11. März 2022 in Weltkirche
Bischof Szyrokoradiuk: Alltag mit Warnsirenen und im Bunker, Versorgung mit Lebensmitteln derzeit noch besser als in östlicher gelegenen Städten der Ukraine
Kiew/Wien (kath.net/KAP) Von gespenstischen Szenen in der ukrainischen Schwarzmeermetropole Odessa berichtet der römisch-katholische Ortsbischof Stanislaw Szyrokoradiuk. "Die Stadt ist halbleer, denn alle, die die Möglichkeit dazu hatten, haben sie verlassen. Geblieben sind die Armen", sagte Szyrokoradiuk am Mittwoch in einem Interview der Nachrichtenagentur Kathpress. Seit Tagen schon bereitet sich die strategisch bedeutsame Stadt mit Sandsäcken und Straßensperren auf die Verteidigung gegen einen befürchteten russischen Angriff vor, der außer auf dem Landweg auch vom Meer aus erfolgen könnte.
Auch jetzt schon heulen in Odessa ständig die Warnsirenen, zehnmal allein am Dienstag. "Zehn russische Raketen sind niedergegangen, davon eine auf die Stadt selbst, die auf der Straße explodiert ist. Die anderen waren gegen die beim Meer gelegene Militärbasis gerichtet." Die Flucht in die Keller gehört für die Menschen - und auch für den Bischof - mittlerweile zur Gewohnheit, nachts wird meist auch dort geschlafen. Die vier Gottesdienste, die Szyrokoradiuk täglich feiert, können derzeit allerdings in der Kirche stattfinden. "Wir beten dabei besonders den Kreuzweg und für die Gefallenen und Gestorbenen."
Was die römisch-katholische Kirche in Odessa betrifft - deren Anhänger in der Region nur eine winzige Minderheit ausmachen -, können derzeit Hilfsangebote wie etwa Lebensmittelausgaben an besonders Bedürftige weitergeführt werden. Einerseits, da etliche Supermärkte in der Stadt noch geöffnet sind und auch die Banken noch funktionieren. So könne mit Spendengeldern weiterhin eingekauft werden, zudem seien kürzlich zwei Hilfstransporte aus Lemberg eingetroffen. Zwischen 70 und 90 besonders bedürftige Personen werden weiterhin von der lokalen Caritas mit einem täglichen Mittagessen versorgt.
Die Situation sei insgesamt bedrückend, jedoch nicht vergleichbar mit der "furchtbaren" Lage in den weiter östlich gelegenen ukrainischen Städten, betonte der Bischof. Darunter etwa in der 200 Kilometer entfernten Cherson: Dass derzeit keine Hilfstransporte in die schon früh von Russen eingenommenen 300.000-Einwohner-Stadt kommen, ist für den ukrainischen Caritas-Bischof das Schlimmste. "Die katholischen Priester sind in der Stadt geblieben und leisten weiter Seelsorge für die Menschen. Sie haben selbst noch einige Reserven, doch auch für sie wird die Nahrung knapp", berichtete Szyrokoradiuk. In seiner früheren Bischofsstadt Charkiw, um die weiter gekämpft wird, gebe es schon "in jedem Stadtviertel Zerstörungen".
Russlands nun schon zwei Wochen dauernder Angriffskrieg gegen die Ukraine kenne keine Regeln, sagte der Bischof. Es würden Wohnviertel mit Raketen beschossen und selbst Schulen, Krankenhäuser und Kindergärten zerstört. Unter den Tausenden getöteten Zivilisten zähle die Ukraine bisher bereits 54 Kinder. Auch auf der Gegenseite seien laut seinen Informationen bereits 13.000 russische Soldaten gefallen, was im russischen Fernsehen jedoch konsequent verschwiegen werde. "Ich habe nie gedacht, dass so etwas möglich ist in unserer Zeit", so der Bischof über die Realität des Krieges.
Kritisch äußerte sich Szyorkoradiuk angesichts der noch zu geringen internationalen Unterstützung für sein Land. "Die Ukraine verteidigt sich gegen den Angriff und ist stark, aber Russland hat so viele Flugzeuge, Bomben und Raketen. Die Verluste sind enorm - und die Welt schaut nur zu", so der Bischof. An ein Flugverbot, wofür derzeit Anstrengungen laufen, werde sich Russland wohl kaum halten. Die Ukraine brauche momentan "selbstverständlich politische und militärische Unterstützung".
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