Anglikanischer Bischof wird katholisch: „Die Anglikaner scheinen sich als Institution zu verirren“

19. Oktober 2021 in Aktuelles


Michael Nazir-Ali: Er wisse darum, dass auch die katholische Kirche „viele Probleme“ habe, doch seien „der Glaube und die Werte“ jene, die er auch selbst vertrete „und die meiner Meinung nach in der Kirche von England untergraben werden“.


London (kath.net/pl) Seine Aufnahme in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche sei ein „bittersüßer Moment“ gewesen, schreibt der frühere anglikanische Bischof von Rochester (Großbritannien), Michael Nazir-Ali, in einem Gastbeitrag in der „Daily Mail“. „Bitter, weil ich zutiefst traurig bin, dass die Church of England nicht die Kirche ist, der ich beigetreten bin. Es gibt viele einzelne Pfarreien, Priester und Gläubige, die dem biblischen Glauben und den Werten verpflichtet bleiben. Aber als Institution scheint sie sich zu verirren. Süß, denn ich freue mich über die Möglichkeiten, die der Beitritt zum Personalordinariat mit sich bringt: die Menschenrechte zu wahren und Millionen leidenden Christen und anderen auf der ganzen Welt zu helfen. Die katholische Kirche ist eine wahrhaft vereinte globale Organisation, die ihr Stärke verleiht.“ Nazir-Ali bat um die Aufnahme in das Personalordinariat „Unsere Liebe Frau von Walsingham“, das Papst Benedikt XVI. 2011 für jene Christen gegründet hat, die von der anglikanischen Gemeinschaft unter Beibehaltung eines Großteils der anglikanischen Traditionen zur katholischen Kirche wechseln wollen. Seine Konversion habe er „über Jahre hinweg erwogen“, erläutert Nazir-Ali. Der 72-Jährige ist verheirateter Vater von zwei Kindern und wird in Kürze zum katholischen Priester geweiht werden. Der Wechsel von Dr. Nazir-Ali zum Katholizismus gilt als die bedeutendste seit Graham Leonard, dem ehemaligen Bischof von London, der 1994 in die katholische Kirche aufgenommen wurde.

Als Mitglied des Personalordinariats könne er beibehalten, was er an der anglikanischen Tradition liebe: „die Schönheit der Anbetung, die Liebe zur Bibel und ein pastorales Engagement für die große Gemeinschaft“. Außerdem nehme Personalordinariat verheiratete Geistliche auf, immerhin sei er „seit fast 50 Jahren glücklich mit Valerie verheiratet“.

Er wisse darum, dass auch die katholische Kirche durchaus „viele Probleme“ habe, doch seien „der Glaube und die Werte“ jene, die er auch selbst vertrete „und die meiner Meinung nach in der Kirche von England untergraben werden. Mit 72 wäre es vielleicht einfacher gewesen, dort zu bleiben, wo ich war: von innen heraus daran zu arbeiten, die Dinge zu ändern, die mir so wichtig sind.“ Er habe dies auch tatsächlich versucht, doch sei er damit gescheitert. Denn „die Kirchenräte und Synoden sind von Aktivisten durchdrungen, die jeweils eine einzige, oft modische Agenda haben, sei es um politische Korrektheit, ‚Klimawandel‘, Identitätspolitik, Multikulturalismus (der Gemeinschaften allerdings faktisch dazu ermutigt, getrennt zu leben) oder eine kritische Theorie zu Rasse, Religion und Geschlecht“, hierbei handle es sich um „eine neomarxistische Theorie, die entwickelt wurde, um Konflikte zu erzeugen, indem Menschen in Opfer und Schurken geteilt werden“. Doch sei es gerade diese „Betonung der Unterschiede der Menschen statt dem, was sie verbindet“, die die Menschen isoliere und trenne und die „jene Art von Misstrauen und ‚Ghettoisierung‘ verursacht, die meiner Meinung nach teilweise dazu geführt hat, dass mein Freund Sir David Amess MP ums Leben kam“.

Weiter kritisierte der frühere anglikanische Bischof „die endlose Selbstzerfleischung über die imperiale Vergangenheit Großbritanniens. Typisch für diese Obsession ist die jüngste Forderung, dass Kirchen ihre Denkmäler auf Verbindungen zu Sklaverei und Kolonialismus überprüfen. Ich bin kein Verteidiger des britischen Empire. Es gab viel Schreckliches: Menschen, die sich auf Kosten Indiens und meines heutigen Pakistan, meines Geburtslandes, bereicherten. Aber das Empire half auch den Menschen, indem es Städte verbesserte, Bewässerungssysteme einführte, moderne Bildung und demokratische Institutionen einführte.“ „Die Church of England scheint sich aber nur mit den schlimmsten Elementen des Imperiums wie dem Sklavenhandel zu befassen. Großbritanniens Beteiligung am Sklavenhandel war verwerflich – aber vergessen wir nicht, dass die Abschaffungsbewegung in Großbritannien begann und die Abolitionisten Christen waren. Warum wird das so selten anerkannt?“

Es gibt offenbar eine „Angst, auf die falsche Seite der herrschenden liberalen Orthodoxie zu geraten“, doch dies schwäche die Kirche. Die Leute wissen nicht mehr, wofür man steht, weil es so anstrengend sei, „allen Menschen alles zu sein“. Eigentlich suchen die Menschen, wenn sie in die Kirche gehen, „das Gefühl für die Gegenwart Gottes und die Lehre Christi“ – „besonders jene, die nicht oft gehen. Sie wollen keine fröhlich-klatschende Unterhaltungs-Show oder ein verherrlichtes Yoga-Zentrum, in dem Bibel, Gebet und wahre Anbetung an den Rand gedrängt werden“.

Er frage sich, warum die anglikanische Kirche so zurückhaltend geworden sei, wenn es darum gehe, „christliche Werte zu feiern? Aus der Geschichte geht klar hervor, dass christlich geprägte Gesellschaften freiere Gesellschaften sind, im Gegensatz zu solchen, die auf säkularer Ideologie basieren, wie etwa China und die UdSSR. Christliche Werte untermauern die Freiheiten, die wir in diesem Land genießen. Daher sollten wir Menschen hier auf der Grundlage willkommen heißen, dass sie diese Werte respektieren und gleichzeitig frei sind, ihre eigenen Überzeugungen zu vertreten und einen Beitrag zur breiteren Gesellschaft zu leisten.“

Außerdem solle die anglikanische Kirche „auch öffentlich die Ehe als dauerhafte Institution unterstützen, zu der sich Mann und Frau auf Lebenszeit verpflichten. Dabei geht es nicht nur um den christlichen Glauben. Alle Untersuchungen zeigen, dass es Kindern besser geht, wenn sie bei verheirateten Eltern leben. Manchmal ist eine Scheidung unvermeidlich, und niemand bestreitet, dass Alleinerziehende einen heldenhaften Job machen, aber das bedeutet nicht, dass man es nicht als Ideal ansehen kann, dass Vater und Mutter verheiratet sind.“ Die Kirche entschuldige sich zu oft „wegen der klassischen Ehe, aus Angst, die Unverheirateten zu beleidigen. Wir sollten nicht wertend sein, aber wir sollten die Wahrheit sagen, wie wir sie sehen“.

Auch müsse „die Kirche mehr tun, um Christen auf der ganzen Welt zu verteidigen. Ich habe mit verfolgten Christen in Ländern wie dem Irak, Iran, Pakistan und Syrien zusammengearbeitet und war eng in den Fall Asia Bibi involviert, die christliche Frau, die der Blasphemie angeklagt und in Pakistan zum Tode verurteilt worden war.“ Die katholische Kirche habe eine wichtige Rolle bei Asia Bibis  Freilassung gespielt, ebenso eine breite christliche Gemeinschaft. „55 Abgeordnete unterzeichneten einen Brief an die Premierminister von Großbritannien und Pakistan. Aber die Church of England war nicht sehr lautstark in ihrer Unterstützung. Warum hat sie nicht mehr Führung gezeigt?“

Nazir-Ali hofft, so schreibt er, dass er ein Katholik des Personalordinariates werde, „der Christen in der näheren Umgebung unterstützt, die an den Rand gedrängt und von einem liberalen Totalitarismus verfolgt werden, der einen totalen Konsens erfordert. Ich werde immer wieder in Situationen verwickelt, in denen Menschen aufgrund ihres christlichen Glaubens ihren Arbeitsplatz verloren haben – Standesbeamte, die gegen ihr Gewissen keine Eheschließungen vornehmen wollen, Hebammen, die nicht an Abtreibungen teilnehmen wollen oder Krankenschwestern, weil sie ein Kruzifix im Dienst getragen haben. Die Church of England – und andere Kirchen – sollten im Namen aller Gläubigen aller Glaubensrichtungen kämpfen, die Gewissensprobleme haben. Zu oft scheint es, dass man sich da nicht einmischen will. Vor Jahrhunderten waren Kirchenführer bereit, für ihren Glauben zu sterben, und Christen auf der ganzen Welt tun es immer noch. Indem wir es versäumen, für sie und für die christlichen Grundwerte einzustehen, verraten wir sie.“

Foto links: Archivaufnahme von Michael Nazir-Ali, anglikanischer Bischof, 2009 (c) Wikipedia/Steve Nimmons/CC BY-SA 2.0


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