personell und programmatisch durchaus noch Einfluss auf die Union, jedoch stetig abnehmend, insbesondere die explizit katholisch-konservativen Positionen betreffend. "Augen zu, CDU" wurde in diesen Kreisen zur Devise an der Wahlurne.

Unterdessen hatten einige Führungsfiguren der "deutschen Kirche", durchaus konzilsgemäß, etwas Distanz genommen von der eingespielten Teamarbeit der "Bonner Republik", in der die meisten Bischöfe überzeugte Wahlhelfer für Adenauer, Strauß + Co. waren. Das kann zielführend sein, wenn die größere Distanz von der Tagespolitik den eigentlich religiösen Auftrag der Kirche deutlicher aufstrahlen lässt: hier Politik, da Religion. Jedoch breitete sich von der selbsternannten "Basis", von den "kritischen Christen" her, eine andere Dynamik aus, die unter "Kirche" nur noch die Indienstnahme der Struktur für das große, progressive Projekt verstehen wollte. Diese seit den 1970-er Jahren in die eigenartige kirchliche 'Arbeitswelt' eingewanderte Strömung dürfte heute im so gen. "Synodalen Weg" dominant sein. Das von 'katholisch'de so genannte "Macht-Forum" dort wirft ernste Fragen auf, während die Foren zu Frauen, Sex und Zölibat weltkirchlich eher randständig sind. Aber selbstverständlich will das "Macht-Forum" nicht über relevante Probleme von Vollmacht und Verantwortung reden, sondern über "Gewaltenteilung", womit vermutlich die Machtergreifung des konfessionellen Dienstnehmerkollektivs hinsichtlich der Gestalt und der Doktrin der "deutschen Kirche" gemeint ist. Die Leute, für die diese Clique sich "auf Sendung" sieht, wählen vermutlich mehrheitlich immer noch CDU oder CSU, weil diese Parteien für den Erhalt der konfessionellen Strukturen immer noch den stärksten Rückhalt bieten. "Inhaltlich" ist diese quantitativ wenig relevante Wählergruppe von explizit katholischen Standpunkten aber fast genauso weit entfernt wie Grüne oder Linke. Ich bedaure inzwischen, in der "Ära Kohl" selber etwas nach links gedriftet zu sein, irregeführt von dem Eindruck, dass von dort Politik mit höherem moralischen Anspruch gemacht werde. Die rotgrüne Koalition (1998-2005) überzeugte mich vom Gegenteil, bis heute. Mehr noch: heute kann man global für Klimaschutz auf die Straße gehen, ohne sich je der Verifikation aussetzen zu müssen, ob die Positionen richtig waren, für die man demonstrierte. Die Elterngeneration dieser fanatisierten Kinder hatte es schwerer: Ihre Berechtigung, mit Ostermärschen gegen die NATO-Nachrüstung zu agitieren, wurde von der Geschichte 1989 widerlegt. Auch heute müsste gegen die allseitige Rüstung protestiert werden. Aber für das Klima zu marschieren, das ist für das Selbstwertgefühl viel schmeichelhafter, weil Erfolg oder Misserfolg "zeitnah" nicht überprüft werden können.

Die politischen Irrtümer auf der Linken, allein während der Nachkriegszeit, sind unzählbar. Ob in der Außenpolitik, Bildungspolitik, Familienpolitik, Sozialpolitik oder Wirtschaftspolitik: überall Pleiten, Pech und Pannen. Innerdeutsch liefern den Beweis jene Bundesländer, die sich über längere Wegstrecken einer liberal-konservativen Landespolitik erfreuten. Auch wenn die "links" inspirierte Familienpolitik gleichfalls irrtumsbehaftet, kulturell sogar gefährlich ist, hat sich die feindselige postmoderne Weltanschauung hinsichtlich der Familie (im alten Sinn) jedoch derart dominant durchgesetzt, dass auf diesem Gebiet nicht nur CDU/CSU kapitulieren, sondern EKD, DBK und ZdK gleich mit. Armin Laschet lässt aus Gründen der Klugheit nicht einmal mehr durchblicken, dass er eigentlich aus der diesbezüglich konservativen Ecke zur Politik kam. Er würde vom Medienzirkus andernfalls noch aggressiver in der Luft zerrissen als sowieso schon, wegen seiner doch harmlosen Reminiszenzen an das Aachener Bistumsmilieu, das doch, nebenbei gesagt, auch schon fast völlig weggespült ist, vom Starkregen "post 68". Warum muss man scheinbar unter 40 mehr oder weniger links oder grün "ticken"? Und wenn nicht, dann AfD oder FDP der CDU/CSU vorziehen? Aus zivilreligiösen Gründen! Denn der antichristliche Affekt eint die jüngere Hälfte der Bevölkerung. Schule, Universität, Medien und Politik haben seit Jahrzehnten unentwegt auf die katholischen oder konservativ-protestantischen Traditionen eingedroschen, sodass ein sentimentales Gefühl von "Engagement" (ein existenzialistischer Zentralbegriff!) an die Stelle gelebter Verantwortung aus christlichem Geist getreten ist. Auch die liberal-konservative Minderheit tritt ebenso "engagiert" auf wie der kryptomarxistische BDKJ, wenn auch mit etwas abgewandelter Zielsetzung.

Die "Botschaft" des jüngsten Konzils ist von der Mehrheit der deutschen Bischöfe, währenddessen, direkt entgegensetzt zur (jederzeit nachlesbaren) Intention desselben in die Tat umgesetzt worden. Die "moderne Welt" wurde als normativer Rahmen für den Inhalt der kirchlichen Sendung akzeptiert. Erster Fehler. Das Konzil hat erweislich keinerlei Inhaltsänderung an der Lehre der Kirche vorgenommen, sondern die Kirche Christi in ein neues Verhältnis zum modernen Gegenüber setzen wollen, letztlich: damit der Heilige Geist das Antlitz der Erde erneuere. Zweiter Fehler: Der Inhalt dieses "modernen" Rahmens, wenngleich als normativ akzeptiert, wurde willkürlich bestimmt, aus den vermeintlichen "Zeichen der Zeit" um 1970 herum hergeleitet. Diese Interpretation wird seither um jeden Preis sakrosankt gestellt, wiewohl massive, fast apokalyptische "Zeichen" seit Jahrzehnten dringend um bischöfliche Aufmerksamkeit nachsuchen: Längst schon müsste die kirchliche Verkündigung wieder auf Glaube, Hoffnung, Liebe umgestellt werden, weg von den Moden und Launen der Zeit, hin auf die "essentials", wie es Papst Benedikt im Anschluss an den hl. Papst Johannes Paul II. unermüdlich unternommen hat. (Aus Deutschland gab es für das redliche Bemühen, einschließlich der Wiederentdeckung der Liturgie, fast nur Verachtung von kirchenoffizieller Seite.) Glaube meint hier den Glauben der Kirche, nicht nur das vehemente Überzeugtsein von einer Meinung, die auch falsch sein kann. Unser Glaube führt nicht in die Irre. 'Spes nostra firma': Die feste Hoffnung meint hier die Freude des Glaubens - in froher Erwartung ewiger Seligkeit und nur von daher auch begründete Hoffnung für die Dinge dieser Welt; und Liebe meint hier Gott selbst, wie er in Christus zu uns kommt, uns im Heiligen Geist befähigt zu lieben, wiederzulieben und auch Hass und Opfer zu ertragen.

Diese und weitere Grundpfeiler christlicher Existenz sind aus dem politischen Bewusstsein der Gegenwart, auch inmitten der Unionsparteien, sehr weit zurückgedrängt; und das unter aktiver Mitwirkung führender Kirchenleute: seitens der Bischöfe, Theologen, Kleriker und Laienbeamten, zuzüglich großer Teile des nichtkatholisch konfessionellen Funktionärsapparats. Für das stark geschwächte katholische Restmilieu gilt zwar die alte Gleichung noch, dass je größer die Kirchennähe ist umso größer auch die Präferenz, bei Wahlen für die Unionsparteien abzustimmen. Aber erstens werden damit keine großen Wählermassen mehr bewegt (und jüngere Wähler nur selten) und zweitens führt dies inhaltlich auf vielen Gebieten nicht mehr garantiert zur "richtigen Politik". Dennoch ist das katholische Wählermilieu, in dem zunehmend auch SPD oder Grüne einige Chancen haben, weniger die FDP oder die Ex-SED, zugleich dasjenige, das für die AfD die geringsten Sympathien aufbringen kann. Man ist 'bei uns' nicht so primitiv, die AfD mit Neonazis gleichzusetzen. Es ist aber die mehr oder weniger "völkische" Grundstimmung, ein hintergründiger Appell an das Deutschtum, der eben nicht "abendländisch" motiviert ist, im katholischen Sinn, nicht europäisch-offen, der für das Wahlverhalten auch der römischen Katholiken kaum übersteigbare Hürden aufrichtet. Die heutige Eurokratie hat das christliche Herz Europas schwer gekränkt. Die deutsche Politik behandelt die letzten Christen, speziell ihre Familien, leidenschaftlich benachteiligend. Die deutsche Kirche übt umso engagierter Verrat an Glaube, Hoffnung und Liebe. Doch trotz alledem könnte das konfessionelle Wahlverhalten doch noch dazu helfen, dass ein schwacher Kandidat mit schlichtem Programm zum vielleicht letzten quasi-katholischen Kanzler der Bundesrepublik wird. Er wird nicht zum 'Superhelden' wie Kanzler Kurz. Er wird ein kurzer Kanzler. Er wird nicht "katholisch" regieren, allenfalls vernünftig. Aber damit doch den Durchmarsch linker Ideologie zumindest noch ein wenig abbremsen, bevor das deutsche Neuheidentum unsere Zivilisation versenkt. Und das sogar dem allgemeinen Linksrutsch der organisierten "deutschen Kirche" zum Trotz, deren inzwischen zunehmend lächerliche Kostgänger mit spitzen Schreien die "Revolution" in ihren Bildungshäusern, Pfarrheimen und Sakristeien ausrufe


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