25. Jänner 2022 in Kommentar
"Bagatelle: Ein 94jähriger Mann, obwohl emeritierter Papst doch auch Mensch wie wir alle, hatte sich geirrt. Er hat wohl doch an Ordinariatssitzung vor 42 Jahren teilgenommen, an die er keine Erinnerung mehr hat." Gastkommentar von Michael Hesemann
Vatikan (kath.net) „Benedikts Beichte – Ratzinger gibt Falschaussage in Missbrauchsgutachten zu“, behauptet die heutige BILD-Zeitung in einer überdimensionalen Schlagzeile, um gleich daneben ihren Papst-Hype von 2005 zu widerrufen: „Wir sind nicht mehr Papst!“ Autor und Verantwortlicher ist jener notorische N. Harbusch, der sich schon in der Vergangenheit durch kirchenfeindliche Hetze, gerne unter der Gürtellinie, zu profilieren versuchte und dafür auch mal eine Niederlage vor Gericht einstecken musste, weil er sich wieder einmal nur Gift aus den Fingern gesogen hatte. Und wieder kreißen gewaltig die Berge und geboren wird eine lächerliche Maus.
Denn was wirklich geschah, ist eine Bagatelle. Ein 94jähriger Mann, obwohl emeritierter Papst doch auch Mensch wie wir alle, hatte sich geirrt. Er hat wohl doch an einer Ordinariatssitzung vor 42 Jahren teilgenommen, an die er – oh Wunder! – keine Erinnerung mehr hatte. Genauer gesagt: Weil man ihn über den Inhalt dieser Sitzung falsch informierte, weil man ihm darüber hinaus Einblick in das offizielle Protokoll verwehrte, hatte man ihn ins offene Messer laufen lassen. Er musste schlussfolgern, dass, wenn auf dieser Sitzung tatsächlich besprochen wurde, was er nie gehört hatte, er an dieser ganz offensichtlich nicht teilgenommen haben konnte. Dass seine Anwesenheit in den Protokollen nicht ausdrücklich aufgeführt wird, man ihn lediglich zitiert, ließ auch uns glauben, dass er damit recht hatte.
Nach der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens kennen wir jetzt den ganzen Ablauf der „Affäre Hullermann“, um die es hier geht und aus der Papst Benedikt und seiner Kirche der Strick gedreht werden soll.
Was war geschehen? Als Kaplan im Bistum Essen hatte sich Hullermann unter Alkoholeinfluss verschiedener pädophiler und exhibitionistischer Vergehen schuldig gemacht. Seine Heimatdiözese ordnete eine Begutachtung durch einen Nervenarzt und Psychotherapeuten an. Der Gutachter diagnostizierte Pädophilie und verordnete eine Therapie, die dieser möglichst weit weg von seiner Heimat absolvieren sollte und für die schließlich ein Psychiater im Raum München empfohlen wurde.
Am 20. Dezember 1979 rief ein Vertreter des Bistums Essen beim Münchner Ordinariat an und, jetzt zitieren wir wörtlich das Münchner Gutachten, trug „das Anliegen vor, einen jüngeren Kaplan der Diözese vorübergehend aufzunehmen, der sich in ärztliche psychotherapeutische Behandlung nach München begeben soll. Er weist darauf hin, dass dieser Kaplan ein sehr begabter Mann sei, der vielseitig eingesetzt werden könne. Wichtig sei, dass er in einem guten Pfarrhof bei einem verständnisvollen Kollegen Aufnahme finde. […] Die Angelegenheit wird auf der Ordinariatssitzung vom 15.1.1980 vorgelegt.“ Von den Gründen für die Therapie war also in der Nachricht keine Rede. Auch in der darauffolgenden schriftlichen Anfrage des Bistums Essen vom 3.1.1980, die am 9.1.1980 in München eintraf, hieß es lediglich, „ob die Erzdiözese München und Freising Priester X. für einige Zeit aufnehmen und bei einem Pfarrer in einer Pfarrgemeinde unterbringen könne. Dort könne er für Gottesdienste und liturgische Dienste eingesetzt werden, aber auch Religionsunterricht an einer Mädchenschule übernehmen. Bei Priester X. liege eine ‚Gefährdung‘ vor, die dessen Heimatdiözese dazu veranlasst habe, ihn sofort aus dem seelsorglichen Dienst herauszunehmen. In München solle er sich einer ‚psychisch-therapeutischen‘ Behandlung unterziehen. Ein Verfahren stehe hingegen nicht an.”
Lassen wir diese Zeilen einmal langsam auf uns einwirken. Hullermann, tatsächlich ein verurteilter Pädophiler, wird also vom Bistum Essen als „sehr begabter“, „vielseitig einsetzbarer“ junger Kaplan angepriesen, dessen einziges Problem seine „Gefährdung“ sei, womit alles, von Alkoholismus bis hin zu Suizidgefahr oder Drogensucht gemeint sein kann. Dass er schon straffällig geworden ist wird eindeutig vertuscht, im Gegenteil heißt es, es stehe kein Verfahren an. Zudem glaubte man in den 1970ern, dass auch Perversionen psychotherapeutisch behandelt und geheilt werden könnten, die erwähnte „Gefährdung“ würde also ohnehin durch seine Therapie unter Kontrolle gebracht.
Natürlich muss die Genehmigung des Erzbischofs, also Kardinal Ratzingers, eingeholt worden sein, aber auch er konnte nicht mehr erfahren, als aus Essen mitgeteilt worden war. Eine Absage wäre einer unterlassenen Hilfeleistung gleichgekommen und hätte wenig mit der von der Kirche propagierten Barmherzigkeit zu tun gehabt.
Was Ratzinger dann tatsächlich erfuhr, wenn er denn doch an der Sitzung vom 15. Januar 1980 teilnahm, entnehmen wir dem jetzt veröffentlichten Protokoll:
„Der Personalreferent für Priester der Diözese Essen bittet für [Kaplan Hullermann] für einige Zeit um Wohnung und Unterkunft bei einem Pfarrer einer Münchner Pfarrgemeinde. [Hullermann] wird sich einer psychisch-therapeutischen Behandlung unterziehen. Dem Gesuch wird zugestimmt, [Hullermann] soll bei Dekan […] untergebracht werden.“
Mit keinem Wort wird dabei also dem anwesenden Kardinal Ratzinger von der pädophilen Vorgeschichte Hullermanns berichtet, auch von einer „Gefährdung“ ist keine Rede mehr. Auf Bitten des Erzbistums Essen soll sich Hullermann einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen. Wer kann eine solche Bitte, die einem Priesterbruder Hilfe und Heilung verspricht, denn wirklich abschlagen? So scheint heute sicher, dass Kardinal Ratzinger das ihm mit diesen Worten vorgetragene Anliegen einfach abgenickt hat.
Eine Sitzung dagegen, auf der die pädophilen Vorstrafen und Taten Hullermanns vorgetragen und diskutiert wurden, gab es in Ratzingers Amtszeit nicht. Ihm wurde aber suggeriert, dass es sie doch gab, und daher war er überzeugt, dann eben nicht an ihr teilgenommen zu haben.
Was weder das Gutachten noch die Presseberichterstattung dabei berücksichtigt, ist die Frage des Persönlichkeitsschutzes. Wäre der zuständige Personalreferent des Bistums Essen überhaupt befugt gewesen, intime Details, vielleicht sogar aus der Diagnose des psychiatrischen Gutachters, nach München zu übermitteln? Und hätte man diese im Rahmen einer Ordinariatskonferenz diskutierten dürfen? Zumindest dieser Frage sollten moderne Datenschutzexperten einmal nachgehen.
Papst Benedikt hat jedenfalls (und das beweist das fragliche Protokoll, das ihm heute vorgehalten wird, mehr als alles andere) DIE WAHRHEIT gesagt, als er zu Protokoll gab, er sei nicht über die Vorgeschichte (und Verurteilung) Hullermanns informiert worden. Im ganzen Münchner Gutachten findet sich kein einziger Beweis dafür, dass es anders war, dass er doch über Hullermann informiert gewesen seo. Stattdessen nur Mutmaßungen wie “kann mir nicht vorstellen...”, “kann nicht mit Sicherheit sagen...”, “zweifle nicht, dass (er) die notwendigen Informationen in der Sache hatte”, immerhin: “unklar, zu welchem Zeitpunkt.“ Mit einem solchen Vortrag verliert auch die teuerste Anwaltskanzlei jeden Prozess.
Freilich GEIRRT hat sich Benedikt XVI. in seiner ersten Stellungnahme, als es um die fragliche Sitzung ging, weil er die falsche Schlussfolgerung gezogen hatte (nämlich "Weil ich nichts davon wusste, war ich nicht dabei" statt "ich war dabei, darum kann ich bezeugen, dass davon nicht die Rede war"). Nur wer sich noch heute an jeden einzelnen Termin, den er 1980 hatte, präzise erinnert, der werfe den ersten Stein!
Benedikt XVI. sagt heute, dass es wohl ein Missverständnis war. Er möchte den hochdotierten Gutachtern im Auftrag seines Nachfolgers, Kardinal Marx, nicht unterstellen, dass ihm eine Falle gebaut wurde, dass man ihn ins offene Messer laufen ließ, mit dem Ziel, ihn zum Sündenbock für das eigene Versagen zu machen und mit ihm alles aus dem Weg zu räumen, das die Durchsetzung des „Synodalen Weges“ noch behindern könnte. Eine solche Taktik wäre perfide.
Es ist zumindest offensichtlich, wem die Schlagzeilen dieser Tage nutzen. Es ist sicher kein Zufall, dass zeitgleich auf der ARD zur besten Sendezeit eine buntere, queere Kirche gefordert wird. So muss die angebliche Deckung pädophiler Homosexueller dafür herhalten, Toleranz für Homosexualität in der Kirche einzufordern. Man durchschaut die Absicht und ist verstimmt.
Auf der anderen Seite war das „Wir sind Papst!“ oder besser: „Wir sind Benedikt“ für gläubige Katholiken noch nie so aktuell wie in diesen Tagen. Nicht der Ratzinger-Papst ist das eigentliche Ziel dieser Angriffe, sondern die Kirche, für die er steht. Unsere Kirche. Sind wir bereit, jetzt zusammen zu stehen und diesen Angriff abzuwehren? Oder lassen wir uns verrückt machen und in die Irre führen, um erst in ihren Trümmern aufzuwachen?
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Die Angriffe auf Ratzinger sind politisch motiviert.
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