Die Mär vom Priestermangel – und warum „viri probati“ keine Alternative für die Kirche sind

13. Jänner 2022 in Kommentar


„Vor einiger Zeit hat ein norddeutscher Bischof allen Ernstes gesagt, man brauche nicht mehr um Priester zu beten; es hätte sich ja zur Genüge gezeigt, dass das nichts nutze.“ Gastbeitrag von Joachim Heimerl


Wien (kath.net) „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seinen Weinberg sende“ (Lk 10,2). Wenn man dieses Wort Jesu näher betrachtet, fällt auf, dass Jesus zwar von einer reichen Ernte spricht, aber nie von einer ebenso reichen Zahl der Arbeiter. Er sagt zwar, dass Arbeiter von Gott erbeten werden können und sollen, er sagt aber nicht, dass dem Mangel an Arbeitern dann etwa ein Überangebot folgen werde. Er sichert uns sozusagen lediglich eine „Grundversorgung“ zu, die – wie alles – immer Gnade bleibt.  

Vor einiger Zeit hat ein norddeutscher Bischof allen Ernstes gesagt, man brauche nicht mehr um Priester zu beten; es hätte sich ja zur Genüge gezeigt, dass das nichts nutze. Scheinbar hat dieser Bischof nicht nur kein Vertrauen in das Wort Jesu, sondern er hat ihm auch nicht zugehört – wie viele!

Die weltweite Verkündung des Evangeliums hätte nach dem Ermessen des Bischofs so zwangsläufig und schon von Anfang an scheitern müssen, wenn man bedenkt, dass Jesus nur mit zwölf Arbeitern in seinem Weinberg angefangen hat. Nur zwölf für die ganze Welt! Nach den modernen Maßstäben des Managements oder des Marketings ist das völlig unrealistisch – und dennoch ist es geschehen. Mit anderen Worten: Die im Verhältnis geringe Zahl von Arbeitern ist von Anfang an von Jesus intendiert, ebenso wie deren strikte Abhängigkeit von der Gnade Gottes und vom Bittgebet: „Bittet also den Herrn der Ernte...“.

Die Kirche war und ist kein Unternehmen mit einer verlässlichen „Personalplanung“ und einem „Businessplan“; sie liegt immer ganz in Gottes Hand und kann sich auf nichts weniger verlassen als auf sich selbst. Insofern ist sie eben nicht von dieser Welt und man möchte hinzufügen: Und das ist auch gut so!

Mancher mag hier einwenden, dass es früher mehr Priester gegeben habe, und das ist natürlich richtig. Viel mehr sogar! Allerdings gab es früher auch noch viel mehr Gläubige.

Wenn wir die Zahl der Priester zu den heute wirklich noch praktizierenden Gläubigen ins Verhältnis setzen, haben wir nicht weniger Priester als vor 50 Jahren. Mit anderen Worten: Der Priestermangel ist eine Mär. In Wahrheit haben wir keinen Priestermangel, sondern einen Mangel an Gläubigen! Und in dem Moment, in dem sich dies ändern würde, würde der Herr natürlich auch mehr Priesterberufungen erwecken. Diese erstehen ja nicht aus dem Nichts der Glaubenslosigkeit heraus, sondern erwachsen aus dem Boden der gläubigen Gemeinden. Ist der Boden aber trocken geworden, wie soll da die Saat aufgehen?

Durch die zunehmende Glaubenslosigkeit ist die sogenannte „Volkskirche“ in unseren Breiten schon jetzt fast völlig verschwunden. Europa ist ein Missionsgebiet geworden und wird es in naher Zukunft immer mehr werden.

Mit anderen Worten: Die Kirche in Europa wird zur Diaspora der Katholiken werden: Die ortsgebundenen Pfarreien mit einem eigenen Priester wird es, zumal auf dem Land, bald nicht mehr geben, stattdessen werden wenige und mehr verstreut lebende Gläubige von wenigen Priestern betreut werden. Die geringe Zahl der Gläubigen wird so in der geringeren Zahl der Priester ihr natürliches Äquivalent finden. Die Vorstellung, immer weniger Gläubige mit immer mehr Priestern versorgen zu wollen, indem man etwa den Zölibat aufhebt, ist dagegen nicht nur eine nostalgische Illusion, sondern sie ist absurd.

Schon hier zeigt sich, dass die Weihe verheirateter Männer, sogenannter „viri probati“, nur eine scheinbare Lösung für diejenigen ist, die noch immer nicht begriffen haben, worum es in Wirklichkeit jetzt geht, nämlich um die Evangelisierung, um die Mission und um die Neuausbreitung der Kirche in Europa.

Dementsprechend hat Papst Benedikt XVI. uns hier sehr klar den Weg in die Zukunft gewiesen, indem er in seiner Freiburger Rede ausdrücklich gesagt hat, die Kirche müsse konsequent entweltlicht werden.

Eine verweltlichte Kirche taugt nämlich zu nichts, und schon gar nicht zur Verkündung des Glaubens; sie wird sich stattdessen selbst überflüssig machen. Genau dies erleben wir gegenwärtig in Europa und besonders in Deutschland, wo die Kirche mit irdischen Gütern im Überfluss ausgestattet ist, wo sie zugleich aber auch geistlich verarmt. -Eine Verweltlichung des Priestertums, etwa durch die Weihe von „viri probati“, würde diese Entwicklung nur noch beschleunigen.

Dabei wäre hier zunächst zu fragen: Was macht einen „vir probatus“ überhaupt für das Priestertum „probat“? Vermutlich mag man zuerst an die ständigen Diakone denken. Als „viri probati“ kommen aber gerade sie nicht in Frage, wenn man den ständigen Diakonat, wie ihn das Zweite Vatikanum wieder eingeführt hat, ernst nimmt. Der ständige Diakon hat nämlich eine eigene, vollwertige und sehr wichtige Berufung in der Kirche, nur hat er eben keine priesterliche Berufung. So ist der ständige Diakonat weder eine „Wartestufe“ zum Priestertum hin noch gar ein „Trostpreis“ dafür. Hinzu kommt: Würden ständige Diakone zu Priestern geweiht, würde dieser sehr wertvolle Dienst aus der Kirche wieder verschwinden und hätte sich so lediglich als „Luftnummer“ des Konzils erwiesen.

Unter „viri probati“ versteht man deshalb auch nicht Kleriker wie die ständigen Diakone, die ein eigenes Charisma haben, sondern geeignete Laien, das heißt Männer, die sich in der Ehe und im Gemeindeleben „bewährt“ haben. Schön und gut – nur ist die Ehe eben etwas völlig anderes als das Priestertum und aus einem guten Ehemann wird keineswegs zwangsläufig ein guter Priester werden. Natürlich kann jemand beispielsweise als Lektor, Kommunionhelfer oder Pfarrgemeinderat lange und gute Dienste leisten, aber auch das heißt nicht, dass er dadurch für das Priestertum in Frage kommt. Vielmehr besteht hier die Gefahr eines „Funktionärspriestertums“, dessen Folge nur eine weitere Verweltlichung des Priestertums und damit der ganzen Kirche wäre. Die Rolle der kirchlichen Funktionäre – etwa des „ZDK“ – ist in Deutschland ohnehin schon problematisch, und auf dem sogenannten „Synodalen Weg“ stellt sich dies gegenwärtig überdeutlich heraus. Der Sendung der Kirche würde eine Stärkung des Funktionärswesens durch die Heiligen Weihen schon deshalb nur noch weiter abträglich sein. Wohl auch aus diesem Grund hat sich der Heilige Vater im nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ ausdrücklich gegen eine solche Klerikalisierung der Laien gewandt, deren Charisma in der Kirche durch die Heiligen Weihen ja gerade nicht gestärkt, sondern weiter verdrängt würde.

Schließlich würde auch die Aufweichung des Zölibats durch die „viri probati“ eine weitere Verweltlichung der Kirche bedeuten.

Die Problematik eines nicht-zölibatären Klerus war bereits im frühen Mittelalter zu besichtigen und führte dort zu einem beispiellosen Niedergang der Kirche. Zwar war dem verheirateten Klerus nach frühchristlicher Praxis (eigentlich) die eheliche Enthaltsamkeit auferlegt, in Wirklichkeit aber war das Gegenteil der Fall: Ehebruch und sogenannte „Friedelehen“ – also das Konkubinat – griffen wild um sich, und nicht wenige Priester vernachlässigten darüber völlig das geistliche Amt. Die Kirche war auf einem moralischen Tiefpunkt angelangt, aus dem ihr nur noch die Kirchenreform des 10. und 11. Jahrhunderts heraushelfen konnte, dann übrigens mit der strikten Verpflichtung des Klerus zum Zölibat. Mit der Rückkehr der Priester zur zölibatären Lebensform Jesu blühte die Kirche dann aber wieder neu auf. Das Reformprogramm der Entweltlichung war so schon damals ein voller Erfolg.

Natürlich sind die Verhältnisse inzwischen anders, doch wer heute verheiratete „viri probati“ einführen möchte, der wird morgen geschiedene haben, von den prekären Zuständen wie im Frühmittelalter womöglich ganz zu schweigen. Insofern hat Barbara Tuchman das „Mittelalter“ einmal einen „fernen Spiegel“ für unsere Zeit genannt und wir sind gut beraten, genauer in diesen Spiegel hineinzublicken.

Wer nun freilich im Zuge der Missbrauchskrise Einwände gegen das zölibatäre Priestertum erheben und sich zugunsten der „viri probati“ positionieren möchte, der sei auf die eindeutige Studienlage und die Statistiken hingewiesen: Die überwältigende Zahl der Missbrauchstäter sind in unserer Gesellschaft Ehemänner und Väter und eben NICHT zölibatäre Priester. Von einem unterstellten „Mehrwert“ der „viri probati“ auch hier keine Spur!  

Kurzum: Für die Erneuerung der Kirche und für ihre Neuausbreitung in Europa braucht es anderes als die „viri probati“. Es braucht die radikale Entweltlichung der Kirche und eine breit aufgestellte Evangelisierung. Dann, so dürfen wir sicher sein, wird der Herr auf unsere Bitte hin wieder mehr Arbeiter in seinen Weinberg senden.


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