24. November 2021 in Kommentar
„Dass man den Zölibat endgültig abschaffen will, ist bereits eine ausgemachte Sache gewesen, lange bevor die erste Sitzung des ‚Synodalen Weges‘ überhaupt begonnen hatte.“ Gastbeitrag von Joachim Heimerl
Wien (kath.net) Kaum etwas anderes steht so sehr im Widerspruch zum Denken des Mainstreams wie das Priestertum. Stein des Anstoßes ist dabei für gewöhnlich der Zölibat, an dem sich im Zeichen der Missbrauchskrise und befeuert vom Beschuss der Medien eine breite Öffentlichkeit abarbeitet, dies teilweise mit sehr viel Schaum vor dem Mund.
Wer dies für ein zeitgenössisches Phänomen hält, der irrt allerdings.
Im Grunde lassen sich ein antiklerikaler Reflex und mithin eine Infragestellung des Zölibats bereits seit der Reformation feststellen – und wie so oft gilt das vor allem für Deutschland.
Nach der Aufklärung war es dort insbesondere Bismarcks Kulturkampf, in dem man der Kirche endgültig zu Leibe rücken und ihre Priester verdächtig machen wollte; es gründeten sich sogar weltliche Vereine mit der Zielsetzung, den priesterlichen Zölibat ein für allemal abzuschaffen.
Während Bismarcks Pläne jedoch glücklicherweise scheiterten, setzte der Höhepunkt des Kampfes gegen die Kirche und das Priestertum endgültig erst mit dem „Dritten Reich“ ein: Missliebigen Priester, deren es viele gab, wurden erfundene „Sittlichkeitsverbrechen“ angehängt, um ihre zölibatäre Lebensform öffentlich zu diskreditieren und um sie selbst mundtot zu machen. Auf den hohen Blutzoll, den der Klerus darüber hinaus in den Konzentrationslagern für Christus und die Kirche entrichtet hat, sei dabei hier nur hingewiesen.
Gottlob haben sich die Zeiten seit damals verändert. Der priesterliche Zölibat jedoch blieb, was er immer gewesen ist: ein Stachel im Fleisch der Welt. Dies gilt umso mehr, als er darauf hinweist, dass es mehr als nur diese vergängliche Welt gibt und dass wir uns schon jetzt nach der anderen Welt ausstrecken, nach Gott hin. Damit gerät der Zölibat automatisch zu einem Zeichen des Widerspruchs: Inmitten der Welt legt er Zeugnis für die Ewigkeit ab, und der Hass der Welt wie ihre Verachtung rühren im Grunde nur von daher.
Die Ressentiments gegen das zölibatäre Priestertum, die sich seit der Reformation bis in unsere Zeit aufgestaut haben, sehen sich durch die aktuelle Missbrauchskrise scheinbar bestätigt. Dabei will jedoch kaum jemand zur Kenntnis nehmen, dass über 95 Prozent der Priester erwiesenermaßen KEINE Missbrauchstäter gewesen sind. Seinen eigenen Gesetzen nach ist das Skandalon jedoch immer größer als die Wahrheit, und dies erst recht, wenn sich mit ihm trefflich Politik machen lässt, genauer gesagt: Kirchenpolitik.
Während der Kampf gegen Priestertum und Zölibat nämlich bisher vornehmlich von außerhalb gegen die Kirche geführt worden ist, ist dieser Kampf nun in die Kirche selbst eingedrungen: Der Hass der Welt ist gleichsam zum kirchlichen Selbsthass geworden.
Nichts zeigt das deutlicher als ein vermeintliches „Reformprogramm“, das wie der sogenannte „Synodale Weg“ in Deutschland die Kirche von innen her aushöhlen und sogar zerstören möchte.
Dass man dabei den Zölibat endgültig abschaffen will, ist bereits eine ausgemachte Sache gewesen, lange bevor die erste Sitzung des „Synodalen Weges“ überhaupt begonnen hatte. Die sogenannte „MGH-Studie“ über den kirchlichen Missbrauch bietet das willkommene Werkzeug, um im Zölibat die vorgebliche Ursache allen Übels zu verorten – und um ihn „elegant“ und unter dem Beifall der Öffentlichkeit zu eliminieren.
Dass die vermeintliche „Magna Charta“ der kirchlichen Zölibatsgegner, in diesem Punkt durch das französische Missbrauchsgutachten inzwischen jedoch völlig überholt ist, verschlägt dabei nicht viel: Traditionell hält man in Deutschland unbeeindruckt am eigenen Kurs fest und sieht sich dabei noch als leuchtendes Vorbild für die Weltkirche. Was unter Kaiser Wilhelm II. galt, gilt für die Kirche in Deutschland so scheinbar noch immer: „Am teutschen Wesen soll die Welt genesen.“
Wohin das führt, zeigte bereits die fatale Geschichte des deutschen Kaiserreiches, und zuletzt zeigte es in diesem Herbst eben auch die „Synodalversammlung“ in Frankfurt. Als dort schließlich die (knappe) Mehrheit der „Synodalen“ nicht nur den Zölibat, sondern das Priestertum am sich infrage stellte, wurde die antikirchliche und destruktive Zielrichtung des deutschen „Reformprogramms“ endgültig evident.
Dass die Welt den Zölibat nicht verstehen kann, das kann niemand verwundern.
Dass er aber auch in der Kirche zur Diskussion stehen soll, das kann nichts als ein Armutszeugnis sein, und zwar ein Zeugnis größter geistlicher Armut.
Natürlich liegt die leicht erkennbare Ursache dafür einmal mehr in einer Anbiederung an den Zeitgeist, dem man sich – abermals auf dem „Synodalen Weg“ – verpflichtet glaubt.
Die eigentliche und viel tiefer liegende Ursache für die Ablehnung des zölibatären Priestertums ist in Wahrheit aber nichts anderes als die Ablehnung Christi selbst: So wie die Welt Christus ablehnt, so lehnt sie seine Priester ab. Im Johannesevangelium sagt Jesus das den Jüngern klipp und klar: „Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat“ (Joh. 15,18).
Wie aber verhält es sich damit innerhalb der Kirche? Kann man auch hier von einer Ablehnung Christi sprechen, vielleicht sogar von einem Hass? Man erschauert bei diesem Gedanken und fragt sich: Kann das wirklich sein?
Vor einiger Zeit hat eine deutsche Zeitung von einer Potsdamer Pastoralreferentin berichtet, die aus der Kirche ausgetreten ist.
Als ob das nicht schon erstaunlich genug wäre, erklärte die Frau gegenüber die Zeitung, sie habe ihren Glauben schon viele Jahre zuvor verloren und habe dann eben „glaubenslos“ in der „Seelsorge“ weitergearbeitet, bis sie schließlich mit dem Austritt die letzte Konsequenz zog.
Dies mag, wie man hofft, ein krasser Einzelfall sein, aber er zeigt zumindest eins: Es gibt wirklichen Unglauben inmitten der Kirche und dies sogar bei denen, die kirchliche Ämter bekleiden. Zudem steht zu befürchten, dass es sich hierbei keineswegs nur um Laien im kirchlichen Dienst handelt, sondern ebenso um Diakone, Priester und – wie es hie und da scheint – sogar selbst um Bischöfe: Der öffentliche Glaubensabfall ist in Teilen des deutschen Klerus längst salonfähig geworden.
Gleichzeitig hört man von nicht wenigen priesterlichen Mitbrüdern aus – deutschen – Bistümern, dass sie innerhalb der kirchlichen Strukturen nur noch als „Sakramentenspender“ gesehen werden, wenn nicht gar als anachronistische Relikte einer überlebten, eben einer „katholischen“ Zeit. Demgegenüber haben inzwischen hauptberufliche Laien in einzelnen Bistümern das Ruder übernommen und finden spürbaren Gefallen an der neugewonnenen „Macht“, die sie nun über die Priester zu haben meinen. Wer dies erfahren hat oder wer wenigstens um diese Entwicklung weiß, der wird nicht umhin können, hier zumindest von einem latenten innerkirchlichen Hass gegenüber dem Priestertum zu sprechen. Dabei ist Hass oder wenigstens die Ablehnung gegenüber dem Priestertum immer eine Ablehnung des einzigen Hohenpriesters – und das ist wiederum kein anderer als Jesus Christus selbst.
Was wir innerhalb der Kirche noch sehr viel breiter vorfinden, ist zudem ein wachsendes Nichtkennen Christi und auch dies auf allen Ebenen.
Ein Nichtkennen Christi bedeutet dabei zunächst einmal ein Nichtkennen des Glaubens.
Wer den Glauben nicht kennt, der kann Christus nicht kennen. Und wenn man bedenkt, dass es seit Jahrzehnten in den Pfarren kaum noch Katechese gibt und dass es um das religiöse Wissen der durchschnittlichen Gläubigen mithin immer schlechter bestellt ist, dann bedeutet dies nichts anderes, als dass Christus in seiner Kirche weithin zum großen Unbekannten geworden ist.
Insbesondere betrifft dies auch die Theologie, besonders an den staatlichen Hochschulen, aber ebenso, wie es bereits angeklungen ist, den kirchlichen „Apparat“ als solchen.
An einem Beispiel wird dies besonders deutlich: Während Papst Benedikt XVI. immer wieder betont hat, dass der historische Jesus tatsächlich der Jesus der Evangelien ist und dass wir den Evangelien vertrauen dürfen, trug ihm dies beim kirchlichen „Establishment“ – abermals in Deutschland – nur Häme ein. Von den Evangelien und der überlieferten Lehre der Kirche hat man sich dort und andernorts in einem falsch verstandenen „Fortschritt“ längst „emanzipiert“, und in der Weise, in der man das getan hat, hat man eben auch den lebendigen und auferstandenen Herrn völlig aus den Augen verloren. Für viele sind Glaube und Kirche stattdessen ebenso rein theoretische und variable Konstrukte geworden wie letztlich Jesus Christus selbst. Auch hier ist Er so zum Unbekannten geworden, und dazu passt es, dass man seine Lebensform nicht mehr verstehen oder sie wenigstens „exegetisch“ wegdeuten möchte.
Die Lebensform Jesu ist ohne jeden Zweifel eine zölibatäre gewesen, und nur darin liegt der tiefste Sinn, der heilige Urgrund des priesterlichen Zölibats.
Wenn der Priester in persona Christi handelt, dann tut er das in einem engeren Sinn bei der Feier der Heiligen Messe und bei der Spendung der Sakramente. Darüber hinaus soll er aber auch mit seinem ganzen Leben sichtbar machen, dass er Christus nachfolgt und dass Christus durch ihn handelt. Anders als ein beliebiger „Beruf“ erfasst die Berufung zum Priestertum so den ganzen Mann und sein ganzes Leben. In diesem Sinn hat Kardinal Sarah in seinem großartigen Buch „Aus der Tiefe des Herzen“ den Wert des priesterlichen Zölibats dargestellt, der den Priester zuinnerst mit Christus verbindet. Priestertum und Zölibat sind nach Sarah von Christus her wesentlich aufeinander bezogen, und nur von diesem Gesichtspunkt aus wird jene übernatürliche Schönheit des priesterlichen Zölibats deutlich, die der Welt und all jenen verborgen bleibt, die Christus eben nicht kennen.
In seiner Autobiographie „Unerschütterlich im Glauben“ hat der Diener Gottes Bischof Fulton Sheen seine „Gedanken zum Zölibat“ formuliert, die vielleicht zum Schönsten gehören, was je über dieses Thema geschrieben worden ist.
Sheen betont hier besonders, dass der Zölibat kein bloßes kirchliches Gesetz sei, sondern zutiefst etwas mit der Liebe des Einzelnen zu Christus zu tun habe. Nach Sheen ist der Zölibat deshalb nicht ein in erster Linie ein Verzicht, sondern vor allem eine „Liebesangelegenheit“, so wie es parallel eben auch das Sakrament der Ehe ist.
In dieser Sichtweise wird der Zölibat so zu einem großen Geschenk und, wie Sheen sagt, sogar zu einer Notwendigkeit, denn der Zölibat sei auch „ein Umformer, der die innere Energie vervielfacht, damit die Seele [des Priesters] ganz und gar auf Christus gerichtet bleibt, der in ihr lebt.“ Ohne eine solche Umformung aber kann niemand Priester sein!
Am schwersten und unverständlichsten ist der Zölibat nach Sheen dagegen nur, wenn wir Priester Christus nicht mehr lieben, wenn wir den alltäglichen Kontakt mit ihm aufgeben, bis wir ihn schließlich im schlimmsten Fall ebenfalls kaum noch kennen; und auch hier würden sich, wie man weiß, manch weitere Parallelen zur Ehe bzw. zu Eheproblemen ergeben.
Natürlich ist dies kein Standpunkt, mit dem man heute in TV-Shows auftreten und eine große mediale Öffentlichkeit erreichen kann, und auch aus diesem Grund bleibt er der Welt wohl für immer verborgen.
Wenn es der Kirche aber – gerade nach der Missbrauchskrise – um eine Erneuerung des Priestertums und mithin des zölibatären Lebens geht, dann darf das keine destruktiven „Reformen“ a la „Synodaler Weg“ bedeuten, sondern dann muss man das zölibatäre Priestertum als das wiederentdecken, was es ist: Als eine Liebesangelegenheit, die eben nicht von dieser Welt ist und die gerade deshalb ein erfülltes Leben ermöglicht.
Der Autor Dr. Joachim Heimerl ist Priester der Erzdiözese Wien und Oberstudienrat.
Archivfoto Dr. Heimerl (c) Privat
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