Consilium evangelicum

9. März 2022 in Kommentar


Ein Ratschlag eines evangelischen Theologen zur Situation der katholischen Kirche: „Wenn ich Katholik wäre, würde ich gerade jetzt bei dieser Kirche bleiben, sehr bewusst“ – Gastkommentar von Notger Slenczka, Prof. für Systematische Theologie, Berlin


Berlin (kath.net) Sexuellen Missbrauch von Minderjährigen oder Abhängigen gibt es in vielen Institutionen – in meiner, der evangelischen Kirche, in der katholischen Kirche, in Sportvereinen, Jugendgruppen, Schulen, in Familien. Sexueller Missbrauch ist juristisch ein Verbrechen und moralisch abscheulich; darüber herrscht Einigkeit. Jeder Fall ist ein Fall zu viel, und jeder Fall ist nicht einer unter vielen, sondern ein Einzelschicksal. Der Tatvorwurf verbindet sich sofort und zu Recht mit der Frage, wer von den Taten gewusst hat, und wer sie möglicherweise gedeckt oder nicht oder mit unzureichenden Mitteln verhindert hat – der Kreis der Mitwisser und Schweiger ist in solchen Fällen meistens groß. Alle Täter ruinieren das Leben ihres Opfers; aber immer ruinieren sie auch die Institution, für die und in deren Namen er oder sie tätig ist – sei das nun die Kirche, seien das Sportvereine, seien das Internate, Parteien, Universitäten oder Theater.

Sexuellen Missbrauch gibt es in vielen Institutionen – die Kritik trifft aber besonders die katholische Kirche

In besonderer Weise treffen diese Fragen und Folgen die katholische Kirche. Nicht die evangelische Kirche, obwohl solche Fälle auch bei uns bekannt sind und obwohl vermutlich die Dunkelziffer hoch ist. Auch die Institution des Sports und seiner Jugendabteilungen steht nicht in dem Maß in der öffentlichen Kritik wie die katholische Kirche – obwohl in den Sportvereinen nach einer Studie der Uniklinik Augsburg von 2019 und nach Feststellung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (2020) die Zahl der Missbrauchsfälle deutlich höher ist als in der katholischen Kirche. Die Kritik trifft auch nur für kurze Zeit die Internate oder die Parteien, in deren Umfeld in den 80er und 90er Jahren sogar Straffreiheit für sexuelle Übergriffe gegenüber Jugendlichen gefordert wurde. Und auch nicht die Universitäten stehen im Zentrum der Kritik, in denen es sexuelle Beziehungen zu Abhängigen auch gibt: jede Beziehung eines Professors oder einer Professorin zu Studierenden, auf deren Prüfungen er oder sie Einfluss hat, gehört dazu. Dasselbe gilt für Theater und die Filmbranche – Stichwort 'MeToo'. In allen diesen Einrichtungen gibt es ebenfalls massiven sexuellen Missbrauch; aber keine dieser Institutionen steht derartig in der öffentlichen Kritik wie die katholische Kirche. Zuweilen hat man den Eindruck, dass es sexuelle Übergriffe auf Minderjährige oder auf Abhängige nur oder überwiegend in der katholischen Kirche gegeben hat und gibt. Bei allen anderen genannten Institutionen trennen wir die wichtige Arbeit, die in den Institutionen geleistet wird, und die Untaten, die dort ebenfalls begangen wurden. Im Blick auf die katholische Kirche hingegen nimmt die Bereitschaft, diese Unterscheidung vorzunehmen, in der Öffentlichkeit nach meinem Eindruck immer weiter ab. Warum?

Warum steht die katholische Kirche in besonderer Weise in der öffentlichen Kritik?

Selbstverständlich: es könnte sein, dass die katholische Kirche in besonderer Weise versucht hätte, die Täter zu decken und die Taten zu verschweigen. Das war in der Vergangenheit mutmaßlich der Fall; das ist das Ergebnis des gerade vorgestellten Gutachtens zum Umgang mit den Missbrauchsfällen im Erzbistum München-Freising. Aber das Verschweigen und Vertuschen war doch vermutlich nicht schwererwiegend als in den anderen genannten Bereichen und Institutionen. Und: die katholische Kirche gesteht das inzwischen ein. Sie hat reagiert und einerseits seit dem Jahr 2002 strikte Verhaltensrichtlinien zum Umgang mit solchen Verbrechen aufgestellt und 2010 verschärft. Inzwischen können auch höchste Amtsträger im Verdachtsfall nicht mit dem Schutz der Kirche rechnen, wie der Fall des Kardinal McCarrick zeigt. Die katholische Kirche hat sich – anders als der Sport, viele Schulen und Parteien – zu Schuldeingeständnissen und zu Schadensersatzleistungen verpflichtet; Letzteres immer unter dem Vorzeichen, dass natürlich diese Leistungen dem erlittenen Schaden nicht entsprechen können und den Charakter einer Anerkennung des erlittenen Unrechts und des eigenen Versagens haben ("Verfahren zur Anerkennung des Leids" seit 2011).

Aber das alles hat nicht zu einer Aufhellung des Bildes der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit geführt. Woran liegt es, dass die katholische Kirche nach wie vor in einer beispiellos scharfen öffentlichen Kritik steht?

Zwei Gründe für die Schärfe der Kritik an der katholischen Kirche

Meines Erachtens gibt es unter vielen anderen zwei wesentliche Gründe dafür, dass die katholische Kirche in besonderer Weise von der Kritik getroffen ist: Der erste Grund: alle anderen genannten Institutionen – der Sport, die evangelische Kirche, andere Religionsgemeinschaften, Parteien, Theater, Universitäten etc. – unterscheiden sich dadurch von der katholischen Kirche, dass sie keine weltweite institutionelle Einheit zu sein beanspruchen. Es wäre unziemlich, den Turnvereinen in Deutschland oder den deutschen Sportvereinen insgesamt die Untaten der amerikanischen Trainer Gerald Sandusky (Pennsylvania) oder Lawrence Nassar (Michigan) anzurechnen, selbst wenn man zeigen könnte, dass die Strukturen, die die Verbrechen dort ermöglicht haben, auch in Deutschland herrschen. Es wäre unbillig, Untaten einzelner Professoren auch nur den jeweiligen Fakultäten oder der jeweiligen Universität im Ganzen oder gar den Universitäten weltweit anzulasten. Übrigens werden auch die evangelischen Gemeinden und Kirchen in Deutschland als Einzelinstitutionen wahrgenommen und nicht wechselseitig haftbar gemacht. Am ehesten trifft das Phänomen der Gesamthaftung die Parteien. Aber mit der katholischen Kirche ist das noch einmal anders: sie nimmt eine weltweite Einheit in Anspruch und wird somit als Handlungs- und entsprechend auch als Verantwortungseinheit wahrgenommen. Wenn ein protestantischer Würdenträger in Australien wegen Vergewaltigung von Minderjährigen angeklagt würde, hätte das für die evangelischen Kirchen in Deutschland keine Auswirkungen. Wenn aber der (inzwischen freigesprochene) George Kardinal Pell in Melbourne vor Gericht steht, treten in Deutschland die Menschen aus der katholischen Kirche aus. Der Anspruch auf Katholizität ist eine Wesenseigentümlichkeit der katholischen Kirche: dass sie weltweit und zeitenübergreifend eine Einheit ist und sein will. Die Kirche ist eine weltweite Gesamtperson; das ist ihr Selbstverständnis. Und diese weltweite katholische Kirche manifestiert sich in Amtsträgern, die identifizierbar und ansprechbar sind und meistens eine lange Dienstzeit haben, das heißt: die institutionelle Schuld ist individualisierbar und damit zurechenbar. In der Person eines Bischofs, eines Kardinals, des Papstes steht die weltweite Institution vor uns. Und aus dieser Zuordnung gibt es kein Entkommen – weder kann sich ein Bischof von seiner Kirche, noch die Kirche von ihrem Bischof distanzieren – selbst wenn Tendenzen dazu im gegenwärtigen Katholizismus in Deutschland wahrnehmbar sind.

Den zweiten Grund für die Schärfe der Kritik, die die katholische Kirche trifft, sehe ich darin, dass die katholische Kirche selbst einen hohen ethischen Anspruch erhebt. Es geht bei dem gegenwärtigen Skandal um Sexualdelikte. Die katholische Kirche ordnet in ihrer offiziellen Lehre die Sexualität der Institution der Ehe zu und betrachtet jede Betätigung der Sexualität außerhalb der Ehe als Verstoß gegen den Willen Gottes. Das gilt nach katholischem Verständnis für den Ehebruch ebenso wie für die Vergewaltigung von Jugendlichen wie für homosexuelle Akte. Dazu kann man als Nichtkatholik stehen, wie man will – aber das ist der Anspruch: Sexualität hat ihren angemessenen Ort in der Ehe, die durch die gegenseitige, bedingungslose und damit lebenslange Bejahung der Ehepartner begründet ist. Dieses Gebot für das Gebiet der Sexualität ist dabei nicht isoliert, sondern gehört in ein Gesamtverständnis des menschlichen Lebens: es ist nach dem Verständnis der katholischen Kirche auf allen Gebieten selbstlos ausgerichtet auf den anderen – im Umgang mit der Sexualität, im Umgang mit dem Besitz, im Umgang mit dem Leben und der Gesundheit, im wirtschaftlichen und staatlichen Handeln. Die weltweite Kirche trägt damit ein ethisches Ideal vor, für das sie steht: für das selbstlose Leben – genauer: für das aus innerlichem freiem Willen am anderen und nicht an sich selbst interessierte Leben. Kurz: die Katholische Kirche ist orientiert an der Liebe, die die Erfüllung aller Gebote ist. Das ist das Ideal. Wenn nun dieser Kirche Untaten zugerechnet werden müssen, die in höchster Eindeutigkeit Verstöße gegen diese Bestimmung des menschlichen Lebens sind, dann entsteht das Bild einer Gesamtperson, der Kirche, die mit sich selbst im Widerspruch steht. Sie wird ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, oder umgekehrt: der hochgesteckte Anspruch, den sie geltend macht, widerspricht ihrer eigenen Wirklichkeit und richtet sie.

Mit diesen beiden Faktoren gewinnt die Empörung über die Untaten im Fall der Kirche besondere Kraft. Die Empörung ist vernichtender als bei Sportvereinen oder Schulen oder Universitäten. Der Vorwurf an die Kirche hat den Charakter der Entlarvung: Ausgerechnet die Institution, die so viel von der Bestimmung des Menschen zur selbstlosen Liebe zu reden weiß, bleibt selbst eklatant hinter dem eigenen Ideal zurück. Und aufgrund der Katholizität, der räumlichen und zeitlichen Allgemeinheit dieser Kirche ist es eben nicht möglich, das Versagen einzelnen Personen oder Teilbereichen anzurechnen und die Gesamtperson und ihren Anspruch davon zu trennen. Vielmehr steht in diesen Taten die Gesamtperson – die Kirche – mit sich selbst im Widerspruch.

Der Anspruch und die Wirklichkeit

Das muss man festhalten: wir erwarten damit viel von der katholischen Kirche. Allen anderen Institutionen gestehen wir zu, dass da eben Menschen arbeiten, und dass Untaten vorkommen. Auch die Evangelische Kirche hat die Differenz zwischen der sichtbaren, fehlbaren Außengestalt und der 'wahren' Kirche fest (und bequem) in ihr Selbstverständnis eingebaut und erfolgreich nach außen kommuniziert. Die katholische Kirche ist diesem Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit ausgesetzt und – auch das muss man mit Nachdruck unterstreichen: sie weicht ihm nicht aus. Sie geht nicht den naheliegenden Weg, dass sie das Ideal ermäßigt. Sondern sie hält es – auch gegen sich selbst! – fest und erleidet damit das Missverhältnis zwischen Wahrheit und Wirklichkeit. Das Ideal des menschlichen Lebens widerspricht dem, was durch Repräsentanten der Kirche Kindern und Jugendlichen angetan wurde. Die katholische Kirche hält an einem Ideal fest, dem ihre Wirklichkeit widerspricht. Und sie hält daran fest, weil dieser Anspruch nicht in ihrer Verfügung steht, sondern Gottes Gebot ist.

Was ist zu raten?

Die Kirche braucht mehr als technische Ratschläge. Die katholische Kirche erleidet einen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit, sie verfällt dem Gericht der Öffentlichkeit. Aber das Problem der Kirche ist nicht das Urteil der Öffentlichkeit, und das Problem ist daher nicht mit einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit zu lösen. Sondern das Problem ist der Widerspruch, den die Kirche von sich selbst erfährt: sie erfährt das Gericht unter dem von ihr selbst festgehaltenen und verkündeten Willen Gottes. Die Kirche muss die Situation des Leidens unter sich selbst als von Gott gegebene Situation, sie muss sie also theologisch verstehen, aushalten und übernehmen: auf sich nehmen. Als Situation der Busse, die eine Verheißung in sich trägt – und wer wüsste das besser als die katholische Kirche selbst?

Die Wirklichkeit der Kirche verfällt nicht dem Urteil der Öffentlichkeit, sondern dem Gericht des Anspruches, dem sie dient – dem Gericht des Anspruches Gottes. Die Kirche steht nicht einfach unter dem Urteil der 'Öffentlichkeit', sondern steht unter dem Urteil, das sie über sich selbst spricht. Sie steht im Gegensatz zwischen der Wahrheit Gottes, dem Gebot der Liebe, das sie repräsentiert, und der Wirklichkeit. Genau dies ist – im kirchlichen Bußsakrament – die Situation des Sünders: die 'contritio – Zerknirschung', das Leiden unter sich selbst. Im Bußsakrament steh der Sünder nicht einfach vor einem fremden Vorwurf, sondern vor dem Anspruch seines eigenen Gewissens. Er ist in sich selbst der Gerichtete und der Richter. Jeder Büßende urteilt mit der Stimme Gottes über sich selbst und sein Versagen. Dies nicht in dem Sinne, dass er es mit diesem Richter, der er selbst ist, nun leicht hätte. Vielmehr muss er sich selbst verurteilen. Und doch kann er sich nicht einfach mit dem Richter identifizieren und von den Übeltätern trennen, sondern der Sünder muss sich zugleich mit dem Täter identifizieren, der er selbst ist. Die contritio (Reue im Sinne der Zerknirschung, wörtlich des 'Zerreibens' des Herzens) ist genau diese Situation des Zerriebenswerdens durch sich selbst, dem nun die Kirche durch den Zusammenprall ihres Anspruchs und ihrer Wirklichkeit ausgesetzt ist. Die Kirche repräsentiert den Anspruch Gottes: menschliches Leben ist zur selbstlosen Liebe bestimmt. Und sie repräsentiert den Verstoß dagegen. Die Kirche ist heilig. Und sie steht unter dem Gericht dieser Heiligkeit.

Busse

Zur Busse gehört dabei nach katholischer Lehre neben der contritio (der Reue), das vollständige Bekenntnis, im Anwendungsfall: die Anerkennung der Schuld gegenüber den Opfern; an diesem Punkt ist nach meinem Eindruck die Kirche weit gekommen. Sodann gehört zum Bußsakrament die satisfactio operis – die Wiedergutmachung, das Herstellen von Gerechtigkeit; dies unter dem Vorbehalt, dass es nicht um eine Bezahlung für die Schuld, sondern nur um die Begrenzung der Sündenfolgen gehen kann. Dazu gehören auch alle Maßnahmen, die dazu führen, dass sich die Untaten nicht wiederholen. Und auch hier muss man als Außenstehender einfach anerkennen, dass die katholische Kirche sehr ernsthafte Anstrengungen unternommen hat und weiterhin unternimmt. Und drittens gehört dazu die bereits erwähnte Reue, das Leiden unter sich selbst und seiner Vergangenheit.

Die contritio cordis (Herzensreue), die confessio oris (das Sündeneingeständnis) und die satisfactio operis (Wiedergutmachung der Sündenfolgen) sind nach scholastischem, thomistischem Verständnis die 'materia sacramenti', die Bedingung der Busse, auf die hin die 'forma sacramenti – Form des Sakraments' folgt. Diese Form des Sakraments ist immer ein Wort, und im Falle des Bußsakraments heißt das Wort: "ego te absolvo – ich spreche dich frei". Nicht deshalb, weil die Schuld irgendwie geringfügig wäre, oder weil 'alles verstehen auch alles zu verzeihen' hieße. Nein, überhaupt nicht, im Bußsakrament gibt es keinerlei Verharmlosung der Schuld, aber: dem Schuldigen wird ein Neuanfang gewährt. Nicht von irgendeiner Instanz, sondern das 'ego' (ich) im 'ego te absolvo' (Ich spreche dich frei) ist Gott selbst, der in der Kirche und durch die Kirche in der Welt gegenwärtig ist und den die Kirche repräsentiert. Den Richter, den die heilige Kirche in seinem richtenden Gebot hört und verkündigt, den hört und verkündigt die gerichtete Kirche zugleich als den Herrn, der 'ego te absolvo' sagt. Und, so jedenfalls die franziskanische Tradition: wo die contritio, wo das Leiden unter sich selbst ist, wo der Zusammenprall von Anspruch und Wirklichkeit schmerzhaft erfahren wird – da ist bereits dieser Zuspruch: ego te absolvo. Da ist die göttliche Vergebung. Zur ernsthaften Buße gehört die göttliche Vergebung. Das ist die Verheißung der gegenwärtigen Situation der Kirche.

Liebe zur Kirche

Die katholische Kirche liegt am Boden – anders kann man das nicht sagen. Für mich persönlich und für mich als Protestanten ist das kein Anlass zum Triumph und kein Anlass, die Anklage noch einmal zu unterstreichen. Nicht nur, weil ich vermute, dass die evangelische Kirche und dass viele andere Institutionen um nichts besser sind – aber schon das ist immerhin ein guter Grund, nachdenklich zu werden und nicht mit Steinen um sich zu werfen (Johannes 8,7). Wichtiger aber ist: ich weiß, dass in dieser katholischen Kirche und in ihrem Bußsakrament ein Wort lebt, das sie hört und das sie spricht, nämlich das 'ego te absolvo – ich spreche dich frei'. Und weil es dieses Wort der Vergebung in der Kirche gibt, ist die Kirche, trotz allem und ohne jede Verharmlosung der Untaten und des Versagens, der Ort der Gegenwart Gottes.

Daher bin ich für mein Teil nicht bereit, den ersten Stein zu werfen. Der katholischen Kirche gilt meine Achtung – denn die Kirche hält den Anspruch Gottes, für den sie steht, auch gegen sich selbst fest und gibt damit den Opfern Recht. Ich erkenne weiter in der katholischen Kirche den Ort, an dem auch der Schuldige – ohne Leugnung oder Verharmlosung der Schuld! – mehr hört als ein gerechtes, aber vernichtendes Urteil (und wer nun einwendet, dass ich damit die Taten verharmlose, der hat den vorangehenden Text nicht gelesen oder nicht verstanden). Die katholische Kirche, die unter Gericht und Freispruch steht, die peccatrix et iusta (Sünderin und Gerechte) ist, ist das Urbild meiner selbst und aller Menschen und so "Lumen Gentium – das Licht der Völker."

Und wenn ich Katholik wäre, würde ich gerade jetzt bei dieser Kirche bleiben, sehr bewusst, in ernsthafter Buße in der Einheit mit dieser Kirche und im Hören der Vergebung Gottes aus dem Mund eben dieser Kirche.

Der katholischen Kirche ist zu raten zur Geduld, zum Aushalten der Situation der Buße. Das ist nicht bequem, und ein Mensch oder eine Institution in dieser Lage gibt kein positiv öffentlichkeitswirksames Bild ab. Aber diese Situation der Buße – ernsthaft und ohne Ausweichen wahrgenommen – steht unter der Verheißung Gottes.


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