Alle synodalen Wege führen nach Rom. Oder nach Utopia?

19. Oktober 2021 in Kommentar


Der "Bruch mit dem Bruch" wird also vermutlich der nächste Epochenschnitt der Kirchengeschichte sein- Kommentar von Franz Norbert Otterbeck


Köln (kath.net)

Warum Rom? Zu Ostern, mutmaßlich am 9. April 30, war Rom die Hauptstadt der bekannten Welt. Die Wege der Nachfolge Jesu führten sowohl Petrus als auch Paulus deshalb nach Rom. Aber der Papst residiert nicht in den Gärten des Kaisers Nero, sondern beim Grabe Petri. Die Echtheit des Grabes ist durch Forschungen des 20. Jahrhunderts als sehr naheliegend erwiesen. Das Papsttum steht also nicht in der Nachfolge des Kaisertums, sondern in der Nachfolge des Martyriums. Das Martyrium, die Zeugenschaft Christi hat das heidnische Kaisertum niedergerungen, die angemaßte Herrschaft aus eigenem Recht delegitimiert, und nur noch limitierte Herrschaft erlaubt, im Angesicht Gottes. Auch die Irrwege der Kirchengeschichte bekräftigen letztlich die Unterscheidung: hier Religion, da Politik.

Insofern darf man auch heute noch stolz sein, der römischen Kirche anzugehören, keiner deutschen oder englischen oder chinesischen. Denn nur die römische Kirche garantiert diese wesentliche Einsicht des Christentums, dass die Kirche dem Staat übergeordnet ist, in geistlicher Perspektive. Eine verstärkt synodale Auffassung der Weltkirche kann zur Bekräftigung dieser Erkenntnis beitragen, wenn sie selbst religiös und nicht politisch gemeint ist, oder jedenfalls mehr religiös als kirchenpolitisch.

Schon der französische Philosoph Jean Guitton, selbst Gastredner beim jüngsten Konzil, nannte "die Bischofssynode" ein wesentliches Ergebnis desselben. Der frühere Synodensekretär und heutige Nuntius Eterovic hat dazu publiziert. Die römische Bischofssynode entfaltete nur allmählich Wirksamkeit. Papst Franziskus wollte sie aufwerten. Doch wegen beklagenswerter Vorkommnisse insbesondere rund um zwei Familiensynoden und die "Amzonas-Synode" hat die Glaubwürdigkeit des Unterfangens erheblich gelitten. Zwischen dem deutschnationalen Projekt eines scheinsynodalen Weges und dem päpstlichen Synodalen Weg - hin zur Bischofsynode 2023 - besteht ein völlig offenkundiger Dissens in nahezu jeder Hinsicht. Aber das bedeutet leider nicht, dass mit dem päpstlichen Projekt "alles in Ordnung" sei. Skeptiker argwöhnen, dass sich der unglücklich regierende Papst einmal mehr einen "Schrei des Volkes" simulieren könnte, den es nicht gibt. Er hofierte ja auch schon 'Volksbewegungen', die es nicht gibt. Und solange die Bätzing-Sternberg-Gewerkschaft irgendeine Nähe ihres Projekts zum "Gottesvolk" in deutschen Breiten vorzutäuschen vermag, wird der Pontifex die "rote Karte" noch nicht ziehen. Auch wenn hier mehr Foul im Spiel ist als Spiel. Der bewusst unscharfe Volksbegriff in der Gefühlswelt des Jesuiten aus Buenos Aires atmet die Luft des argentinischen Sonderwegs der 1950-er Jahre. Die Welt des Peronismus war gekennzeichnet durch einen grotesken Salat von Patriotismus und Sozialismus, Populismus und Despotie, angerichtet von Juan Perón, gewürzt auch mit einer Prise christlichen Salzes. Man ist immer Kind seiner Zeit, doch das entbindet nicht von der Pflicht, während des Lebensweges allmählich zu differenzieren.

In meiner Jugend lag das Zweite Vatikanum, auch eine heilige Synode, rund 20 Jahre zurück. In Kürze wird sein Beginn 1962 schon sechzig Jahre her sein. Die Anzahl veritabler Zeitzeugen seiner Vorbereitung und Durchführung nimmt ab. Für den Historiker ist es dennoch zu früh, seine Wirkung - positiv und negativ - zusammenfassend zu beschreiben. Der knapp nachkonziliar Geborene darf aber doch schon ein Zeugnis beisteuern: Das Großereignis wurde fast allgemein als Ausgangspunkt einer neuen, glanzvollen Epoche der Kirche gewertet. Wer am Niederrhein aufwuchs, in einem katholischen Marienwallfahrtsort, wuchs ganz selbstverständlich in eine nachkonziliar noch attraktive "Volkskirche" hinein, mit Jugendarbeit, Pfarrfesten, Engagement und doch auch mit echter Frömmigkeit. Doch eine "zweite Welle" der (revolutionären) Umgestaltung machte nicht nur mir schon zu schaffen. Stichwort: Küng und die Folgen! Die Sondersynode von 1985 in Rom wollte dagegen die Hinterlassenschaft des Konzils sichten, neu ordnen - und gab den "Weltkatechismus" von 1992 in Auftrag. "Die Kirche unter dem Wort Gottes feiert die Geheimnisse Christi zum Heil der Welt": Mit dieser Formel überschrieb man den damaligen Versuch, "das Konzil" mit der älteren Tradition zu verknüpfen, um ihm so wieder zukünftige Fruchtbarkeit zu sichern.

Es folgten bis 2013 knapp drei Jahrzehnte, in dem ein von der "pastoralen Linken" als restaurativ verschrieener Konsolidierungskurs von Rom aus eine Neu-Evangelisierung Europas ins Auge fasste; und damit auch der europäisch geprägten Welt. Man muss nach gegenwärtigem Stand von einem Scheitern des Projekts ausgehen, jedenfalls für das abendländisch geprägte Europa. Wahrscheinlich ist auch der "neue Kurs" des Papstes Franziskus bereits gescheitert, weil niemand zugleich Papst und Anführer der Opposition gegen das Papsttum sein kann. Von diesem Pontifikat bleibt vielleicht nur eine "Fußnote" übrig. Also was tun? Beten. Um ein Konzil?

Der (Post-) Modernismus der Bruch-Theologie appelliert schon seit den 1970-er Jahren verwegen an ein "Drittes Vatikanum", zugunsten einer Kirche der Utopie, so auch immer mal wieder der amtsmüde ZdK-Präsident Sternberg, in völliger Überschätzung der Bedeutung deutschnationaler Standpunkte in der Kirche Gottes. Vom Lebensalter her gelten für ihn hierbei fraglos mildernde Umstände. Man verspricht sich davon immer noch, die Reste "restaurativer" Tendenzen in Theologie und Kirche kühn zu eliminieren. Unterm Strich kommt das der Kapitulation der Kirche vor dem moralisch-therapeutischen Deismus zugute, den uns diese Epoche allenfalls als 'Spiritualität' noch zubilligt.

Ein nächstes Konzil bedeutet aber nicht selbstverständlich "Fortschritt", entlang der vorgefasst ideologischen Linie. Man hätte auch ein Korrektur-Konzil veranstalten können. Papst Benedikt hat es leider unterlassen, ein VI. Laterankonzil einzuberufen, anstelle eines "V3". Er vertraute seinen Kräften wohl zu wenig und ihm fehlte vielleicht die Phantasie, dass zu einer Korrektur der Konzilsdeutung "post 68" das Verfassen von Enzykliken und Exhortationen nicht genügt. Das Lehramt von Wojtyla-Ratzinger seit 1978 müsste an sich ausreichen, um jede Fehldeutung zu vereiteln. Aber es wird von der postmodernen Theologie-ohne-Gott ignoriert! Denn diese will die Kirche-ohne-Gott. Ohne den Gott der Offenbarung; als leerer Begriff, nach Belieben zu füllen, bleibt "Gott" freilich im Vokabular erhalten.

 

Wie hätte ein Lateranum VI aussehen können, das Retro-Konzil? Es hätte in einer einzigen Sitzungsperiode die Bischöfe in der Kathedralkirche des Papstes, der Lateransbasilika, versammelt. (Mit Arbeitssitzungen vielleicht in der Audienzhalle beim Vatikan.) Es hätte vielleicht aus den Dokumenten der römischen Bischofssynoden und dem päpstlichen Lehramt der Gegenwart eine knappe, neue Pastoralkonstitution herausgearbeitet, um jede revolutionäre Deutung von 'Gaudium et spes' zurückzuweisen. Das Retro-Konzil hätte sich aber auch prominent der 'Reform der Reform' in der Liturgie zuwenden können. Bei diesem Lebensthema des Joseph Ratzinger reichte ein "Motu proprio" offenkundig nicht aus. Auch wenn mehr und mehr Stimmen das Anti-Motuproprio vom 16. Juli 2021 für schlicht unwirksam erachten und jedenfalls zu erwarten ist, dass es insgesamt wenig Folgebereitschaft erzeugt: Die echte Berechtigung der "alten Messe" (und der Riten anderer Sakramente) mitten im Leben der Kirche hätte mit einem Dokument von höherem Rang re-etabliert werden sollen. Allerdings war beim Papstrücktritt von 2013 mit einer derart verschlagenen Despotie in der Kirchengesetzgebung noch nicht zu rechnen, die der erste und letzte Jesuitenpapst sich herausgenommen hat.

Kommt die nächste Große Synode als "Lateran VI"? Möglich. Es ist ziemlich wahrscheinlich, auch wenn niemand der Göttlichen Vorsehung "in die Karten gucken" kann, dass der "peronistische" Kurs Bergoglios keine Fortsetzung finden wird. Dieser Papst sollte der Welt vor allem zeigen, dass so ein Papsttum nicht funktioniert. Möglicherweise war der "Knick in der Optik" von 2013 notwendig. Er hat immerhin die Mängel auch der Pontifikate Wojtyla-Ratzinger, also ihren mangelnden Durchgriff, deutlicher offengelegt als es eine Schein-Kontinuität, beispielsweise mit Angelo Scola als Leo XIV., vermocht hätte. Als Parteigänger des gemäßigten "Papalismus" bin ich enttäuscht, dass wir in dieser Zeit zu oft vergebens auf Rom hofften. Aber es leuchtet doch heute umso mehr ein, dass der dialogische Kurs der Nachkonzilszeit nicht genug Zugkraft hatte, um die Perversion der Tradition, die von etlichen Bischöfen, Kirchenleuten, Theologen genährt wird, in eine Konversion größerer Massen zu wenden. Denn echter Dialog gestattet uns nicht, das Wort Gottes zu verschweigen.

Der "Bruch mit dem Bruch" wird also vermutlich der nächste Epochenschnitt der Kirchengeschichte sein. Wenn der unverzichtbare römische Zentralismus auf die Stimme des betenden Gottesvolkes hören will, dann wird er keine synodalen Wege inszenieren, die progressive Irrtümer noch verschärfen. Echte synodale Wege führen nach Rom, alle Völker, hin zu den Gräbern der Apostel, zur Verherrlichung Gottes, nicht der Herren dieser Welt. Denn wir sind Gottes Utopia. Diese Schöpfung, die noch in Geburtswehen liegt, ist der Ort der Anbetung göttlicher Herrlichkeit und so auch Ort unserer Begegnung in Liebe, je heiliger, je mehr. Denn in Jesus Christus haben wir der Liebe Gottes geglaubt.

 


© 2021 www.kath.net