2. Juni 2022 in Spirituelles
„Eine Welt ohne Gott ist zum Scheitern verurteilt, wie wir an den gottlosen und menschenfeindlichen Polit-Ideologien im 20. Jahrhundert und bis heute sehen.“ Predigt von Gerhard Card. Müller, Rom
München (kath.net) kath.net dokumeniert die Festpredigt von Gerhard Kardinal Müller zum 100. Stiftungsfest der der K.D.St.V. Trifels München im CV. in voller Länge und dankt S.E. für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Liebe Bundesbrüder!
Wer sich die politische Weltlage anschaut, könnte verzweifelt sein wegen der Möglichkeit eines totalen Scheiterns des „Projektes Menschheit.“ Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat man Dritten Weltkrieg beschwören, der alles in den Abgrund reisen würde. So viel ist jedem klar, dass die Hegemonialpolitiker, die Profiteure der internationalen Krisen und die Posthumanisten, die die Evolution auf dem Sprung sehen über den Menschen hinaus zu einem technologischen Konstrukt, nicht die Schöpfer einer besseren Welt sind. Eine Welt ohne Gott ist zum Scheitern verurteilt. Den Beweis liefern uns die gottlosen und menschenfeindlichen Polit-Ideologien im 20. Jahrhundert und bis heute.
Der Grundfehler ist überall der gleiche: das ist der anthropologische Reduktionismus. Der Mensch sei nichts weiteres als eine Maschine, nichts anderes als ein Tier, ein unterentwickelter Computer, ein primitiver Vorläufer der Künstlichen Intelligenz, der sich nicht von der Wahrvorstellung der Unsterblichkeit seiner Seele lossagen will. In einem funktionalistischen Menschenbild ist der Mensch für die Potentaten nur Steuerzahler, Versorgungsfall oder wenn es um die Rechtfertigung ihrer Angriffskriege geht, nicht mehr als Kanonenfutter. Oder der Mensch ist für Ökonomen, die nur in Verlust und Gewinn denken, Humankapital, Kunde und Verbraucher. Ideologen, die nicht glauben wollen, dass „der Mensch die einzige auf der Welt um ihrer selbst willen von Gott gewollte Kreatur ist“ (II. Vatikanum, Gaudium et spes 24), klagen den Menschen an als den Feind einer heilen Natur.
Christen jedoch sehen sich nicht selbst unter diesen pessimistischen Vorzeichen. Wir glauben und wissen, dass jeder einzelne Mensch geschaffen ist nach Gottes Bild und Gleichnis. Wir kennen sehr wohl die Existenz des Menschen zwischen den Leiden dieser vergänglichen Welt und der Hoffnung auf die Erlösung unseres Leibes bei der Vollendung der Schöpfung durch Gott. Doch im Blick auf den Sohn Gottes, der unser Sein und Leben, unser Leiden und unseren Tod auf sich genommen hat, konnte der Apostel Paulus sagen, dass wir in Christus „von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ (Röm 8, 21).
Menschen können nicht eine Neue Weltordnung schaffen und mit ihren Ideen und Motiven uns nicht erlösen von der Ungerechtigkeit, dem Bösen, der Sünde, dem Leiden und dem Tod. Wir glauben allein an Gott als den Schöpfer der Welt und den einzigen Erlöser des Menschen.
Aber wir stehen nicht in Konkurrenz zu Gott und er schon gar nicht zu uns. Denn er hat uns zu seinen Söhnen und Töchtern im Heiligen Geist zu seinen Freunden gemacht. Wir sind berufen, Mitarbeiter Gottes zu sein beim Aufbau des Reiches Gottes und bei der Gestaltung der Gesellschaft, die sich entwickelt nach den Prinzipien der Menschenwürde, der Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit. Und wir sind als glaubende Christen Zeugen für die göttliche Berufung des Menschen über die Grenzen und die Kontingenz des Irdischen hinaus zum ewigen Leben in der Liebe des dreieinigen Gottes.
Wir sind – wie Dietrich Bonhoeffer sagt – nach dem Vorbild Jesu im pro-aktiven Sinne: Menschen für andere.
Die Kurzbeschreibung christlicher Existenz lautet: „Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn… Die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Röm 5, 1-5).
Wir sind geschaffen als Personen in Gemeinschaft. Da Gott mit seinem erwählten Volk im Alten Testament und in Christus mit der ganzen Menschheit den ewigen Bund geschlossen hat, darum leben wir unseren Glauben in der Gemeinschaft mit der universalen Kirche, unserer Diözese, unserer Pfarrgemeinde. Aber es gibt auch freie Zusammenschlüsse, die sich wie in unserem Fall eine Verbindung, die Studenten und frühere Studenten, die nun im aktiven Berufsleben stehen, umfasst.
Unsere positive Auffassung vom Sein, unser Ja zum Leben und unsere Hoffnung, die stärker ist als alle Negativität, lässt jeden Anflug von Nihilismus und die Furcht vor dem blinden Schicksal weit hinter sich. Es sind aufbauende Prinzipen die uns leiten. Sie sind verwurzelt in unserer geschaffenen Natur und leuchten jedem Menschen ein als vernünftig begründet und lebbar.
Religio- amicitia – scientia- patria weisen aber auch auf das übernatürliche Ziel hin in der Anschauung Gottes von Angesicht zu Angesicht und in der Gemeinschaft der Heiligen.
Religio bedeutet die Verbindung zu der Sphäre des Seins, welche das dinglich Gegebene, das Nützliche und Pragmatische überschreitet in die Erfahrung des Heiligen und die Hoffnung auf eine ewige Erfüllung unseres Strebens nach Liebe. Selbst dort, wo das Göttliche geleugnet wird, ist Religio – wie Albert Schweitzer sagte – noch da als Ehrfurcht vor dem Leben. In der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes wird die Religio als menschliche Grundhaltung erhöht zu einer personalen und dialogischen Begegnung mit dem Geheimnis Gottes in der Liebe von Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Amicitia ist das Grund-Elixier des sozialen Lebens. Im Unterschied zu Thomas Hobbes, der die Formel prägte „homo homini lupus“, sagte der hl. Thomas von Aquin, dass der Mensch von Natur aus, abgesehen von der Erbsünde, also im Schöpfungsplan Gottes homo hominis amicus sei. Die Probe aufs Exempel kann jeder in seiner eigenen Lebenserfahrung machen, wenn er liebe Mitmenschen als Freunde hat und sich ihnen gegenüber wohlwollend, also nicht berechnend verhält. Jesus hat seine Jünger als seine Freunde bezeichnet, für die er in göttlicher Liebe sein Leben hingegen hat. Wir sind also nicht Sklaven der Götter oder Instrumente in der Hand selbstvergötterter Potentaten, sondern vollkommen und zweckfrei Freunde des uns wohl-wollenden Gottes in Christus und im Heiligen Geist.
Scientia ergibt sich aus der geistigen Tätigkeit des Menschen, in der er sich denkend selbst erfasst und die Welt in ihrer materiellen und formellen Zusammensetzung ergründet, aber sich selbst urteilend zum Ganzen des Seins, zu seiner Wahrheit und Gutheit und letztendlich zu seinem göttlichen Urgrund verhält. Gerade in den Berufen mit einem akademischen Hintergrund ist die Sicht auf den konstruktiven Beitrag der Natur-, Human- und Geisteswissenschaften von größter Bedeutung für eine menschenwürdige Gestaltung unseres Gemeinschaftslebens.
Die höchste Form von Wissenschaft ist die Erkenntnis Gottes in seinem geoffenbarten Wort und im Heiligen Geist, der uns als Licht eingegossen wird. Im „Hohen Lied der Liebe“ zeigt Paulus die Verbindung auf zwischen dem natürlichen Licht der Vernunft, dem Licht der Glaubens und dem Licht der künftigen Glorie: „Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin.“ (1 Kor 13, 12).
Patria sagt uns, dass wir als einzelne Menschen im großen Zusammenhang der Generationen nicht ort- und zeitlos existieren können. Das Vaterland ist da, wo wir zu Hause sind. Die Vertreibung aus der Heimat erfahren wir als bitteres Unrecht gegen unsere Menschenwürde. Wir gehören einer bestimmten Familie an, wir erfahren unsere Umgebung als bergenden Raum. Unser Denken entfaltet sich hinein in eine bestimmte Sprache und Kultur und nimmt in den Dialekten ein farbenfrohes und herzerwärmendes Kolorit an. Ein menschenfreundlicher Patriotismus ist das beste Heilmittel gegen eine Selbstverabsolutierung und Selbstvergötzung des eigenen begrenzten Daseins, die nicht wahrhaben will, dass wir zu einer kinderreichen Familie gehören, deren Vater alle seine Kinder mit unendlicher Liebe liebt und der jedem alles Nötige zu geben weiß – ohne dem anderem Kind das Geringste vorzuenthalten. Aber wir wissen auch, dass wir in dieser Welt letztlich nur Pilger und Fremdlinge sind und der ewigen Heimat entgegengehen. In unserem wahren Vaterland sind wir endgültig zuhause, wenn wir die Stimme vom Throne Gottes rufen hören: „Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und Gottes wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“ (Offb 21, 3f).
Möge der dreifaltige Gott die Katholische Deutsche Studentenverbindung Trifels München segnen, dass Sie weiterhin kommenden Generationen geistige und geistliche Heimat sei, in der gründliche Wissenschaft gedeiht, wahre Freundschaft gepflegt und dass gemäß der christlichen Religion alles geschieht zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen. Amen.
Foto Kardinal Müller: Archivbild
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