Warum das Beichtgeheimnis in Österreich rechtlich gut abgesichert ist

16. November 2021 in Kommentar


"Der absolute staatliche Schutz ohne Möglichkeit der Umgehung schützt die freie Religionsausübung und ist keinesfalls ein Werkzeug systematischer Vertuschung" - kath.net-Analyse von Michael Koder.


Wien (kath.net/mk) Das Beichtsiegel, seitens der katholischen Kirche eines der am strengsten geschützten Geheimnisse, steht nach den Missbrauchsskandalen in vielen Ländern seitens des Staates und der Medien unter Beschuss. In Frankreich war es zu heftigen Debatten zwischen Staat und Kirche gekommen, nachdem sich Innenminister Gerald Darmanin gegen einen generellen staatlichen Schutz des Beichtgeheimnisses ausgesprochen hatte. Der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort, hatte daraufhin das Beichtsiegel wagemutig „stärker als die Gesetze der Republik“ genannt. Mittlerweile sind Kirche und Staat in einen Dialog eingetreten, die Debatte hat sich wieder beruhigt.

Unter dem Beichtgeheimnis wird nach can. 983 CIC die Pflicht zum absoluten Stillschweigen über das in der Beichte erlangte Wissen (nicht nur über gebeichtete Sünden) verstanden. Der Schutz ist äußerst streng ausgestaltet: Ein Priester, der diese Pflicht verletzt, zieht sich die sofortige Exkommunikation, also unter anderem den Ausschluss von jeglicher Feier der Sakramente und auch dem persönlichen Sakramentenempfang, zu. Nur der Papst kann diese Strafe aufheben. Für einen Geheimnisbruch gibt es keine Entschuldigung, selbst dann nicht, wenn das eigene oder fremde Leben davon abhängt. Der Sinn dieser strengen Verschwiegenheit besteht offensichtlich darin, den Gläubigen die Beichte und Aussprache im Vertrauen zu ermöglichen, ohne jede Befürchtung, dass durch eine Weitergabe vertraulicher Informationen ein Nachteil für sie entsteht.

In Österreich hat das Beichtsiegel traditionell einen starken Schutz, der auch völkerrechtlich abgesichert ist: das Konkordat (Vertrag mit dem Heiligen Stuhl) von 1934 schützt ausdrücklich Geistliche davor, Behörden über Personen oder Dinge Auskunft geben zu müssen, deren Kenntnis unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit steht. Derartige Verträge binden aber de facto nur politisch und sind rechtlich zahnlos: es wäre nicht das erste Mal, dass die Republik Österreich sich nicht an das genannte Konkordat hält (man denke an die fehlende Anerkennung kanonischer Ehen); in einem solchen Fall käme es darauf an, wie politisch wirksam der Heilige Stuhl und dessen Vertreter gegen eine Aufweichung des Beichtgeheimnisses protestieren würden. Zu beachten ist auch, dass Art. 15 des Staatsgrundgesetzes, der im Verfassungsrang steht, sowohl die Ausgestaltung der Sakramente durch die Kirche als auch die individuelle Religionsausübung des Beichtenden schützt. Eine Aufweichung des Beichtgeheimnisses stünde damit in Österreich im Verdacht der Verfassungswidrigkeit, weil sich der Staat in die Religionsausübung selbst einmischen würde. Denn wenn man einen katholischen Geistlichen etwa durch eine Strafdrohung dazu zwänge, der Polizei aus der Beichte erlangte Kenntnisse über Verbrechen zu melden, hätte er die Wahl zwischen gerichtlicher Strafe oder kirchenrechtlicher Exkommunikation, was einem Berufsverbot gleichkäme.

Der Schutz dieses Geheimnisses ist in zahlreichen österreichischen Verfahrensgesetzen vorhanden, betrifft also jedes behördliche Verfahren, ist aber faktisch im Strafprozess am relevantesten. Dort genießt es einen einzigartigen Schutz (§ 155 StPO), der sogar über den des Anwaltsgeheimnisses und der Amtsverschwiegenheit von Beamten hinausgeht. Ein Geistlicher darf (bei sonstiger Ungültigkeit der Aussage) nicht vernommen werden über das, was ihm „unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde“. Dieses Vernehmungsverbot ist wirklich absolut (im Gegensatz zu Ländern wie Deutschland, Italien und Frankreich), gilt auch nach dem Tod des Beichtenden weiter und selbst dann, wenn der Geistliche seiner Vernehmung – etwa nach einer Erlaubnis durch den Beichtenden – zustimmen würde. Darin unterscheidet es sich etwa vom Recht des Anwalts, seine Aussage zu verweigern, oder eben auch auszusagen. Selbst ein Beamter dürfte über ein Amtsgeheimnis aussagen, wenn er von seiner Verschwiegenheit vom Vorgesetzten entbunden wurde.

Dieses Beweisverbot darf auch nicht dadurch umgangen werden, dass schriftliche Aufzeichnungen des Beichtvaters beschlagnahmt werden oder im Beichtstuhl ein Abhörgerät installiert wird. Es gilt nicht nur für katholische Priester, sondern für alle Geistlichen einer in Österreich bestehenden Kirche oder Religionsgemeinschaft, soweit sie eine Seelsorgetätigkeit ausüben. Denn die zumeist anzutreffende Formulierung „unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit“ umfasst nicht nur im Rahmen der Beichte getätigte Äußerungen, sondern jede anvertraute Information, die dem Geistlichen in seiner Funktion als Seelsorger bekannt wird. Des Weiteren ist der Geistliche von der Pflicht befreit, geplante Straftaten zu verhindern, sollten diese ihm in der Beichte bzw. während seiner Tätigkeit als Seelsorger bekannt werden. Die Nicht-Verhinderung einer geplanten Straftat, von der man Kenntnis erlangt, ist nämlich ansonsten selbst eine Straftat (§ 286 StGB).

Täter wie auch Opfer einer Missbrauchstat würden ohne diesen Geheimnisschutz eine Aussprache wohl in der Regel gar nicht suchen. Darüber hinaus wird jeder vernünftige Beichtpriester - nach entsprechender Vorbereitung auf solche Situationen in der Priesterausbildung - alles daran setzen, einen Täter zu einem Geständnis bei der Polizei oder ein Opfer zu einer Aufdeckung gegenüber einer Vertrauensperson zu bewegen. Das Beichtsiegel hat also seinen guten Grund.


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