„Kreuzige ihn“: Die öffentliche Verurteilung Benedikts XVI.

29. Jänner 2022 in Kommentar


„Einer gierigen Öffentlichkeit verkaufte man Vermutungen als Beweise, wohl wissend, dass die Masse nie differenziert und dass sie in ihrem Urteil immer nur eines ist: unerbittlich.“ Gastbeitrag von Joachim Heimerl


München-Wien (kath.net) Eigentlich gehören Schauprozesse einer eher finsteren Vergangenheit an – EIGENTLICH, möchte man sagen. Eigentlich ist aber auch ein privat beauftragtes Missbrauchsgutachten kein „Prozess“ und eigentlich gibt es auch keine „Verurteilten“ – EIGENTLICH. Und doch erinnert vieles an einen Schauprozess, was man im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens erleben musste: Lange zuvor gierte man nach einer öffentlichen „Verurteilung“ des emeritierten Papstes und prompt wurden allen Erwartungen bedient. Einer gierigen Öffentlichkeit verkaufte man Vermutungen als Beweise, wohl wissend, dass die Masse nie differenziert und dass sie in ihrem Urteil immer nur eines ist: unerbittlich. Niemand anders als Jesus Christus hat das in seinem eigenen Prozess erfahren – auch in einem Schauprozess, allerdings vor einem ordentlichen Gericht. Und er musste auch erfahren, dass diejenigen, die wenige Tage zuvor „Hosanna“ riefen, nun das „kreuzige ihn“ anstimmten. Auf nichts ist eben weniger Verlass als auf die öffentliche Meinung. Wenn dies nun aber schon Jesus Christus selbst erfahren hat, um wie viel mehr muss dies dann auch ein Papst erfahren und mit ihm der ganze geistliche Stand, der unausgesprochen mit auf der „Anklagebank“ sitzt und der unter einen abscheulichen Generalverdacht gestellt wird.

Niemand hat für Jesus vor Pilatus gesprochen, und so verwundert es kaum, wenn die Schar derer, die um der Wahrheit willen für Benedikt eintreten, eine sehr kleine geworden ist, deren Stimme im Mediengewitter untergeht. Doch während Pilatus wenigstens noch fragte: „Was ist Wahrheit“, ist die Wahrheit im „Fall“ Benedikts längst obsolet geworden. Die einzige „Wahrheit“, die in der Öffentlichkeit noch zählt, ist seine „Verurteilung“. Und so knicken vor der Macht der Medien und des Mainstreams die meisten ein und stimmen lieber lauthals in den Chor derer ein, die das „kreuzige ihn“ skandieren. Dass dazu allerdings auch Bischöfe und Priester gehören, ist nichts weniger als eine Schande, und gerade sie übersehen dabei, dass das, was heute Benedikt geschieht, morgen ihr eigenes Schicksal sein wird – und dass es womöglich ebenso ungerecht sein könnte: „Kreuzige ihn“.

Der Autor Dr. Joachim Heimerl ist Priester der Erzdiözese Wien und Oberstudienrat.

 


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