21. Dezember 2021 in Kommentar
„Alle, die mein Bonifatius-Institut-Interview gehört haben und dies mit den Schlagzeilen angeblicher Qualitäts-Medien verglichen, konnten sich überzeugen vom diametralen Gegensatz zwischen Wahrheit und Lüge.“ Gastkommentar von Gerhard Kardinal Müller
Vatikan (kath.net) Alle, die mein Interview im Bonifatius-Institut mit eigenen Ohren gehört haben und dies mit den Schlagzeilen angeblicher Qualitäts-Medien verglichen, konnten sich unmittelbar überzeugen vom diametralen Gegensatz zwischen Wahrheit und Lüge.
Die Vokabeln "Coronaleugner, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker" hatten nicht einmal einen sprachlichen Anhalt in meiner Stellungnahme zur kirchlichen Reaktion (in Verkündigung und Liturgie) auf die Coronakrise. In meiner Kritik an den Matadoren der sogenannten "Neuen Weltordnung des BigReset" nach neomaterialistischem Muster projizierten Politiker und Meinungsmacher extrem unterkomplex ihre eigenen antisemitischen Denkmuster hinein. Der geistige Kurzschluss ist bekanntlich der schnellste Weg von einem zum andern Klischee und zuverlässig das Markenzeichen all der Halbgebildeten, die sich zu Volkserziehern berufen fühlen.
Ein "Politologe", der in den Text eines schon vor Jahrzehnten habilitierten Theologen wortakrobatisch antisemtische Chiffren hineinprojiziert, kann eigentlich nur seine Dechiffiermaschine mit dem Schredderappparat für eigene geistige und moralische Abfallprodukte verwechselt haben. Er sollte schleunigst zur Gegenkontrolle neben seine politische Propaganda-App eine wissenschaftlich-theologische Applikation herunterladen. Es ist absurd, wenn Ideologen verantwortlich denkenden Mitbürgern eine ethische Position verbieten wollen, weil diese von einer vielleicht in anderer Hinsicht problematischen Partei und Persönlichkeit auch vertreten wird. Die chinesische Schriftstellerin Fang Fang bemerkt zurecht: "Links-und Rechtsextremismus sind im Grunde identisch. Beiden Extremen gemeinsam ist, dass sie nicht tolerieren können, dass andere Menschen nicht genauso denken wie sie." (Wuhan Diary Hamburg 2020, 175).
Der kultur-und rasseideologische Begriff vom "dem" (!) Judentum im 19. und 20. Jahrhundert ist nicht nur in naturwissenschaftlicher, soziologischer und philosophischer Hinsicht völliger Schwach- und Wahnsinn, sondern steht auch in einem totalen Widerspruch zum Judentum in der biblisch-heilsgeschichtlichen Perspektive. Dass der Zwölf-Stämme-Verband Israel, später auch nach einem seiner Stämme Juda genannt, das erwählte Eigentums-Volk Gottes ist, gehört zum Bekenntnis der katholischen Kirche von Anfang an. Die Christen aller Konfessionen erkennen dies nicht nur als historische Tatsache an, sondern weit darüber hinaus als geoffenbarte Glaubenswahrheit.
Statt theologische Fachbegriffe ideologisch im antichristlichen Sinne zu dechiffrieren, sollten "empörte" Politiker, Politologen, Abgeordnete und Beauftragte erst einmal schauen, wie im Neuen Testament von "den Israeliten" die Rede ist: Denn "ihnen gehören die (Gottes-)Sohnschaft, die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse; ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, ihnen gehören die Väter und ihnen entstammt der Christus dem Fleisch nach." (Römerbrief 9, 4 f).
Der Unterschied zwischen Juden und Christen nach dem Auftreten Jesu von Nazareth besteht nicht (systematisch) in einem feindseligen Gegensatz (auch wenn er leider historisch-faktisch praktiziert wurde), sondern in der Anerkennung Jesu als des verheißenen Messias. Die damit gegebene institutionelle Verschiedenheit einer jüdischen und einer christlichen Glaubensgemeinde hebt aber nicht die Tatsache auf, dass sie im Glauben an den einzigen und selben Gott vereint sind, der die Welt aus dem Nichts und die Menschen nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat. Daraus ergibt sich im Blick auf den Dekalog die gleiche Ethik und die Orientierung all unseres Denkens und Handelns am Gewissen, in dem wir uns vor Gott als unserem höchsten Richter zu verantworten haben.
Ohne diese Fragen hier vertiefen zu können, ist kurz hinzuweisen auf die Verhältnisbestimmung zwischen dem Gottes-Volk Israel und der "Kirche aus Juden und Heiden" (Epheser-Brief 2, 11-22) aufgrund des christlichen Glaubens an Jesus den Messias, den Sohn Gottes. Im Hinblick auf die Offenbarung des auferstandenen Christus als unseren Herrn sagt Paulus: "Denn darin gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen (=Heidenvölkern). Denn alle haben denselben Herrn; aus seinem Reichtum beschenkt er alle, die ihn anrufen. Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden." (Römerbrief 10,12f).
Heute bezeugen Juden und Christen, ohne ihren je eigenen Glauben zu relativieren, gemeinsam die hoffnungsvolle Botschaft von dem einen Gott, dem Schöpfer, Befreier, Retter, Richter, dem Urheber der unverletzlichen Würde und Grundrechte aller Menschen, der ein respektvolles Zusammenlebens gerade auch in den pluralistischen Gesellschaften der Gegenwart ermöglicht und will.
Archivfoto Kardinal Müller (c) kath.net
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