Nuntius Eterović: Der Herr „wird uns stets nahe sein, wenn wir im Glauben an Ihn treu bleiben“

10. Februar 2022 in Spirituelles


Erzbischof Eterović in Predigt: „Auch in den Zeiten von schweren Krisen im persönlichen Leben oder in der Kirche ist der Herr mit uns. Möglicherweise scheint er eingeschlafen. Daher müssen wir ihn aufwecken, damit er…“


Berlin (kath.net/pl) kath.net dokumentiert die Predigt S.E. Apostolischer Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterović in Berlin am 06. Februar 2022 in voller Länge und dankt für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung – Jes 6,1-2.3-8; Ps 138; 1 Kor 15,1-11; Lk 5,1-11

„Doch auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen“ (Lk 5,5).

Liebe Schwestern und Brüder!
    
    Das Wort Gottes des heutigen fünften Sonntags im Jahreskreis stellt uns zwei Berufungen vor, einmal die des Jesaja (I), zum anderen die von Simon Petrus (II). Es handelt sich um besondere Rufe Gottes an zwei große Persönlichkeiten, die in der Heilsgeschichte einen wichtigen Platz einnehmen. Doch das Wort Gottes zeigt uns ebenfalls, dass Gott noch andere Apostel und weitere Jünger berufen hat, um sein Werk der Evangelisierung und der menschlichen Förderung durch die Zeiten fortzuführen. Zu dieser großen Zahl gehören alle Christen, alle Getauften, die Gott ruft, in unterschiedlicher Weise seine Zeugen zu sein (III). Öffnen wir uns der Gnade des Heiligen Geistes, um die verkündete Botschaft der Schrift in guter Weise zu erfassen.

1.    „Hier bin ich, sende mich“ (Jes 6,8).

Die Berufung des Jesaja, der im achten Jahrhundert vor Jesus Christus gelebt hat, ist sehr eindrücklich. Der Prophet selbst beschreibt seine Teilnahme an einer herrlichen himmlischen Liturgie, die sich genau in dem Jahr ereignete, als Usija starb, der von 783 bis 742 v. Chr.  König von Juda war. Aus dem prophetischen Bericht lassen sich vier Teile unterscheiden. Zunächst hatte der Prophet eine außergewöhnliche Vision: „Ich sah den Herrn auf einem hohen und erhabenen Thron sitzen und die Säume seines Gewandes füllten den Tempel aus. Serafim standen über ihm. Sechs Flügel hatte jeder: Mit zwei Flügeln bedeckte er sein Gesicht, mit zwei bedeckte er seine Füße und mit zwei flog er. Und einer rief dem anderen zu und sagte: Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen. Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit“ (Jes 6,1-3). Diese Worte sind uns sehr vertraut, denn den Lobpreis Gottes für seine Heiligkeit und Größe wiederholen wir in jeder Heiligen Messe nach der Präfation und vor dem Eucharistischen Hochgebet.

    Angesichts der Heiligkeit Gottes hat Jesaja große Furcht, denn er erkennt seine Sünden und ist unwürdig, in der Gegenwart des Allmächtigen und einzig Heiligen zu sein. Er macht eine widersprüchliche Entdeckung: seine Augen haben „den König, den HERRN der Heerscharen“ (Jes 6,5) gesehen, doch er erkennt sich als Sünder: „Weh mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich und mitten in einem Volk unreiner Lippen wohne ich“ (Jes 6,5). Der Prophet Jesaja ist sich bewußt, nicht nur er, sondern in seinem Volk gibt es Menschen mit „unreinen Lippen“, das heißt sie sind Sünder. Also sind alle unwürdig, vor der Majestät Gottes zu stehen.

    In dieser Situation schreitet JHWH ein, die zentrale Gestalt der himmlischen Liturgie. Er beauftragt einen der Serafim, die Lippen des Jesaja mit glühender Kohle zu reinigen, die er vom Altar genommen hatte, indem er sprach: „Siehe, dies hat deine Lippen berührt, so ist deine Schuld gewichen und deine Sünde gesühnt“ (Jes 6,7). In der glühenden Kohle erblicken wir symbolisch das Feuer der göttlichen Liebe, die allein die Sünden des Jesaja und seines Volkes vergeben kann und alle zu reinigen imstande ist.

    Im vierten Teil erklärt sich sodann Jesaja bereit für die Mission, die Gott ihm bestimmt hat. Auf die Frage von JHWH: „Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?“ antwortet Jesaja: „Hier bin ich, sende mich“ (Jes 6,8).

2.    „Doch auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen“ (Lk 5,5).

Im heutigen Evangelium haben wir von der Berufung des Simon Petrus gehört, der von Jakobus und Johannes begleitet wird. Diese Szene entspricht nicht mehr einer himmlischen Liturgie, sondern spielt im alltäglichen Leben von Fischern und Menschen, die Jesus folgen. Er brauchte das Boot des Simon, um von dort aus das Volk lehren zu können, ohne in Gefahr zu geraten, von der Menge erdrückt zu werden. Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: „Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus“ (Lk 5,4). Das war ein Befehl, mit dem Simon Petrus nicht gerechnet hatte, zumal es schon mitten am Tag und daher keine Zeit zum Fischen war. Es gab noch einen weiteren gewichtigen Grund, den Simon dem Herrn nannte: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“ (Lk 5,5). In diesem Moment aber hatte Simon eine Intuition, eine Inspiration vom Himmel und sagte: „Doch auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen“ (Lk 5,5). Das Ergebnis war ein wunderbar reicher Fischfang, „sie fingen eine große Menge Fische; ihre Netze aber drohten zu reißen“ (Lk 5,6). Sie mussten andere Fischer zu Hilfe rufen, um die Menge an Fischen ins Boot zu bekommen.

    Angesichts dieses Wunders fühlt sich Simon klein und unwürdig, in der Gegenwart Jesu zu sein. Er spürt, dass der Meister nicht irgendein Mensch ist und sich in seiner menschlichen Person eine göttliche Kraft verbirgt. Er folgt seinem impulsiven Charakter und wirft sich vor Jesus mit den Worten auf die Knie: „Geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr“ (Lk 5,8). Jesus ist von dieser Demutsgeste angetan und sagt zu Simon: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen“ (Lk 5,10). Auf diesen Ruf hin verließen Simon Petrus und seine Begleiter alles und folgten Jesus (vgl. Lk 5,11).

3.    „Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?“ (Jes 6,8).

Aus den Beschreibungen der Berufung von Jesaja und Simon Petrus lassen sich einige Kernpunkte ablesen, die sich in gewisser Weise in jeder christlichen Berufung wiederholen, vor allem im Ruf zum Priestertum und dem geweihten Leben.

    Es ist festzuhalten, dass Gott es ist, der ruft: „Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?“ (Jes 6,8). Er hat uns erwählt vor der Erschaffung der Welt (vgl. Eph 1,4), doch in seinen Dienst hat er uns in einem bestimmten Augenblick unseres Lebens gerufen. Berufung setzt eine Erfahrung der Größe Gottes voraus, ein Berührtsein von seiner Größe, Schönheit, Güte und Heiligkeit. Das kann bei einer liturgischen Feier geschehen, die ein Widerschein der göttlichen Liturgie ist, oder in einem besonderen Moment des Gebets, des Dialogs mit Gott, oder in der Erfahrung menschlicher Einsamkeit, wo Herz und Geist ehrlich danach suchen, den Willen Gottes für die eigene Zukunft zu ergründen. Oft sind es einige Menschen, mit denen Gott über ihr heiligmäßiges Leben seinen Ruf vermittelt. Jeder Berufene kennt solche Momente des besonderen Eingreifens Gottes in sein Leben, die für seine Berufung entscheidend waren.

    Angesichts der Berufung Gottes, die von Verantwortlichen der Kirche bestätigt werden muss, spürt der Auserwählte Furcht. Er erfährt sein eigenes Unvermögen, seine Sünden vor der Heiligkeit Gottes. Ähnlich wie Simon Petrus ist er versucht zu rufen: „Herr, geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch“ (Lk 5,8). Der Berufene ist sich seiner Begrenztheit, seiner Sünden bewußt und meint, andere Personen, die er kennt, seien in unserer säkularisierten Welt weitaus geeigneter für diesen kirchlichen Dienst.

    Der Herr greift angesichts dieser Zweifel und Unsicherheiten aufs Neue ein. Er lässt uns verstehen, dass es seine Wahl und Entscheidung ist: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet“ (Joh 15,16). Außerdem tröstet uns Gott, denn Er allein kann uns von jeder Sünde reinigen. Er wird uns stets nahe sein, wenn wir im Glauben an Ihn treu bleiben, und mit reicher Frucht segnet Er unsere pastorale Arbeit, die darin besteht, „Menschenfischer“ (Lk 5,10) zu sein. Auch in den Zeiten von schweren Krisen im persönlichen Leben oder in der Kirche ist der Herr mit uns. Möglicherweise scheint er eingeschlafen. Daher müssen wir ihn aufwecken, damit er den Sturm beruhigt, der uns in Gefahr zu bringen droht (vgl. Mk 4,35-41).

    Wie Jesaja, Simon Petrus und viele Heilige, vor allem wie die selige Jungfrau Maria, die Mutter Jesu und unsere Mutter, nehmen wir den Ruf des Herrn an und vertrauen vollkommen dem guten und barmherzigen Gott, der uns in seinen Dienst in der heiligen Kirche ruft, die aus sündigen Männern und Frauen besteht, denen aber allen der Ruf zur Heiligkeit gilt. Wir sind schwach, doch Er ist stark. Wir sind Sünder, Er aber ist heilig. Wir nehmen seinen Ruf an und sagen voller Vertrauen mit Simon Petrus: „Doch auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen“ (Lk 5,5). Amen.


Archivfoto Nuntius Eterović (c) Apostolische Nuntiatur Berlin


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