Die Nachfolge Christi hat immer auch mit Widerstand und Kreuz zu tun!

31. Jänner 2022 in Interview


"Was ich nie verstanden habe, ist, dass die Bischöfe die Vorschriften noch mehr verschärft haben, als die Regierung verlangt hat" - kath.net-Interview mit Michael Pritz, über die Covid-Epidemie und seine Bergdoktor-Pfarre Ellmau - Von Roland Noé


Salzburg-Ellmau (kath.net)

kath.net: Seit 2 Jahren beschäftigt die Menschen die Covid-Epidemie. Unsere Gesellschaft in Österreich aber auch in Deutschland ist seit Wochen hier sehr gespalten (Stichwort Geimpfte-Ungeimpfte, Impfzwang, Ausgrenzung von Nicht-Geimpften durch die Politik). Sehen Sie als Seelsorger diese Politik kritisch? Wie geht man als Seelsorger mit diesem Thema um?

Michael Pritz: Ob ich als Seelsorger diese Politik kritisch sehe? Darf ich diese Kritik überhaupt noch äußern, ohne persönliche Nachteile und Konsequenzen fürchten zu müssen? Damit ist mit dieser Frage eigentlich schon gesagt, wie sehr ich diese Politik kritisch sehe. In diesem geistigen Klima und Umfeld befürchte ich das Allerschlimmste. Ich habe meine Diplomarbeit über den im Jahr 2017 selig gesprochenen Südtiroler Glaubenszeugen Josef Mayr-Nusser geschrieben, der widerrechtlich zur Waffen-SS eingezogen worden ist und der den Eid auf Hitler abgelehnt hat und infolge dessen auf dem Weg ins KZ ums Leben gekommen ist. Ich habe das unselige Zeitgeschehen von damals genau studiert und sehe in unserer Zeit – ohne beides miteinander vergleichen zu wollen – viele Parallelen, wie Grund- Freiheits- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Dass die Kirche sich nicht gegen dieses Unrecht erhebt und sich uneingeschränkt auf die Seite der politischen Machthaber stellt, wird ihr sicher noch schweren Schaden zufügen. Ich fürchte, dann werden sich die Bischöfe als Opfer sehen wollen, nicht als Mit-Täter, wie es anhand der steigenden Kirchenaustritte schon geäußert worden ist, dass die Kirche Opfer der Corona-Pandemie sei. Gerade gestern hat mir eine Frau, die ich auf dem Winterwanderweg zufällig getroffen habe, gesagt, dass sie richtig zornig auf die Kirchenleitung ist, dass sie in ihren Augen die überzogenen Maßnahmen der Regierung unhinterfragt und unkritisch mitträgt.

Da möchte ich den Verantwortungsträgern der Kirche und jedem christlichen Staatsbürger ganz dringend das Lehrschreiben „Sapientiae christianae“ von Papst Leo XIII. in Erinnerung rufen und ans Herz legen, in dem er „über die wichtigsten Pflichten christlicher Staatsbürger“ schreibt. Diese Enzyklika vom 10. Januar 1890 lässt trotz ihres Entstehungsalters nichts an Aktualität zu wünschen übrig, wenn es da in Art. 10 z. B. heißt: „Wenn aber die Gesetzte des Staates mit dem göttlichen Recht in offenbarem Widerspruch stehen, wenn sie der Kirche Unrecht zufügen oder den religiösen Verpflichtungen widerstreiten oder die Autorität Jesu Christi in seinem Hohenpriester verletzen, dann ist Widerstand Pflicht und Gehorsam Frevel, und das selbst im Interesse des Staates, zu dessen Nachteil alles ausschlägt, was der Religion Abbruch tut.“ Vielleicht haben wir in der Kirche vergessen, dass Nachfolge Christi es irgendwann immer mit Widerstand und Kreuz zu tun haben.

Wie geht man als Seelsorger mit diesem Thema um? Die Spaltung ist da. Das Unbehagen und die Fragezeichen der Menschen für die Zukunft sind riesengroß und betreffen längst nicht mehr das Virus allein, sondern hauptsächlich die oftmals willkürlichen Maßnahmen, die nicht selten jeder Logik entbehren und auch oftmals nicht begründet werden und die Folgeerscheinungen wie z. B. der Umgang mit den Staatsfinanzen. Da braucht man kein Finanzexperte zu sein, um zu wissen, dass diese Finanzpolitik in Österreich, europa- und weltweit nicht gut ausgehen kann. Und das spüren und äußern nahezu alle Menschen mit denen ich ins Gespräch komme.

Und das sehe ich als einen Beitrag im Umgang mit diesem Thema: im Gespräch zu bleiben, egal welche Meinung und Einstellung jemand hat, und das ist schwierig genug geworden. Und das erlebe ich immer wieder und die Menschen äußern es auch dankbar, wie gut ihnen das Gespräch tut. Die Menschen brauchen Mitmenschen, mit denen sie noch reden können, ohne gleich abgestempelt zu werden, wo sie ihr Unbehagen, ihre Sorgen, Ängste sagen und aussprechen können und auch den Druck benennen können, unter dem sie stehen, ob geimpft oder ungeimpft. Wie viele haben sich impfen lassen nicht aus Überzeugung, dass ihnen diese Impfung hilft, sondern damit sie wieder alles tun können, zur Normalität zurückkehren können, wie es ihnen von der Politik versprochen wurde, und nun müssen sie erleben, dass der Zugang zu alten Angehörigen und Sterbenden trotz Impfung erschwert ist und Ungeimpfte, auch wenn diese gesund sind, in der Regel ihre Angehörigen überhaupt nicht besuchen dürfen. Über dieses grausame Unrecht das bis zum heutigen Tag fortbesteht kann man oft nur mit den Angehörigen mitweinen. Und über dieses Unrecht hört man von der Kirche und den Bischöfen nicht viel bis nichts. Ich kann hier nicht alles erzählen, aber solche Bilder ihrer Sterbenden und Toten bringen die Angehörigen nie mehr aus dem Kopf. Da ist es mir wichtig sie mitzutragen, dass sie wissen, dass sie nicht alleine, sondern in einer Gemeinschaft aufgehoben sind.

kath.net: An der katholischen Kirche gab es zumindest am Beginn der Epidemie Kritik, dass diese in Österreich zu schnell und voreilig die Beschlüsse des Staates übernommen hat. (Stichwort Ausschluss von Gläubigen von den Gottesdiensten). War die Kirche hier etwas zu ängstlich unterwegs?

Michael Pritz: Ich habe von Anfang an gesagt, wenn wir jetzt zusperren, brauchen wir später nicht mehr aufzusperren. Ich wünschte, ich hätte Unrecht gehabt. Im wesentlichen ist diese Prognose und Voraussicht aber eingetroffen. Der Kirchenbesuch ist dramatisch eingebrochen. Was ich nie verstanden habe, ist, dass die Bischöfe die Vorschriften noch mehr verschärft haben, als die Regierung verlangt hat. Vielleicht waren die Vertreter der Kirche im Anfangsschock zu ängstlich. Man muss den Bischöfen aber auch zu Gute halten, dass sie diesen anfänglichen Fehler des völlig Zusperrens bei späteren Lockdowns nicht mehr ganz so konsequent angeordnet haben.

kath.net: Die Epidemie könnte möglicherweise 2022 dem Ende zugehen. In wie weit wird dies die Gesellschaft und die Kirche verändern?

Michael Pritz: Das Virus wird bleiben, Impfplicht hin oder her, das sieht man schon daran, wieviel dreimal Geimpfte auf das Virus positiv getestet werden. Die Pandemie und Epidemie wird zu Ende gehen, wenn wir sie für beendet erklären.

Allerdings die Gesellschaft und Kirche wird sich meiner Meinung nach nicht absehbar, aber unvorstellbar verändern, denn die Maßnahmen und die Folgen werden bleiben. Der Umgang der Politik mit den Menschen und das Leid und die Verbitterung wird bleiben. Die wirtschaftlichen Folgen und die weiteren Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem werden erst kommen. Viele Baustellen, die jetzt kaum im Fokus stehen, wie die Flüchtlingsproblematik, Umweltzerstörung, Black-Out (wer immer es auslöst) werden Gesellschaft und Kirche total verändern. In eine Politik die vorgibt die Alten schützen zu wollen und zeitgleich mehr oder weniger, je nach Rechtslage in den Ländern Österreich, Deutschland und Italien, die Euthanasie, bzw. den selbstbestimmten Suizid freigibt, da ist mein Vertrauen sehr enden wollend.

Ein Szenario, das ich mir eigentlich nicht vorstellen will, aber durchaus realistisch finde ist dies, dass sich die Wahrheit auf Dauer durch Propaganda der Corona-Maßnahmen in Medien und Politik nicht unterdrücken lassen wird und irgendwann zum Durchbruch kommen wird. Und wenn dann die Verantwortlichen in Staat und Regierung durch die Masse der Belogenen und Betrogenen möglicherweise gestürzt, verjagt oder was auch immer werden, dass dann die Kirche das gleiche Schicksal erleiden wird, da sie ja als zuverlässige Partnerin der Regierung fungiert hat. Möge Gott das verhüten, aber ein Blick in die Geschichte lehrt uns, dass solche Geschehnisse immer wieder eingetroffen sind (siehe Oktoberrevolution in Russland 1917 oder Französische Revolution, etc…).

Ich möchte aber die jetzige Situation insgesamt in einen größeren Zusammenhang stellen und sehen: Vieles was in den vergangenen Jahrzehnten gesellschaftspolitisch geschehen ist – ich nenne von dem vielen nur vier Stichwörter: Abtreibung, Ehe für Alle, Gender-Ideologie, Euthanasie) schreit nach Sühne. Mir scheint, Corona wäre eine Chance gewesen für Welt und Kirche, zu Umkehr aufzurufen und sie vor allem zu tun, Buße zu tun und die Schöpfungsordnung Gottes - für alle vernünftig denkenden Menschen einsichtig - wieder herzustellen. Da ist meines Erachtens nicht ansatzweise irgendetwas geschehen. Viele – auch durchaus fromme Leute – möchten wieder in die alte Normalität zurück. Ich nicht! Diese alte Normalität stand doch auch auf der Kippe, sowohl in Welt und Kirche. Von daher sehe ich es eigentlich als Notwendigkeit an, dass sich Welt und Kirche sehr verändern müssen. Wie diese Veränderung aussehen wird, wage ich nicht zu beantworten, das hängt von vielen Faktoren ab, aber es stimmt mich nicht sehr zuversichtlich angesichts der Umkehrresistenz der Menschen. Meine Hoffnung ist immer noch, dass Gott so manche selbsterdachten Pläne wie schon beim Turmbau zu Babel zum Einstürzen bringt, aber das wird nicht ohne schmerzliche Eingriffe gehen. Manchen mag mein nüchterner, realistischer Blick wie ein Schwarzsehen erscheinen, aber ich selbst sehe es gelassen, weil ich auf Gott vertraue, der die Seinen durch alle Krisen hindurchführt und stets hindurchgeführt hat – selbst dann, wenn es das Leben kostet, wie man am Beispiel der unzähligen Märtyrer durch alle Jahrhunderte sehen kann.

Ein prägendes Wort der Hoffnung trägt mich nun schon seit Wochen durch diese Zeit. Es stammt von Václav Havel: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.

Das trägt mich und stimmt mich zuversichtlich, denn mein Sinn ist ganz auf den menschgewordenen Logos in Jesus Christus ausgerichtet! Und ER hat den Sieg längst schon vollbracht, gestern, heute und in Ewigkeit!

kath.net: Ihr Pfarre ist auch einer der Schauplätze der bekannten Fernsehserie "Der Bergdoktor". Was sagen Sie als Pfarrer dazu und wie sehr prägt dies auch Ihre Pfarre?

Michael Pritz:  Die Kulisse des Wilden Kaisers für diese zeitgeistige Film-Serie ist natürlich ein wunderbarer Blickfang und landschaftlich eine Augenweide. Von daher hat diese Fernsehserie im deutschsprachigen Raum eine große „Ausstrahlung“-Kraft. Inhaltlich spiegelt der „Bergdoktor“ den oberflächlichen Zeitgeist der Moderne wider.

Vor dem „Bergdoktor“ hat es auch schon einige sogenannte Heimatfilme aus der Region gegeben. Und bei vielen Spielfilmen gibt es meistens einen komischen Kauz oder eine Art Witzfigur, und die war bei diesen Filmen immer der Pfarrer. Dass hat meinen Vorgänger derart verärgert, dass er keine Dreharbeiten in der Kirche mehr zugelassen hat, so wurde mir berichtet. Von daher bin ich schon froh, dass in der „Bergdoktor-Serie“ zumindest der Pfarrer und die Kirche soviel wie keine Rolle spielen, weder negativ noch positiv.

Die Werbewirksamkeit des „Bergdoktors“ für den Tourismus ist enorm und zieht unzählige Gäste an, was auch zur Banalisierung des Alltagslebens eines Teils der einheimischen Bevölkerung beiträgt. Um es mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Als ich vor Jahren die Pfarre mit knapp 3000 Einwohnern im Herbst übernommen habe, dachte ich mir, wenn zu Weihnachten sozusagen von einem Tag auf den anderen durch die Gäste um 4000 – 5000 Leute mehr dazukommen, dann wird die Kirche schon voll werden. Das Gegenteil war der Fall. Sie ist leerer geworden, weil von den eh schon wenigen Kirchgängern sich dann auch einige nicht mehr die Zeit für die hl. Messe genommen haben. Und die Wintergäste kommen mit wenigen Ausnahmen ausschließlich zum Schifahren. Die Sommergäste suchen mehr die Erholung, die Ruhe und kommen auch öfters zum Gottesdienst oder zum Gebet in die Kirche.

Was mir durch die Besichtigung der Drehorte des „Bergdoktor“ durch die Gäste aufgefallen ist, ist ein gewisser Realitätsverlust der Menschen in unserer Gesellschaft. Ich werde ja sehr oft über die Drehorte gefragt, was wo zu finden ist. Außer der filmischen Arztpraxis wird ja nichts in Ellmau gedreht, alles andere (Wohnhaus des Bergdoktors, der Dorfplatz von Ellmau im Film ist in Going, das Krankenhaus, der Bahnhof, etc….) ist anderorts. Und da erlebe ich immer wieder, wie Menschen enttäuscht und sich manchmal ziemlich lautstark äußern: „Das ist ja alles Betrug“. Ich versuche sie dann zu beruhigen und erkläre ihnen, dass es kein Betrug ist, weil dieser Film keine Doku, sondern nur ein Unterhaltungsfilm ist. Die Leute können vielfach nicht mehr Schein und Sein unterscheiden.

Als sich vor einiger Zeit der „Bergdoktor“-Schauspieler Hans Sigl „geoutet“ hat, dass er kein wirklicher Doktor und kein richtiger Arzt ist, war bei einigen Fans die Enttäuschung riesengroß. Ich bin heute noch ein Winnetou-Fan, aber ich wusste schon als Kind, dass der französische Schauspieler Pierre Brice kein echter Apachen-Häuptling ist und war.

Die Oberflächlichkeit und die mediale Scheinwelt begünstigen offensichtlich einen erstaunlichen Wirklichkeitsverlust bei erwachsenen Menschen, der auch einen vernünftigen Umgang mit Corona und allen Begleiterscheinungen erschwert. Hier kann man schon gewisse Rückschlüsse und Zusammenhänge sehen.

kath.net: Danke für das Interview

 

Foto: (c) Pfarre Zell


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