Adversus haereses – die Entlarvung und Widerlegung der falschen Gnosis

5. Mai 2022 in Aktuelles


Franziskus: Gnostizismus - die Faszination eines im Subjektivismus eingeschlossenen Glaubens, bei dem einzig eine bestimmte Erfahrung oder eine Reihe von Argumentationen und Kenntnissen interessiert. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch - vivens homo –, das Leben des Menschen die Gottesschau“ (Irenäus von Lyon, Adv. Haer. 20,7).

In seiner Katechese zur Generalaudienz am 4. Mai 2022 warnte Papst Franziskus vor der Gefahr der Häresie des fleischlosen Gnostizismus, die die Wahrheit des Glaubens spiritualisiert und das Konkrete der Praxis des Glaubens zurückstellt, negiert oder verliert. Es besteht für den Papst die Gefahr, dass diese Spiritualisierung sich in einen Individualismus und Subjektivismus abdriftet, der vom Heil entfernt, ja es sogar verlieren lassen kann.

Es war nicht das erste Mal, dass Franziskus auf diese häretische Gefahr einging. Neben zahlreichen der einstigen „Predigten in Santa Marta“ findet sich diese Auseinandersetzung in Dokuenten des ordentlichen Lehramtes. So muss auf die erste Enzyklika „Lumen fidei“, 29.Juni 2013, hingewiesen werden, die „vierhändig“ als Erbe seines Vorgängers Benedikt XVI. geschrieben worden war.

Auch beim Pastoralbesuch in Florenz warnte der Papst vor den neognostischen Tendenzen, dies bei der Begegnung mit den Repräsentanten des 5. Nationalen Kongresses der Kirche Italiens, Kathedrale Santa Maria del Fiore ( 10. November 2015).

Schließlich folgte im Jahr 2018 das zusammenfassende Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre „Placuit Deo“ an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte des christlichen Heils (22. Februar 2018), das der Sicht des Papstes auf die Häresien des Neo-Pelagianismus und Neo-Gnostizismus in einem größeren Umfng Ausdruck verlieh.

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Enzyklika „Lumen fidei“, 29. Juni 2013:

47. Die Einheit und die Unversehrtheit des Glaubens

Die Einheit der Kirche in Zeit und Raum ist mit der Einheit des Glaubens verknüpft: »Ein Leib und ein Geist, […] ein Glaube« (Eph 4,4-5). Heute mag eine Einheit der Menschen in einem gemeinsamen Einsatz, im gegenseitigen Wohl wollen, im Teilen ein und desselben Loses, in einem gemeinsamen Ziel realisierbar erscheinen. Aber wir haben große Schwierigkeiten damit, eine Einheit in derselben Wahrheit zu sehen. Es scheint, eine solche Einheit setze sich der Freiheit des Denkens und der Autonomie des Subjekts entgegen. Die Erfahrung der Liebe sagt uns hingegen, dass es gerade in der Liebe möglich ist, eine gemeinsame Vorstellung zu haben, dass wir in ihr lernen, die Wirklichkeit mit den Augen des anderen zu sehen, und dass uns dies nicht ärmer macht, sondern unsere Sicht bereichert. Die wirkliche Liebe nach dem Maß der göttlichen Liebe erfordert die Wahrheit, und in der gemeinsamen Sicht der Wahrheit, die Jesus Christus ist, wird sie tief und fest. Dies ist auch die Freude am Glauben, die Einheit der Sicht in einem Leib und einem Geist. In diesem Sinn konnte der heilige Leo der Große sagen: »Wenn der Glaube nicht einer ist, ist er kein Glaube«.

Welches ist das Geheimnis dieser Einheit? Der Glaube ist erstens einer wegen der Einheit des erkannten und bekannten Gottes. Alle Glaubensartikel beziehen sich auf ihn, sind Wege, um sein Sein und Handeln zu erkennen. Sie besitzen deshalb eine Einheit, die jeder anderen überlegen ist, die wir mit unserem Denken bewerkstelligen können; sie besitzen die Einheit, die uns bereichert, weil sie sich uns mitteilt und uns eins macht.

Der Glaube ist sodann einer, weil er sich an den einen Herrn richtet, an das Leben Jesu, an seine konkrete Geschichte, die er mit uns teilt. Der heilige Irenäus von Lyon hat dies in Abgrenzung von den Häretikern der Gnosis klargestellt. Diese behaupteten, dass es zwei Arten von Glauben gäbe: einen rohen, unvollkommenen Glauben, den Glauben der Einfachen, der auf der Stufe des Fleisches Christi und der Betrachtung seiner Geheimnisse bleibt; und dann einen tieferen und vollkommeneren Glauben, den wahren Glauben, der einem kleinen Kreis von Eingeweihten vorbehalten ist und der sich mit dem Verstand über das Fleisch Christi hinaus zu den Geheimnissen der unbekannten Gottheit erhebt. Gegenüber diesem Anspruch, der weiterhin seinen Reiz ausübt und selbst in unseren Tagen seine Anhänger hat, bekräftigt der heilige Irenäus, dass der Glaube ein einziger ist, da er immer über den konkreten Punkt der Menschwerdung geht, ohne je das Fleisch und die Geschichte Christi zu überwinden, denn darin wollte Gott sich vollkommen offenbaren. Deswegen besteht kein Unterschied zwischen dem Glauben dessen, „der viel über ihn zu sagen weiß", und dessen, „der nur wenig sagen kann", zwischen dem Besseren und dem weniger Fähigen: weder kann der Erste den Glauben vermehren, noch der Zweite ihn verringern.

Schließlich ist der Glaube einer, weil er von der ganzen Kirche geteilt wird, die ein Leib und ein Geist ist. In der Gemeinschaft des einen Subjekts — der Kirche — erhalten wir einen gemeinsamen Blick. Da wir denselben Glauben bekennen, ruhen wir auf demselben Felsen, werden wir von demselben Geist der Liebe verwandelt, strahlen wir ein einziges Licht aus und sehen auf gleiche Weise die Wirklichkeit.

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Pastoralbesuch – Florenz: Begegnung mit den Repräsentanten des 5. Nationalen Kongresses der Kirche Italiens, Kathedrale Santa Maria del Fiore, 10. November 2015:

Eine zweite Versuchung, die es zu überwinden gilt, ist der Gnostizismus. Diese Versuchung führt dazu, auf logische und klare Argumente zu vertrauen, die jedoch das zarte Fleisch des Bruders zurücklassen. Der Gnostizismus ist die Faszination »eines im Subjektivismus eingeschlossenen Glaubens, bei dem einzig eine bestimmte Erfahrung oder eine Reihe von Argumentationen und Kenntnissen interessiert, von denen man meint, sie könnten Trost und Licht bringen, wo aber das Subjekt letztlich in der Immanenz seiner eigenen Vernunft oder seiner Gefühle eingeschlossen bleibt« (Evangelii gaudium, 94). Der Gnostizismus ist nicht fähig zur Transzendenz. Der Unterschied zwischen der christlichen Transzendenz und jeder Form eines gnostischen Spiritualismus liegt im Geheimnis der Menschwerdung. Das Wort nicht in die Praxis umzusetzen, es nicht in die Wirklichkeit zu führen bedeutet, auf Sand zu bauen, in der reinen Idee verhaftet zu bleiben und in Formen von Innerlichkeitskult zu verfallen, die keine Frucht bringen und die Dynamik des Wortes zur Sterilität verurteilen.

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Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben „Placuit Deo“ an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte des christlichen Heils, 22. Februar 2018:

3. Papst Franziskus hat in seinem ordentlichen Lehramt oft auf zwei Tendenzen Bezug genommen, die mit den eben angedeuteten Abweichungen zusammenhängen und die in einigen Punkten Ähnlichkeiten mit zwei alten Häresien, nämlich dem Pelagianismus und dem Gnostizismus, aufweisen.[4] In unseren Tagen gedeiht ein Neu-Pelagianismus, gemäß dem das radikal autonome Individuum vorgibt, sich selbst zu erlösen, ohne anzuerkennen, dass es im Tiefsten seines Seins von Gott und von den anderen abhängig ist. Das Heil wird deshalb von den Kräften des Einzelnen oder von rein menschlichen Strukturen erwartet, die aber nicht imstande sind, die Neuheit des Geistes Gottes aufzunehmen.[5] Eine Art von Neu-Gnostizismus propagiert ihrerseits ein rein innerliches, im Subjektivismus eingeschlossenes Heil,[6] das darin bestünde, dass sich der Verstand «über das Fleisch Christi hinaus zu den Geheimnissen der unbekannten Gottheit erhebt».[7] So wird der Anspruch erhoben, die Person vom Leib und von der materiellen Welt zu befreien, in denen man nicht mehr die Spuren der Vorsehung des Schöpfers erkennt, sondern nur eine Wirklichkeit ohne Sinn, die der eigentlichen Identität der Person fremd wäre und gemäß dem Gutdünken des Menschen manipuliert werden könnte.[8] Es ist freilich klar, dass der Vergleich mit den Häresien des Pelagianismus und des Gnostizismus nur allgemeine gemeinsame Merkmale andeuten will, ohne eine Beurteilung der genauen Art der alten Irrtümer vorzunehmen. Groß ist nämlich der Unterschied zwischen dem heutigen historischen Kontext, der von der Säkularisierung geprägt ist, und der Situation der ersten christlichen Jahrhunderte, in denen diese Häresien entstanden sind.[9] Doch weil der Gnostizismus und der Pelagianismus bleibende Gefahren für ein falsches Verständnis des biblischen Glaubens darstellen, ist es möglich, eine gewisse Ähnlichkeit mit den eben beschriebenen Tendenzen unserer Zeit zu finden.

4. Der Individualismus des Neu-Pelagianismus sowie die Leibverachtung des Neu-Gnostizismus entstellen das Bekenntnis des Glaubens an Christus, den einzigen und universalen Retter. Wie könnte Christus den Bund mit der ganzen Menschheitsfamilie aufrichten, wenn der Mensch ein isoliertes Individuum wäre, das sich nur mit eigenen Kräften selbstverwirklichen könnte, wie der Neu-Pelagianismus vorgibt? Und wie könnte das Heil durch die Menschwerdung Jesu, sein Leben und Sterben und die Auferstehung in seinem wahren Leib zu uns kommen, wenn nur das wichtig wäre, was das Innere des Menschen von den Begrenzungen des Leibes und der Materie befreit, wie der Neu-Gnostizismus meint? In Anbetracht dieser Strömungen möchte das vorliegende Schreiben bekräftigen, dass das Heil in unserer Vereinigung mit Christus besteht, der durch seine Menschwerdung, sein Leben und Sterben und seine Auferstehung eine neue Ordnung von Beziehungen mit dem Vater und unter den Menschen gestiftet und uns dank der Gabe seines Geistes in diese Ordnung hineingenommen hat. So können wir uns als Söhne und Töchter im Sohn mit dem Vater vereinen und ein Leib im «Erstgeborenen unter vielen Brüdern» (Röm 8,29) werden.

 


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