„Der Rauch des Satans“ – Die Verweltlichung der Kirche

5. Jänner 2022 in Kommentar


„Spätestens als Papst Franziskus im Interview die Bedeutung seines Briefes nochmals hervorhob, hätte man in Deutschland hellhörig werden müssen. Jedoch…: Bis heute wird das päpstliche Schreiben vollständig ignoriert.“ Gastbeitrag von Joachim Heimerl


Wien (kath.net) „Wir haben das Gefühl, dass durch irgendeinen Spalt der Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen ist (…).“  

Diese Worte des heiligen Papstes Paul VI. werden so häufig zitiert, wie sie zweifellos wahr sind, und sowohl in der Kirchengeschichte als auch in der Gegenwart finden sie ihre Bestätigung: Der Satan wirkt nicht nur gegen die Kirche, sondern er tut es auch in ihr. Dies zeigen insbesondere die großen Krisen der Kirche, die in Zyklen von rund 500 Jahren wiederzukehren scheinen.

Der erste Zyklus begann bereits im 5. und 6. Jahrhundert mit dem Untergang Roms und den Auseinandersetzungen um die rechte Lehre von der Natur Christi. Dass diese abstrakte theologische Frage Mord und Totschlag zur Folge hatte und die Kirche nahezu an den Rand ihrer Existenz brachte, kann man sich heute nur noch schwer vorstellen.

500 Jahre später folgte im 10. und 11. Jahrhundert die Kirchenkrise des Hochmittelalters mit dem großen abendländischen Schisma und dem Investiturstreit. Schließlich kam es im 16. und 17. Jahrhundert zu den Wirren der Reformation, zur Kirchenspaltung und zum Dreißigjährigen Krieg. - Dass die Kirche heute, wiederum 500 Jahre später, abermals in einer der größten Krisen ihrer Geschichte steckt, ist sicher unbestritten.

Vermutlich werden „moderne“ Theologen und Kirchenkritiker hierfür kaum den „Rauch des Satans“ verantwortlich machen. Dennoch fällt auf, dass die Spuren dieses Rauches über die Jahrhunderte hindurch die gleichbleibende Handschrift jenes „Diabolos“ tragen, der in der griechischen Wortbedeutung seines Namens stets alles durcheinander bringen will. Als der „Herrscher dieser Welt“ (Joh. 12,31) will er die Kirche sich selbst gleichförmig machen und sie dem Ungeist „seiner“ Welt unterwerfen. Wohl nicht zuletzt deshalb hat Papst Benedikt XVI. in seiner Freiburger Rede (2011) ausdrücklich zu einer „Entweltlichung“ der Kirche aufgerufen.

Wohin dagegen eine Verweltlichung der Kirche führt, war schon im Hochmittelalter zu sehen: Im 10. und 11. Jahrhundert war die Kirche auf einem absoluten Tiefpunkt angekommen. Bischöfe und auch Päpste wurden durch die salischen Kaiser ernannt. Auf der Synode von Sutri (1046) setzte Heinrich III. sogar drei rivalisierende Päpste ab und erhob - zum Missvergnügen der Römer - den Deutschen Suitger von Bamberg als Clemens II. auf den Apostolischen Stuhl.

Die Kirche war damals jedoch nicht nur der Autorität der Kaiser ausgeliefert, sondern auch dem Übel der Simonie, dem Ämterkauf. Trotz kirchlichen Verbots war diese Praxis Gang und Gäbe, und nicht wenige Bischöfe und Päpste gelangten auf diesem Weg ins Amt. Heinrich III. wiederum gab diese Fehlentwicklung die Handhabe, auf der Synode von Sutri als „Schutzherr der Kirche“ aufzutreten. Zugleich machte er damit klar, dass das „Imperium“ - Kaiser und Reich - dem „Sacerdotium“ - Papst und Bischöfen - übergeordnet sei. Die Kirche war gleichsam zur Gefangenen des Imperiums geworden.

Als ob all diese Missstände nicht ausgereicht hätten, gab es damals zudem keine verpflichtende Ehelosigkeit des einfachen Klerus. Die Folgen waren verheerend: Konkubinat, Ehebruch und sittliche Verwahrlosung gehörten ebenso dazu wie die Vernachlässigung des geistlichen Amtes. Nicht selten zählten Priester eher zu den öffentlichen Sündern in ihren Gemeinden, als dass sie ein Vorbild gewesen wären und ihre seelsorglichen Pflichten erfüllt hätten. Mit einem Wort: Der Rauch Satans, der in die Kirche eingedrungen war, um sie zu verwirren, war nichts anderes als der Ungeist der Verweltlichung und der Abhängigkeit von der Welt. Die Rettung der Kirche ging schließlich von einer Erneuerungsbewegung der Klöster aus, die nach dem Beispiel der Abtei von Cluny das monastische Leben strikt reformierten. Die „cluniaszenische Kirchenreform“ begann, an deren Spitze mit Gregor VII. einer der bedeutendsten Päpste des Mittelalters stand. Gregor gelang es, den Einfluss des Imperiums auf die Kirche zurückzudrängen: Der Gang Heinrichs IV. nach Canossa (1077) markiert hier den Wendepunkt, bis sich die Kirche mit dem Wormser Konkordat (1122) schließlich endgültig vom Einfluss des Reiches befreite: Allein der Papst durfte nun noch die Reichsbischöfe ernennen, die vom Kaiser lediglich in ihrer Doppelfunktion als weltliche Fürsten weiters belehnt wurden. Vom zweiten Laterankonzil (1139) wurde die Simonie einmal mehr verboten und der Klerus mit der Rückkehr zum Zölibat nachhaltig erneuert. Damit schien der Rauch Satans fürs Erste aus der Kirche gebannt, ihre Verweltlichung gestoppt.

Wenden wir den Blick vom Hochmittelalter auf unsere Zeit zurück, so steht die Kirche vor vergleichbaren Problemen. Wieder hat der Rauch Satans den verräterischen Geruch der Verweltlichung angenommen. Doch anders als im Mittelalter dringt er nun nicht mehr von außen in die Kirche herein, sondern kommt aus jenem Spalt in ihrem Inneren hervor, von dem Paul VI. sprach. War die Kirche im Mittelalter noch eine Gefangene der Welt, scheint es jetzt, als wolle sie sich ihr freiwillig in die Arme werfen. Dies betrifft, wie der „Synodale Weg“ in Deutschland zeigt, wiederum besonders den Zölibat, der den Vorstellungen „reformorientierter“ Kräfte nun weichen soll. Als Lebensform Jesu, die dem Priestertum angemessen ist, findet er im Grunde keine Wert¬schätzung mehr. Gern wird dabei auf die Missbrauchskrise verwiesen, auch wenn gerade sie das Gegenteil beweist: Unter den vielen Missbrauchstätern in der Gesellschaft sind Zölibatäre die kleinste Gruppe; sie umfasst ca. 3 Prozent. - Doch wie dem auch sein: Verheiratete Priester, so sagt man, würden ohnehin besser in die Welt von heute passen. Was man freilich nicht sagt: Das Priestertum würde dann ein Beruf wie jeder andere werden und seine Zeichenhaftigkeit noch mehr verlieren. Dass eine Verweltlichung des Priestertums aber eben nicht zur Erneuerung der Kirche beitragen kann, war wiederum bereits im Hochmittelalter zu sehen. Dies gilt auch für den Einfluss von Staat und Gesellschaft auf die Kirche, der heute noch viel stärker ist als etwa in der Zeit des Investiturstreits. Während es im Mittelalter nämlich um die rein politische Macht der Kaiser über die Kirche ging, sieht sich die Kirche heute der Allmacht der Medien und dem wachsenden Druck einer kirchenfeindlichen Gesellschaft ausgesetzt. Dieser Druck ist inzwischen so groß, dass ihm nicht wenige widerstandslos nachgeben. Dies zeigt sich einmal mehr in Deutschland, wo mancher Bischof in einen offenen Gegensatz zur Lehre der Kirche gerät, nur um in der Öffentlichkeit gut anzukommen. Als Beispiel seien hier etwa die „Segnungen“ gleichgeschlechtlicher Partnerschaften genannt, die im Frühjahr 2021 sehr klar jenen Punkt markierten, an dem sich in etlichen deutschen Diözesen ein öffentlicher Glaubensabfall vollzog: Nicht Gott selbst und das kirchliche Lehramt wurden hier noch als normgebend anerkannt, sondern einzig und allein der gesellschaftliche Mainstream.

Während sich die Kirche des Hochmittelalters aus den Fesseln staatlicher Bevormundung schließlich befreite, ist sie heute – zumal in Deutschland – bestrebt, sich moderne staatliche Strukturen zum Vorbild zu nehmen: Demokratie und Parlamentarismus sollen nach dem Willen des „Synodalen Weges“ in der Kirche Einzug halten. Über Fragen des Glaubens und der Moral entscheiden dann künftig Mehrheitsvoten, den Kurs der Kirche legt ein „synodaler Rat“ von Laienfunktionären fest, ganz offensichtlich nach kommunistischem Vorbild. Der Rauch Satans, den  Gregor VII. aus einer verweltlichten, vom Imperium abhängigen Kirche vertrieben hat, kehrt 1000 Jahre später durch weit geöffnete Fenster zurück.

Dass der Satan ein Feind ist, der nicht klein beigibt und immer wieder die gleichen Mittel anwendet, zeigt die Zeit der Reformation: Wieder war die Kirche dem Geist der Verweltlichung gefolgt, der sie erneut völlig korrumpierte. Die dekadente Lebensführung der Reichsbischöfe und der Renaissance-Päpste trieb dies auf die Spitze; bekanntlich geriet der Ablasshandel zum Stein des Anstoßes, als 1517 die Reformation begann. Gerade hier zeigt sich, dass der Geist der Reform nie zwangsläufig der Heilige Geist sein muss, sondern dass er auch der Ungeist des Diabolos sein kann: Anstatt zur Erneuerung der Kirche führte er so zur Spaltung. - Dass dies ein destruktives Geschehen war, das die Einheit der Kirche zerstörte, hört man heute freilich nicht mehr gern. An die Existenz protestantischer Glaubensgemeinschaften hat man sich stattdessen längst gewöhnt und hat darüber fast vergessen, dass der Zustand solcher Spaltung dem Willen Christi widerspricht. - Als die Glaubenskongregation demgemäß mit der Erklärung „Dominus Iesus“ (2000) daran erinnerte, dass protestantische Gemeinschaften nicht im Vollsinn „Kirche“ seien, stieß dies im Lande der Reformation auf erwartbaren Widerstand. Längst neigt man dort dazu, den Protestantismus als eine „bessere Kirche“ anzusehen, eben als eine „weltlichere“, und so scheint es nur konsequent, wenn man die Kirche auf dem „Synodalen Weg“ nun nach protestantischen Vorstellungen „reformieren“ will: Der Unterschied zwischen Eucharistie und protestantischem Abendmahl wird nivelliert, das sakramentale Priestertum ist verhandelbar geworden. Klar erkennt man den Geist, der dahinter steckt: Alles ist durcheinander geraten.

Papst Pius V. hat auf die Folgen der Reformation sehr entschieden reagiert. Dem Grundübel der Verweltlichung der Kirche setzte er zweierlei entgegen: Die Umsetzung der Beschlüsse des Konzils von Trient (1545-1563) und ein gezieltes missionarisches Wirken in der ganzen Welt. Damit, so darf man sagen, hat er nichts weniger als die Kirche gerettet. Und auch der Heilige Vater Franziskus weist die Kirche, zumal die Kirche in Deutschland, gegenwärtig in diese Richtung, wenn er immer wieder betont, dass man eben nicht dem „Diabolos“ des Zeitgeistes, sondern dem Geist des Evangeliums folgen muss.

Doch auch Päpste reagieren nicht immer richtig oder sie tun es gelegentlich wenigstens zu spät. Zur Zeit Luthers war dies tragischerweise bei Leo X. der Fall. Sein Pontifikat gehört zweifellos zu den unglücklichsten der Kirchengeschichte, und Leo selbst hat die Zeichen seiner Zeit fatal verkannt. Die Reformation hielt er für ein unbedeutendes Mönchsgezänk jenseits der Alpen im finsteren Deutschland. Anstatt dagegen einzuschreiten, pflegte er auf seinem Lustschloss Magliana bei Rom lieber der Sauhatz zuzusehen. Als er sich dort schließlich doch zur Bannandrohung gegen Luther entschloss, war es jedoch längst zu spät. Die Bulle „Erhebe Dich Herr, (…) denn ein wilder Eber will Deinen Weinberg verwüsten“, war motivisch nicht nur von den Psalmen, sondern zweifellos auch von den päpstlichen Jagdvorlieben inspiriert. Trotz allem Pathos entfaltete sie aber keine Wirkung mehr. Dem deutschen „Eber“ war nicht mehr beizukommen. Bischöfe und Fürsten standen im Reich längst hinter ihm. Der Nuntius berichtete einem entsetzten Papst nach Rom: „Das ist nicht mehr das katholische Deutschland von ehedem. Neun Zehntel erheben das Feldgeschrei 'Luther' und der Rest 'Tod der römischen Kurie'.“ - Die Ausdrucksweise mag sich in Deutschland seitdem gebessert haben; der antirömische Reflex ist jedoch bis in unsere Tage haften geblieben und zeigt sich auf dem „Synodalen Weg“ mit reformatorischem Impetus.
 
Dass es nach 500 Jahren in Deutschland zu einer neuerlichen Kirchenspaltung kommen könnte, liegt im Bereich des Möglichen. Schon jetzt hat unter dem Deckmantel des Katholischen ein Abfall von der Kirche eingesetzt, der - wie auch im Fall der Reformation -  von manchem Bischof unterstützt wird. Doch selbst wenn kein formales Schisma vollzogen wird, ist der Schaden, der der Kirche schon jetzt entsteht, kaum noch zu beheben.

Wie die Geschichte zeigt, verlaufen schismatische Prozesse mitunter sehr schnell.

Leo X. zögerte knapp drei Jahre, bis er eingriff; als der Papst, der die Spaltung nicht mehr verhindern konnte, ist er dann in die Kirchengeschichte eingegangen.

Anders als Leo X. hat der Heilige Vater Franziskus die Gefahr, die vom deutschen „Synodalen Weg“ ausgeht, nicht nur sofort erkannt, sondern er hat auch sofort auf sie reagiert. In seinem Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ (2019) zeigte er Wege für die Kirche in der heutigen Zeit auf. Er tat dies - anders als Leo X. - nicht autoritär, sondern väterlich und pastoral. Über die Bedeutsamkeit seines Briefes darf dies jedoch nicht hinwegtäuschen. Dies umso weniger, wenn man bedenkt, dass es in der jüngeren Kirchengeschichte zuvor nur ein päpstliches Schreiben an die Kirche in Deutschland gegeben hat, nämlich die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (1937), in der Papst Pius XI. den Nationalsozialismus verdammte.

Spätestens als Franziskus in einem Interview die Bedeutung seines Briefes nochmals hervorhob, hätte man in Deutschland hellhörig werden müssen. Das Gegenteil trat jedoch ein: Bis heute wird das päpstliche Schreiben vollständig ignoriert. Insofern ist diese Intervention des Papstes wohl ebenso gescheitert wie diejenige Leos X. - Dass Franziskus die Kirche in Deutschland jedoch sich selbst überlassen wird, ist auf Dauer wohl kaum zu erwarten.  

Wie sein Vorgänger Paul VI. hat Franziskus das Wirken des Satans in der Kirche klar erkannt und er hat es - für viele irritierend -  häufig klar benannt. Man kann nur darum beten, dass er die Kraft finde, den Rauch des Satans und den Ungeist der Verweltlichung aus der Kirche zu bannen. Papst Paul VI. beendete seine Ansprache über das Wirken des Satans in der Kirche 1972 deshalb mit den Worten: „Im Wissen um die bedrängenden Gefahren, denen sich heute die Menschen, die Kirche und die Welt ausgesetzt sehen, wollen wir versuchen, der gewohnten Bitte in unserem Hauptgebet Sinn und Wirksamkeit zu verleihen: "Vater unser ... erlöse uns von dem Bösen! " - Nach fünfzig Jahren sind diese prophetischen Worte heute aktueller denn je.

Der Autor Dr. Joachim Heimerl ist Priester der Erzdiözese Wien und Oberstudienrat.
Archivfoto Dr. Heimerl (c) Privat


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