11. Mai 2022 in Interview
kath.net-Interview mit Kardinal Koch, Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, über den Krieg von Russland gegen die Ukraine und ob der Dialog mit russisch-orthdoxer Kirche jetzt am Ende ist - kath.net-Interview von Roland Noé
Vatikan (kath.net/rn)
kath.net: Die russisch-orthodoxe Kirche ist sauer über die Papst-Kritik an Patriach Kyrill I. von dieser Woche - Stichwort "Ministrant Putins". Ist der Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche damit am Ende?
Kardinal Koch: Damit ist der Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche nicht am Ende. Aber dass der schreckliche Krieg, den Putin in der Ukraine führt und der so viele Tote und Flüchtlinge und massive Zerstörungen kostet, sogar religiös legitimiert wird, wie dies der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill tut, muss jedes ökumenische Herz irritieren und erschüttern. Diese Einstellung hat den Dialog mit der Führung dieser Kirche gewiss stark verändert. Abbrechen sollte man den Dialog aber nicht. Es muss vielmehr alles versucht werden, damit das Ende des Krieges eingeleitet werden kann. Dies wird aber nicht möglich sein, wenn die bestehenden Brücken abgebrochen würden.
kath.net: Wie schwierig bleibt ein Dialog mit einer lokalen Kirche, die de facto einen Angriffskrieg gegen ein anderes Land unterstützt?
Kardinal Koch: Diesen schwerwiegenden Problemen muss sich der ökumenische Dialog stellen. Er muss vor allem jene Frage besprechen, die im Hintergrund dieser Probleme steht und in den ökumenischen Dialogen bisher viel zu wenig beachtet worden ist, nämlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Diesbezüglich haben sich in der Kirche in Ost und West verschiedene Konzeptionen herausgebildet: Die Kirche im Westen hat in einer langen und verwickelten Geschichte lernen müssen und gelernt, dass in der Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Partnerschaft zwischen beiden Realitäten die adäquate Ausgestaltung ihres Verhältnisses besteht. Demgegenüber ist in der Kirche des Ostens eine enge Verbindung zwischen der staatlichen Herrschaft und der kirchlichen Hierarchie dominierend geworden, die als „Symphonie“ von Staat und Kirche gekennzeichnet zu werden pflegt. Sie kommt vor allem zum Ausdruck in den orthodoxen Konzeptionen der Autokephalie und des kanonischen Territoriums, die nicht selten mit nationalistischen Tendenzen verbunden sind.
Die „Symphonie“ von Staat und Kirche lebt bis heute in der Kirche im Osten; sie ist aber stets mehr mit schwerwiegenden Hypotheken belastet, wie die problematische Einstellung des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill zum Krieg Putins in der Ukraine zeigt. Dadurch ist dieses Modell der Symphonie von Kirche und Staat stark diskreditiert worden. Bei aller berechtigten Entrüstung über solche Positionen sollten wir aber nicht aus unserem geschichtlichen Bewusstsein verdrängen, dass es in der Vergangenheit auch bei uns im Westen ähnliche Positionen gegeben hat. Wie viele Christen haben die Weltkriege im vergangenen Jahrhundert religiös legitimiert und – bis hin zur Institution des Reichsbischofs in der evangelischen Kirche in Deutschland - den nationalsozialistischen Unrechtsstaat unterstützt? Solche historischen Erinnerungen und heutige Erfahrungen müssen Anlass sein, in den ökumenischen Beziehungen endlich eine Frage zu thematisieren, die zu den am meisten vernachlässigten Themen gehört, eben die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat, die im Zeichen der Religionsfreiheit gestellt werden muss. Denn jede Kirche ist in ökumenischer Offenheit zur Rechenschaft darüber verpflichtet, ob ihr Verhältnis zum Staat so geregelt ist, dass es dem Prinzip der Religionsfreiheit entspricht.
kath.net: Ihre persönliche Einschätzung: Wird der Papst nach Moskau reisen? Gibt es hier Chancen?
Kardinal Koch: Papst Franziskus hat seinen Wunsch klar geäussert, dass er nach Moskau reisen will, um Präsident Putin zu bewegen, den Krieg zu beenden. Ob und - wenn ja - wann er nach Moskau reisen kann, hängt aber nicht von ihm, sondern von Moskau ab. Es wäre gewiss ein wichtiger Schritt, wie der Papst bereits kurz nach Ausbruch des Krieges die russische Botschaft im Vatikan aufgesucht hat, um seine Friedensbemühungen anzubieten.
kath.net: Herzlichen Dank für das Interview!
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