"Kultur im Priesterhaus"

1. November 2021 in Kommentar


Oder: Wie man am Wallfahrtsort Kevelaer neues Profil gewinnen will ... Kommentar von Franz Norbert Otterbeck.


Kevelaer (kath.net)

Der gefeierte Befreiungstheologe Leonardo Boff philosophierte einst über die Sakramentalität eines Zigarettenstummels. Das war zwar nicht ganz so albern wie es auf den ersten Blick wirkt, weil es um ein Andenken an den verstorbenen Vater ging und nicht um irgendeine achtlos weggeworfene Zigarette. Wenn ich die Pfarrnachrichten von St. Marien Kevelaer richtig deute, werden wir demnächst allerdings auch die Heilsnotwendigkeit von 'Kaffee und Kuchen' diskutieren.

Denn auf Seite 4 derselben, zum 30. Sonntag im "Jahreskreis", warb ein buntes Inserat für die "Kultur im Priesterhaus"; eine lockere Folge von Veranstaltungen, die am vorigen Mittwoch mit musikalischen und lyrischen Erinnerungen an einen Sommer begannen, Titel: "... am Abend". (Eintritt: 13,-- €, Kartenvorverkauf beim Kunsthandwerk am Kapellenplatz.) Ich war in Köln und Neuß unterwegs, weshalb ich leider noch nicht teilnehmen konnte. Vielleicht fällt mein Kommentar also etwas ungerecht aus.

Da mir die innere Kultur des Priesterhauses, Sitz der Wallfahrtsleitung, schon seit den Achtzigern vertraut war, musste ich über den Kurswechsel zunächst ein wenig schmunzeln. Denn über dem Eingang zum ehemaligen Oratorium prangt schon seit damals einladend die Inschrift: "Carpe diem", 'pflücke den Tag' (... und traue um kein Haar dem nächsten); eine Devise aus der Barockzeit, von zweifelhafter Qualität für eine Stätte des Gebets. Jemand witzelte seinerzeit: "Dann kann man ja sofort eine rote Laterne aufhängen ..." Soweit ist es aber noch nicht!

Es ist gut, wenn die Kirche keine Angst vor "neuen Formaten" hat; auch kath.net ist ja noch relativ neu, eine von Laien eigenverantwortlich gewagte Initiative. Im Mittelpunkt der "Kultur im Priesterhaus" steht ein engagierter Pastoralreferent, promovierter Religionspädagoge zudem, der seinen Job wohl ganz gut macht, soweit mich noch Nachrichten aus dem "Vatikänchen" dort erreichen. Es wirken auch mehrere der ausgezeichneten Kirchenmusiker an St. Marien mit. Insofern darf man den Initiatoren guten Willen zu Qualität unterstellen. Aber auf anderer Ebene wirft das Kulturprogramm doch Fragen auf.

Gehört es zur Seelsorge der Pfarrei - oder zur Wallfahrt? Der Werbeflyer nennt die Internetseite der Wallfahrt. Wen will man ansprechen? Alle? Oder doch nur einen Freundeskreis rund um die "Macher"? Einen Hinweis gibt das Thema des nächsten Abends: "Einfall. Ein Abend über die Idee ... und was daraus werden kann." Mit demselben Autor im Mittelpunkt! 'Was mir so einfällt, das ist gut?' Der dritte Abend, im Advent, präsentiert "Erika", also das Plüsch-Schwein aus einer Erzählung der Autorin Elke Heidenreich. Das steht allerdings nicht auf dem Werbeblatt. Woanders war zu lesen, dass es um die Sinnfrage im "heidenreichen" Sinn gehe. Für das nächste Jahr gibt es dann schonmal den Ausblick auf einen "Hauch von Kaffeehaus" im Priesterhaus, bei etwas höherem Eintritt. 'Wir lassen die Sau raus'?

Der Einfall für diese Idee der Kultur-Abende scheint mir noch nicht gründlich genug erwogen zu sein. Denn die christliche Kultur ist ja wohl etwas weiter gespannt als von Heidenreich zum Kaffeehaus und zurück. Ende 2019 endeten die jahrelang attraktiven "Glaubensgespräche" in St. Marien Kevelaer ersatzlos, noch vor Corona, wegen Verzichts des Moderators. Wahrscheinlich würden die 10 bis 30 monatlichen Teilnehmer auch so nicht mehr zusammenfinden, wegen der allgemeinen Ermüdung der Pastoral. Aber tritt jetzt Kulturkult an die Stelle des Glaubens? Es gab in Kevelaer auch schon andere "neue Ideen": die Dackelwallfahrt (genauer: Wallfahrt der Dackelfreunde), die 'Wallfahrt der Karnevalisten' (im November, außerhalb der Wallfahrtszeit), in diesem Jahr: eine Trecker-Wallfahrt aus dem Münsterland.

Offen ist Kevelaer auch immer noch für die "alte Messe", die Petrusbruderschaft oder das "Regnum Christi". Andererseits wurde 2015 eine "interreligiös" genannte Friedenswallfahrt von Rupert Neudeck gestartet, die in abgespeckter Version noch ca. 80 Teilnehmer anzieht. An dieser kurzen Wallfahrt vom Marienpark zur so gen. "Friedensstele" auf dem Kapellenplatz nehmen interreligiös offene Christen und kleine Delegationen von Judentum und Islam teil. Die zweifelhafte Ikonographie der Stele, die nicht eindeutig als Mariendarstellung zu erkennen ist, hatte jedoch schon bei ihrer Stiftung zu Kritik geführt ("Erdgöttin Gaia").

Jedenfalls kann man sich über eine mangelnde Bandbreite des Angebots am bedeutendsten Wallfahrtsort des Niederrheins nicht beklagen. Wo nur ist in diesem Spektrum das neue Kulturprogramm zu verorten? Gibt es ein Bedürfnis für "niedrigschwellige" Angebote, quasi an der Grenze zur offenen Areligiosität, parallel zum explizit christlichen Auftrag? Der vielzitierte "Satz 1" von 'Gaudium et spes' wird in der deutschen Kirche seit Jahrzehnten als Anspruchsgrundlage hergenommen, um viele Ideen zu rechtfertigen, gute und schlechte, nur: zur Kirche hingeführt haben diese Programme doch so gut wie niemanden. Aber vielleicht muss man ja auch niemanden mehr zur Kirche hinführen, wenn man dort Arbeit hat (manchmal schöne Arbeit, manchmal wenig Arbeit), die von der Kirche bezahlt wird. Engagierte Menschen begeben sich auf ihren Weg nach innen, um zu erlauschen, wo die Geistkraft "Gottes" sie bereichert, also: auch unabhängig von der Gehaltsabrechnung. Vielleicht.

Das ehemalige Priesterhaus (dort wohnen nur noch wenige Priester) als ein Haus der Freude und der Hoffnung? Möglich. Vielleicht gar nicht übel, aber das unterscheidend Christliche sollte doch wahrnehmbar bleiben, wenn schon die katholische Marienfrömmigkeit dort in den Hintergrund treten darf. Das Marienheiligtum ist nicht nur eine  "Alltagstankstelle für die Menschen". Es ist und bleibt Gnadenort, ein erwählter Ort, an dem die Mittlerin aller Gnaden Christi ihre Kinder inniger mit dem einzigen Erlöser der Menschen verbindet als anderswo. Sonst könnte die Jungfrau Maria nicht 'Trösterin der Betrübten' für uns sein.

Der frühere Mittelpunkt gerät vielleicht mehr und mehr in Randlage, wenn "das Priesterhaus" sich im Entertainment für die dort hauptberuflich Beschäftigten und ihr Umfeld neu profiliert. Dieselben sieht man selten im Rosenkranzgebet versunken. Als noch Ordensleute das Leben im Priesterhaus mitbestimmten, da war das anders. Nur wenige sind noch da. Das "gläubige Volk" ist zahlenmäßig heute überall so schwach geworden, dass es keinen nennenswerten Gegendruck mehr gegen solche Ideen und Einfälle ausübt, die doch eher zum Bereich der Angestellten-Selbstbelustigung gehören mögen als zum Kernauftrag der Kirche. Aber gut: Die Wenigen, die jetzt "am Drücker" sind, die gefallen sich so und segnen sich also selber. Aber: Sendung? "Output" nach draußen? Gar nicht so wichtig!

Papst Pius XI., der 1923 die Wallfahrtskirche zur Basilika erhob, folgte einer anderen Spur: 'Pax Christi in Regno Christi', Christi Friede in Christi Reich. Das war sein Programm. Diesbezüglich neigt Kevelaer sich der Abendstimmung zu, auch wenn die Basilika 2023 wahrscheinlich immer noch eine Basilika sein und noch nicht zum Kevelaerer Kaffeehaus erhoben wird...

Franz Norbert Otterbeck


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