15. März 2022 in Kommentar
Mit der Ukraine-Krise wurden wieder Stimmen laut, die bezweifeln, dass Russland tatsächlich 1984 von Papst Johannes Paul II. dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht wurde - Ein Gastkommentar von Michael Hesemann
Russland (kath.net)
Als die Gottesmutter von Fatima zum dritten Mal den Hirtenkindern Lucia, Jacinta und Francisco erschien, am 13. Juli 1917, offenbarte sie ihnen drei Geheimnisse. Im zweiten Geheimnis hieß es: „Um (einen neuen Weltkrieg) zu verhüten, werde ich kommen, um die Weihe Russlands an mein unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen des Monats zu verlangen. Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Russland sich bekehren und es wird Friede sein. Wenn nicht, wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden, am Ende aber wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird mir Russland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden.“
Zwölf Jahre später, am 13. Juni 1929, kehrte die Gottesmutter tatsächlich zurück. Jacinta und Francisco waren zwischenzeitlich verstorben; sie waren der Spanischen Grippe, der großen Pandemie des frühen 20. Jahrhunderts, zum Opfer gefallen. Lucia dagegen war in den Orden der Dorotheenschwestern eingetreten (erst 1946 wurde sie Karmeliterin) und lebte im Kloster von Tuy an der spanisch-portugiesischen Grenze. Dort betete sie gerade vor dem Tabernakel, als sie eine Erscheinung der Gottesmutter hatte, die ihr eine Vision der Heiligen Dreifaltigkeit gewährte und erklärte: „Der Augenblick ist jetzt gekommen, wo Gott den Heiligen Vater darum bittet, zusammen mit allen Bischöfen der Welt, Russland meinem Unbefleckten Herzen zu weihen und es so zu erretten.“ Sofort versuchte die Ordensschwester, über ihren Bischof an den Papst zu schreiben, doch ohne Erfolg. Fatima war zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der Kirche anerkannt und Pius XI. war kein großer Freund von Privatoffenbarungen. Das änderte sich, als 1939 mit Pius XII. ein neuer Papst die Kathedra Petri bestieg. Eugenio Pacelli war am Fatima-Tag, dem 13. Mai 1917, zum Bischof geweiht worden und sah schon darin ein Zeichen der göttlichen Vorsehung. Allerdings wusste er damals noch viel zu wenig von den Erscheinungen, um „vorschnell“ zu reagieren. So ließ er zunächst Sr. Lucia über ihren Bischof bitten, ihre Erinnerungen an die Ereignisse von 1917 niederzuschreiben, was diese auch tat. Als ihre Erinnerungen 1942 endlich veröffentlicht waren und auch in italienischer Sprache vorlagen, mitten im 2. Weltkrieg, handelte Pius XII. Am 31. Oktober 1942, in einer Radioansprache an das portugiesische Volk, weihte er tatsächlich die ganze Welt dem Unbefleckten Herzen Mariens, nicht ohne auf Russland zu verweisen: „Den Völkern, die durch Irrtum oder Zwietracht getrennt sind, und besonders denen, die sich zu einzigartiger Hingabe zu Dir bekennen und bei denen es kein Haus gab, in dem Deine ehrwürdigen Ikonen nicht in Ehren gehalten wurden, heute vielleicht am versteckt und für bessere Tage aufbewahrt, schenke ihnen Frieden und führe sie zurück in die eine Herde Christi, unter den einen und wahren Hirten.“
Später erklärte Sr. Lucia, dass die Weihe zwar gut gemeint war, aber nicht dem Willen der Gottesmutter entsprach, die ausdrücklich um einen Weiheakt „zusammen mit allen Bischöfen der Welt“ gebeten hatte. Trotzdem geschah ein Wunder: der 31. Oktober 1942 wurde zum entscheidenden Wendepunkt im 2. Weltkrieg. Nur drei Tage später erlebte Hitler seine erste große Niederlage in el-Alamein, ein paar Wochen später folgte Stalingrad, wo sein Ende besiegelt wurde. Doch auch in Russland tat sich etwas. War Stalin vor dem Krieg noch einer der grausamsten Christenverfolger der Geschichte gewesen, ließ er plötzlich Ikonen über Russlands Städte fliegen, damit die Gottesmutter sie beschütze, und stiftete in Stalingrad drei neue Kirchen. Zumindest die russisch-orthodoxe Kirche erlebte fortan keine größeren Übergriffe mehr. Von einer Bekehrung war Russland allerdings noch weit entfernt. Im Gegenteil: der Zweite Weltkrieg führte dazu, dass der Kommunismus ganz Osteuropa unterjochte und jetzt auch nach dem Rest der Welt griff. Der Kalte Krieg wurde geboren und mit ihm stand die Welt gleich zwei Mal, in den 1960er und in den 1980er Jahren, am Rande eines Atomkrieges. Doch kein Papst war bereit, die Weihe in der von der Gottesmutter gewünschten Form durchzuführen, weder Johannes XXIII., der sogar die Veröffentlichung des Dritten Geheimnisses verhinderte, noch Paul VI., der immerhin 1967 nach Fatima pilgerte. Erst das Attentat am Fatima-Tag, dem 13. Mai 1981, rüttelte Papst Johannes Paul II. auf. Am Jahrestag des Attentates reiste er nach Fatima und beriet sich mit Sr. Lucia, um tatsächlich am 25. März 1984, zusammen mit tausenden Bischöfen in aller Welt, die feierliche Weihe der Welt und – zumindest in pectore – Russlands vorzunehmen. Und wieder geschah ein Wunder. Drohte laut Sr. Lucia 1985 der Ausbruch eines atomaren Dritten Weltkriegs, explodierte stattdessen am 13. Mai 1984 das zentrale Waffendepot der Nordmeerflotte, was Russlands Kriegsfähigkeit entscheidend beeinträchtigte. Die Stunde der „Falken“ im Kreml war mit einem Schlag beendet und so wurde 1985 die „Taube“ Michail Gorbatschow zum neuen Generalsekretär der KPdSU und späteren Präsidenten der UdSSR gewählt. Zu seiner Politik der „Perestroika“ gehörte die Einführung der Religionsfreiheit in dem vormals militant atheistischen Staat. 1989 wurden die Warschauer Pakt-Staaten in Osteuropa in die Freiheit entlassen, 1990 die deutsche Wiedervereinigung erlaubt, 1991, ausgerechnet am Fest des Unbefleckten Herzens Mariens (22.8. - heute „Maria Königin“) kollabierte erst der Versuch der Hardliner, den Kommunismus zu retten, dann, zu Weihnachten, die ganze Sowjetunion. Was folgte, war tatsächlich das größte Wunder der Geschichte, die Bekehrung der Großmacht des Atheismus: aus der antichristlichen Sowjetunion wurde das christliche Russland. Heute bekennen sich 82 % der Russen zum orthodoxen Christentum, seit 1990 wurden 30.000 neue Kirchen geweiht und über 800 neue Klöster gegründet, werden jedes Jahr an die 6000 jungen Männer zu Priestern geweiht. Der Kommunismus ist zurückgedrängt; bei den Duma-Wahlen 2021 erhielt die Kommunistische Partei nur noch 18 % der Stimmen, kaum mehr als die SED-Nachfolgerin Die Linke in Berlin (14,3 %).
Jedenfalls hatte die Gottesmutter in Fatima nur von einer „Zeit des Friedens“ gesprochen, die durch die Weihe gewährt würde. Sie dauerte immerhin 37 Jahre, ganze 77 sogar seit dem letzten Kriegsende, was etwa einer bzw. zwei biblischen Generationen (40 Jahre) entsprach.
Trotzdem wird von traditionalistischen Kreisen gerne behauptet, die Weihe von 1984 sei ungültig gewesen. Ein kanadischer Priester, der schließlich wegen seiner Geldgier und seinem Ungehorsam wider seinen Bischof und Rom in den Laienstand versetzt wurde, ein radikaler Antisemit und Holocaust-Leugner, nämlich der mittlerweile verstorbene Nicholas Gruner, sammelte Millionen mit seinem selbsternannten „Fatima-Kreuzzug“ gegen den Umgang des hl. Johannes Paul II. und Benedikts XVI. mit den Botschaften der Gottesmutter. Gruner ging sogar so weit, dem Vatikan zu unterstellen, man habe Dokumente gefälscht und Schwester Lucia durch eine Schauspielerin ersetzt, um sich vor den Wünschen der Gottesmutter zu drücken.
Im Dezember 2016 konnte ich in Aljustrel, dem Heimatdorf der drei Seherkinder von Fatima, die damals 96jährige Maria dos Santos interviewen, die Lieblingsnichte von Sr. Lucia. Sie erklärte mir vor laufender Kamera – das Interview habe ich auf youtube publiziert – dass sie in den 1990er Jahren immer wieder von Pilgern nach der Gültigkeit der Weihe gefragt wurde. Da ihre Familie Lucia auch im Karmel von Coimbra regelmäßig besuchen durfte, nutzte sie die Gelegenheit, diese Frage an Sr. Lucia weiterzuleiten. Die Antwort der Seherin war frappierend klar: „Die Gottesmutter hat versprochen, dass sich Russland bekehrt, wenn es geweiht wird und schau doch, es hat sich bekehrt!“
Das entsprach genau dem, was der Heilige Stuhl seit 1984 behauptet. So veröffentlichte Kardinal Ratzinger im Juni 2000 einen Brief aus der Feder Sr. Lucias, in der diese am 8. November 1989 Papst Johannes Paul II. bestätigte: “Sim, està feita, tal como Nossa Senhora a pediu, desde o dia 25 de Março de 1984” – “Ja, alles wurde getan, wie es von Unserer Lieben Frau erbeten wurde, am 25. März 1984.” Die Behauptung, der Brief sei eine Fälschung, da mit der Maschine geschrieben, ist Unfug. Wer heute den Karmel in Coimbra, das Kloster Sr. Lucias, besucht, wird ihre geliebte Schreibmaschine dort noch finden. Es gibt auch Fotos, die sie beim Tippen zeigen. Zuvor, am 29. August 1989, hatte sie, ebenfalls schriftlich, erklärt: „Danach (seinem Besuch in Fatima) schrieb er (Johannes Paul II.) alle Bischöfe der Welt an und bat sie, sich mit ihm zu vereinen. Er ließ die Statue Unserer Lieben Frau von Fatima am 25. März 1984 nach Rom bringen. Dann vollführte er öffentlich, zusammen mit den Bischöfen, die ihn dabei unterstützen wollten, die Weihe auf die Weise, wie die Selige Jungfrau sie gewünscht hatte dass sie stattfinden sollte. Danach fragten mich die Leute, ob es auf die Art und Weise geschah, wie Unsere Liebe Frau es gewünscht hatte, und ich antwortete ’Ja!‘“
Trotzdem stellte ihr Bischof Tarcisio Bertone, der später zum Erzbischof ernannt und in das Kardinalskollegium aufgenommen wurde, bevor er Benedikt XVI. als Kardinalstaatssekretär diente, noch einmal die „Frage aller Fragen“, als er Sr. Lucia am 17. November 2001 im Auftrag von Papst Johannes Paul II. in Coimbra besuchte: „War die Weltweihe von 1984 so, wie sie von der Madonna gefordert wurde, oder hat Pater Gruner recht, der von einem Versäumnis spricht?“ Auch hier ließ die Antwort der mittlerweile 93jährigen an Klarheit nicht zu wünschen übrig: „Die Weltweihe, wie sie von Unserer Lieben Frau erbeten wurde, fand 1984 statt und wurde vom Himmel angenommen.“
Natürlich wurde auch Kardinal Bertone der Lüge bezichtigt. Daran änderte auch nichts, dass Schwester Lucia selbst noch in ihrem letzten Buch, „Die Botschaft von Fatima“ (Coimbra 2006), das posthum von ihren Mitschwestern veröffentlicht wurde, die Gültigkeit der Weihe bestätigte und allen Zweiflern widersprach: „Nach all dem gibt es immer noch Blinde, die nicht sehen oder nicht sehen wollen und sagen: Aber es gibt immer noch Kriege in dieser Welt… (aber es sind) Bürgerkriege, die es immer gab und geben wird… Die Friedensverheißung bezieht sich auf die Kriege in der weiten Welt, die durch die Verbreitung der Irrtümer Russlands angezettelt wurden. Diese Weihe erfolgte öffentlich durch den Heiligen Vater Johannes Paul II. in Rom am 25. März 1984 vor dem Gnadenbild Unserer Lieben Frau…“
Doch es gibt einen unbestreitbaren Beweis für die Gültigkeit der Weihe, den auch traditionalistische Verschwörungstheoretiker eigentlich akzeptieren müssten. Denn Schwester Lucia hat immerhin zwei Mal auch vor laufender Kamera zur Weihe Russlands Stellung genommen.
Diesen Beweis verdanken wir ihrem langjährigen Dolmetscher, dem portugiesischen Fatima-Experten Carlos Evaristo, der in Kanada aufgewachsen ist. Er begleitete in den 1990er Jahren mehrere englischsprachige Kardinäle in den Karmel von Coimbra, um bei ihren Begegnungen mit Schwester zu übersetzen. Dabei erlaubte sie ihm bei zwei Gelegenheiten, die Gespräche auf Video aufzuzeichnen, um den Lügen eines Pater Gruner offen zu widersprechen. Das erste dieser beiden Gespräche fand am 11. Oktober 1992 statt, als der indische Kardinal Antony Padiyara Schwester Lucia besuchte. Auf der Aufnahme ist deutlich zu hören, wie Schwester Lucia sagt: „Alles führte dazu, dass diese Weihe angenommen wurde… Der Papst dachte an Russland, als er 1984 im Weiheakt ‚dieses Volk‘ erwähnte. Diejenigen, denen die Forderung nach der Weihe Russlands bekannt war, wussten, worauf er sich bezog… Gott wusste, was die Absicht des Papstes war und dass er Russland mit der Weihe meinte. Wichtig ist die Absicht. Genau so, als wenn ein Priester die Absicht hat, eine Hostie zu konsekrieren… Es gibt keine Notwendigkeit, Russland noch einmal zu weihen.“
Ein Jahr später, am 11. Oktober 1993, suchte sie der philippinische Kardinal Ricardo Vidal auf. Wieder dolmetsche Evaristo, wieder wurde alles auf Video aufgenommen. Und erneut ist Schwester Lucia deutlich zu hören, als sie von der Bekehrung Russlands sprach:
„Eines muss man verstehen. Wir dürfen das Wort ‚Bekehrung‘ nicht falsch verstehen. Das Wort ‚Bekehrung‘, ‚bekehren‘, ‚eine Bekehrung‘ indiziert eine Veränderung. Eine ‚Bekehrung‘ ist ein Wandel vom Bösen zum Guten. Aber das bedeutet nicht, dass alles Böse verschwindet…Der Heilige Vater vollzog die Weihe und diese Weihe ist gültig. Die Heilige Jungfrau hat nie gesagt, dass der Papst das Wort ‚Russland‘ aussprechen müsse. Sie sagte: ‚Er wird mir Russland weihen und es wird sich bekehren. Und dann wird Friede sein.‘ Aber dieses Versprechen vom Frieden bezog sich auf die Kriege und Verfolgungen, die durch die Irrtümer des atheistischen Kommunismus in der ganzen Welt bewirkt wurden... Die Weihe von 1984 hat einen Atomkrieg verhindert, der 1985 ausgebrochen wäre … Die Kriege, die sich jetzt ereignen, sind Bürgerkriege und keine Weltkriege. Sie sind lokal. Die heilige Jungfrau hat sich niemals auf solche Kriege bezogen.“
Natürlich ist es gut und richtig, in einer Krise die Gottesmutter anzurufen und ihr die Länder, in denen Not oder Krieg herrschen, erneut anzuvertrauen, auch wenn dies in der Vergangenheit bereits geschah. In diesem Sinn erbaten russische und ukrainische Bischöfe kürzlich die Weihe Russlands und der Ukraine an das Unbefleckte Herz Mariens. Doch diese Forderung hat nichts damit zu tun, dass die Weihe von 1984 gültig war. Damals hat sie den Sowjetkommunismus zerstört und die Bekehrung einer Großmacht bewirkt. Wir können also mit gutem Grund darauf hoffen, dass sie dieses Mal der leidgeplagten Ukraine den Frieden bringt.
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