5. April 2022 in Kommentar
„An Marx dürfte es abprallen, dass er sich in der Weltkirche zunehmend isoliert und Deutschland in ein Schisma führt, das kaum noch aufzuhalten ist.“ Gastbeitrag von Joachim Heimerl
Wien (kath.net) Seit dem Interview, das Kardinal Marx in der letzten Woche dem „Stern“ gegeben hat, ist einmal mehr deutlich geworden, wie weit er sich inzwischen von der Kirche entfernt hat. Wer hier noch von einer wirklichen Einheit mit dem Papst und den Bischöfen der Weltkirche spricht, braucht viel Phantasie und noch mehr Humor.
Marx selbst gibt sich in dem Interview gewohnt jovial und hemdsärmlig und erspart dem Leser nicht einmal peinliche Einblicke in seine erotische Selbsterfahrung.
Jenseits solcher Geschmacklosigkeit aber wird in dem Interview deutlich, worum es dem Kardinal wirklich geht: um sich selbst. Im Grunde ist das Interview so zum Psychogramm eines kirchlichen Opportunisten geworden, der behauptet, er fühle sich seit Jahren freier zu sagen, was er denke. Dazu gehöre auch, dass man den kirchlichen Oberen nicht nach dem Munde reden dürfe.
Ohne Zweifel klingt in solchen Worten viel eigene Erfahrung mit, denn Marx weiß nur zu gut, dass er mit seinen heutigen Positionen niemals Bischof geworden wäre. Unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. fügte er sich stattdessen in die Reihen derer ein, die er heute als „konservativ“ und „rückständig“ diffamiert. Schließlich gelang ihm – bei Benedikt antichambrierend – der Sprung auf den Münchener Bischofsstuhl. Doch kaum hatte Benedikt abgedankt, schien sich der Wind im Vatikan zu drehen. Marx ließ sich von einem liberaleren Lüftchen ergreifen und drehte sein Fähnchen in den frischeren Wind. Flugs streifte der „neue“ Marx das Image des Konservativen ab. Darüber hinaus wurde er zum Exponenten eines deutschen Reformvorhabens, das inzwischen allerdings komplett aus dem Ruder gelaufen ist.
Seither setzt Marx alles daran, bei einer neuheidnischen Öffentlichkeit zu punkten, und nennt das im völligen Gegensatz zum Papst erstaunlicherweise „Evangelisierung“. Dahinter verbirgt sich jedoch nichts anderes, als dass er alle kirchlichen „Reizthemen“ mehr oder minder geschickt für sich nutzt. In die Richtung solch schnöder Publicity ging bereits die wenig diskrete, dafür umso medienwirksamere Inszenierung seiner Stiftung für Missbrauchsopfer. Und auch der jüngste Auftritt beim Münchener „Queergottesdienst“ oder das aktuelle Bekenntnis zur unerlaubten Segnung eines homosexuellen Paars müssen hauptsächlich unter diesem Vorzeichen verstanden werden.
Wer jedoch glaubt, Marx ginge es hier tatsächlich um Betroffene, hat überhört, dass beispielsweise Missbrauchsopfer beständig betonen, er komme in Wirklichkeit kaum auf sie zu. Und auch die plötzliche Parteinahme des Kardinals für Homosexuelle wäre ohne einen medialen Rückenwind kaum vorstellbar; so würde er umgekehrt in einer „LGBTQ+“-feindlicheren Öffentlichkeit wohl kaum für jene eintreten, um deren Gunst er heute buhlt.
Der Preis aber, um den sich Marx dergestalt zu Markte trägt, ist denkbar hoch: Es ist der Preis der Einheit der Kirche. Letztlich ist der Kardinal so zum Spiegelbild des Patriarchen von Moskau geworden: Wie Kyrill ist er bereit, die kirchliche Einheit und die Botschaft des Evangeliums für die eigene Macht und das eigene Ansehen im weltlichen Establishment zu opfern. Kyrill vollzieht dieses Opfer auf dem Altar der Diktatur Putins, Marx auf demjenigen der Diktatur des Zeitgeists und des Relativismus, und in beiden Fällen sind die Folgen für die Kirche verheerend.
An Marx selbst dürfte es jedoch abprallen, dass er sich in der Weltkirche zunehmend isoliert und Deutschland in ein Schisma führt, das kaum noch aufzuhalten ist. Denn das, was die Kirche ist oder sein soll, hat der Kardinal längst selbst entschieden; „Einheit“ ist nach seiner Auffassung nämlich immer da, wo er selber ist – wie Kyrill hat er offensichtlich den Blick für die Realität verloren.
Wer hier einwenden möchte, Marx sei dagegen alles andere als auf Ansehen und Macht erpicht, denn er habe ja demütig seinen Rücktritt angeboten, der geht der simplen Taktik des Kardinals auf den Leim. Knapp bevor ihn die Missbrauchswelle selbst erfasste, bot Marx dem Papst zwar tatsächlich den Amtsverzicht an, tat dies aber – sehr durchsichtig – im Wissen darum, dass ein Verzicht aus höchst vagen und allgemeinen Gründen nie angenommen werden würde. Nach der Veröffentlichung des Münchener Missbrauchsgutachtens und dem Bekanntwerden eigener Verfehlungen konnte Marx dann vollmundig verkünden, er klebe ja nicht an seinem Amt; in Wirklichkeit hatte er sich gegen ein erneutes Rücktrittsangebot jedoch bereits vorsorglich immunisiert.
Seither gilt Marx als „Saubermann" der Kirche und hat im Windschatten eines ebenso inszenierten wie widerlichen „Skandals“ um Benedikt XVI. von den eigenen Verfehlungen erfolgreich abgelenkt. Dies gelingt ihm umso mehr, je häufiger er sich als der nahbare Hirte gibt, der für alles und jeden Verständnis hat und der sich eine selbstlose Erneuerung der Kirche auf die Regenbogenfahne geschrieben hat.
Trotz aller Bemühung wird Marx den verräterischen Geruch des Opportunisten dennoch nicht los, und gerade das „Stern“-Interview lässt dies abermals deutlich werden: Der Kardinal versteht sich hier einmal mehr als wackerer Umkrempler des „Gesamtsystems“ der Kirche und hofft nur zu erkennbar, dass ihn die „Reformation 2.0“ im Namen des Zeitgeists noch weiter nach oben spült. Im nächsten Konklave ist Marx so schon heute eine Stimme sicher: seine eigene… es dürfte inzwischen die einzige sein.
Dr. Joachim Heimerl (siehe Link) ist Priester der Erzdiözese Wien und Oberstudienrat.
Archivfoto Kardinal Marx (c) kath.net
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