Kirchenträume – die selbstgemachte Kirche

16. November 2021 in Aktuelles


Die Integrierte Gemeinde war der Laborversuch einer selbstgemachten Kirche, in der viele Forderungen des Synodalen Weges schon vor Jahrzehnten verwirklicht wurden. Ein sehr deutsches Lehrstück. Von Paul Badde, Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/pb/Vatican Magazin) Der deutsche „Synodale Weg“ – ein Eigenweg und Abweg mit Vorgeschichten aus dem „Volk“ (Gottes). Am 3. Oktober 2021 wurde der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum Auftakt der zweiten Vollversammlung dieses „Synodalen Weges“ in Frankfurt mit den Worten zitiert: „Heiliger Vater, wir bearbeiten nicht Texte, sondern Träume, die wachsen sollen“.

Träume... wahrscheinlich wollte sich der Bischof damit an ein von Papst Franziskus gern genutztes Wort anschließen: der „Traum Gottes“, die „Träume der alten Menschen“ gegenüber der „Prophetie der Jungen“... oft gehört, immer wieder wiederholt, sowohl in Santa Marta als auch in offiziellen Ansprachen und Predigten.

„Kirchenträume“ und „Synodales“ oder eine nicht vorweg differenzierte und definierte „Synodalität“... eigentlich nichts Neues, nil novi sub sole. In der Geschichte sind viele derartige „Träume“ zu verzeichnen, Träume, die sich dann gern als häretische Albträume realisierten, verbunden mit so manchen Formen des (geistlichen) Missbrauchs. Man erinnere sich nur auch an die Geschichte der Katharer oder Albigenser, wie sie auch genannt werden, wohl eine der bekanntesten und radikalsten heterodoxen Strömung des mittelalterlichen Christentums, die vom 12. bis zum 14. Jahrhundert vornehmlich im Süden Frankreichs sowie in Italien, Spanien und Deutschland verbreitet war.

Projekte einer Neo-Kirche also (am besten mit Bischöfen und unter Berufung auf einen Papst). Ein langsames Einsickern von Heterodoxem unter dem Deckmantel des vermeintlich „Neuen“, „Authentischen“, dessen, was „Jesus wollte“.

Gerade in Deutschland hat man Erfahrung damit. Stichwort: „Integrierte Gemeinde“. Auch bei dieser Realität steht (stand) man vor einem (häretischen) Kirchentraum, der sich über die Jahrzehnte hinweg verbreitet hatte und zutiefst ins kirchliche Gewebe eingedrungen war/ist. In diesen Monaten zogen zuerst der Erzbischof von München und dann der Erzbischof von Paderborn die Reißleine. Es wird verfolgt werden müssen, ob dies genügt.

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Kirchennträume: Die Integrierte Gemeinde war der Laborversuch einer selbstgemachten Kirche, in der viele Forderungen des Synodalen Weges schon vor Jahrzehnten verwirklicht wurden. Ein sehr deutsches Lehrstück. Von Paul Badde

Die Integrierte Gemeinde wurde von einer „Synode“ regiert, wie hier oft betont wurde. So wurde in ihr jedenfalls das Dauer-Palaver eines so genannten „Kapitels“ der Gründerin Traudl Wallbrecher mit ihren Theologen, Priestern und Laien beiderlei Geschlechts viele Jahre lang genannt, wo nicht nur unzählige Worte produziert, sondern auch zahllose Eingriffe in die Biografien ihrer Mitglieder beschlossen wurden, mit Initiativen, wie die Kirche von morgen aussehen sollte.

In dem Sinn kann man die Integrierte Gemeinde heute auch als einen exemplarischen Modellversuch verstehen. Es waren „Kirchenträume“, wie der Alttestamentler Professor Dr. Norbert Lohfink S.J. sie im Jahr 1982 in einem seinerBücher emblematisch charakterisierte, doch wahr geworden! Außerdem war die Integrierte Gemeinde angeblich auch die gelebte Antwort auf die gewagte Frage des gleichen Jahres aus der Feder des Neutestamentlers Prof. Gerhard Lohfink, des jüngeren Bruders Norbert Lohfinks, mit dem Buchtitel: „Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?“

Beide Bücher waren Bestseller. Sie hatten eine enorme Wirkungsgeschichte in der theologischen Welt mit einem nicht zu ermessenden Einfluss auf Generationen von Lehrern und Studenten. Die Integrierte Gemeinde stellte sich damals gern als ein aufgeklärtes Zukunftsprojekt vor, mit einem wissenschaftlichen Kraftwerk von Professoren und Theologen in ihrer Mitte, die - im behaupteten Gegensatz zu sonstigen akademischen Welt - angeblich wie in der apostolischen Urgemeinde „untereinander einmütig“ waren und miteinander statt gegeneinander lehrten und arbeiteten - und zwar immer nach dem neuesten Forschungsstand.

So wundert nicht, dass von den heutigen deutschen Bischöfen eine große Anzahl an diesen Seminaren teilgenommen und die Zeitschriften der Integrierten Gemeinde lange gratis erhalten hat. Kardinal Degenhardt in Paderborn hatte die Integrierte Gemeinde all seinen Weihbischöfen als Trost und Hoffnung der Kirche ans Herz gelegt, von Franz-Josef Bode in Osnabrück über Hans-Josef Becker in Paderborn bis hin zu Reinhard Marx in München. Als „Ecclesiae Solamen“ (Trost der Kirche) stellte sich die IG nach einem Wort Johann Adam Möhlers auch gern selbst dar und vor. So genehmigte Bischof Walter Kasper von Rottenburg-Stuttgart schließlich am 12. März 1997 die Änderung ihres Namens in „Katholische Integrierte Gemeinde“ (KIG), nachdem sie seit 1968 nur „ Integrierte Gemeinde“ geheißen hatte.

Christoph Schönborn ging bei ihr ein und aus, lange bevor Papst Johannes Paul II. den prominenten Kirchenfürsten im Februar 1996 zum Metropoliten der Wiener Kirchenprovinz und 1998 zum Kardinal erhob, und natürlich auch noch danach. Ein großer Teil der heutigen Oberhirten Deutschlands und Österreichs stand unter ihrem Einfluss - wovon die meisten heute kaum mehr etwas wissen wollen. Das ist fast nur bei Rudolf Voderholzer anders, der im Jahr 1988 in der Pfarrei Zorneding vor München einmal als Kaplan die Scherben zusammenkehren musste, die eine radikal historisch-kritische neue Theologie und die selbstherrliche Praxis von drei Pfarrern der Integrierten Gemeinde in dieser Pfarrei, die ihnen von Kardinal Friedrich Wetter übergeben worden war, hinterlassen hatten.

Was heute von Vertretern des so genannten Synodalen Weges oft gefordert wird, war in der Integrierten Gemeinde jedenfalls alles schon da und noch mehr: Die Entmachtung der Priester, Frauen in allen führenden Positionen, kein Unterschied zwischen den Konfessionen und Geschlechtern, ebenso wenig zwischen Hetero- und Homosexuellen, Eucharistie für alle ohne Ansehen oder gar Kontrolle der Person, die durchgängig praktizierte Wiederzulassung wiederverheirater Geschiedener zu den Sakramenten mit einer großzügig praktizierten Binde- und Lösegewalt plus einer modernen und kritischen Hinterfragung aller Dogmen. Sakramente wurde insgesamt nicht mehr„magisch“ verklärt und überhöht, sondern nüchtern als das betrachtet, was sie angeblich wirklich waren.

Und wie sah es mit den „viri probati“ aus? Die gab es natürlich auch in der IG und wurden in ihr umstandslos zu Priestern geweiht, wenn sie der Gründerin als probat erschienen, die sie dann verschiedenen Bischöfen zur Weihe empfahl. Frauenpriestertum gab es nicht, doch die Priester in ihr taten ohnehin gehorsam das, was vor allem Frauen ihnen sagten. Es gab sogar auch die Praxis der Anbetung in der Integrierten Gemeinde. Dort galt sie jedoch nicht dem Allerheiligsten, sondern der IG und ihrer Gründerin auf eine Weise, wie heute der Synodale Weg von vielen als erlösendes Werkzeug des Himmels verehrt wird. Und insgesamt war in der hochambitionierten Gemeinde die Überzeugung so gut wie allgemein, dass ihre Mitglieder – zugegebermaßen unter einigen Opfern - die Kirche von übermorgen bereits im Hier und Jetzt verkörperten, quasi nach dem wissenschaftlich erhärteten Masterplan Jesu.

Am 20. November 2020 gab Reinhard Kardinal Marx jedoch bekannt, dass er den öffentlichen kirchlichen Verein Katholische Integrierte Gemeinde in der Erzdiözese München und Freising aufgelöst habe. Das geschah nach einer Visitation, die er für das alte Prestige-Projekt in seinem Bistum angeordnet hatte, nicht zuletzt auf Betreiben einiger ehemaliger Mitglieder. Doch seit Jahren ist die IG und mitten in ihr die Familie der Gründerin schon so gespalten, wie es früher nur gezielt jenen Familien zuteil wurde, aus denen es Kritik gab an der Gründerin und den von ihr initiierten „synodalen Beschlüssen“. Es ist ein Lehrstück. Doch es ist noch nicht klar, was es lehrt.

(c) Foto: Hildegard Schuhmann

 


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