7. Juni 2022 in Deutschland
„Auch das dreigestufte Amt in der Kirche - Bischöfe, Priester und Diakone mit dem Nachfolger Petri als einheitsstiftender Mitte - steht nicht gegen den Geist, sondern ist eine Gabe des Geistes für seine Kirche und damit für uns alle.“
Köln (kath.net/pek) kath.net dokumentiert die Predigt von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki am Pfingstsonntag, 05.06.2022, im Hohen Dom zu Köln, in voller Länge:
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
seit Monaten führen katholische Christen intensiv eine Diskussion darüber, wie wir heute Kirche sein wollen und was die Kirche ist. Heute, 50 Tage nach Ostern, feiern wir den Geburtstag dieser Kirche. Denn mit dem Kommen des Geistes damals beim ersten Pfingstfest in Jerusalem begann die Kirche zu leben.
Ohne den Hl. Geist gäbe es keine Kirche. In der Lesung hörten wir heute, wie der Geist Gottes an Pfingsten auf Maria und die im Abendmahlssaal versammelten Jünger herabkam. Sturmesbrausen und Feuerzungen machten sein Kommen hör- und sichtbar. Was dabei jedoch geschah, reicht viel tiefer.
Denn durch das Kommen des Hl. Geistes wurde die Jüngergemeinde mit der Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn erfüllt. Jesus hatte den Jüngern versprochen: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Durch den Pfingstgeist erfüllt Jesus sein Versprechen.
Er macht die Gemeinschaft seiner Jünger zum Ort seiner Gegenwart in der Welt. Er macht sie zur Kirche. Die Kirche ist so das Sakrament der Gegenwart Christi in der Welt, der Ort, wo uns das Heil geschenkt wird. Sie alle kennen die Erzählung von der Erschaffung des Menschen, wie sie uns die Hl. Schrift auf ihren ersten Seiten überliefert. „Gott, der Herr, formte den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (Gen 2,7), heißt es da. Und genau nach diesem Muster hat Gott auch die Kirche geschaffen. Die Jünger sind gemeinsam mit der Mutter des Herrn im Abendmahlssaal versammelt, und Gott sendet oder - um im Bild zu bleiben - bläst seinen Hl. Geist in diese Gemeinschaft hinein, die dadurch zum Ort der Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn wird. In der Kirche begegnen wir also dem Herrn, und damit Gott. Denn Jesus Christus ist mit dem Vater Gott.
Wo Jesus ist, da ist auch der Vater und der Hl. Geist. Denn alle drei sind der eine Gott. Darum beschreibt das Konzil die Kirche auch als das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes her geeinte Volk. Die Kirche ist von Gott geschaffen. Sie ist nicht unser Werk, über das wir zu befinden hätten.
So eng hat sich Christus mit der Kirche verbunden, dass sie sein Leib ist. Leib Christi nennt denn auch der Apostel Paulus die Kirche. Christus ist das Haupt. Wir bilden seinen Leib. Einzeln sind wir dessen Glieder. Haupt und Glieder bilden so einen einzigen Leib. Der hl. Augustinus drückt diese Einheit einmal so aus:
Haupt und Glieder sind der eine Christus, der ganze Christus. So sehr sind wir in der Gemeinschaft der Kirche in Jesus Christus eingefügt. Die Kirchenväter werden insofern nicht müde, diese Einheit mit verschiedenen Bildern zu beschreiben: Christus der Bräutigam - so sagen sie - und seine Braut, die Kirche, sind zusammen ein einziges Fleisch. Die Kirche ist das Bundeszelt seiner Gegenwart. Sie ist das Gebäude, das er als Architekt gebaut und als der Schlussstein vollendet hat. Sie ist der Tempel, in dem er lehrt. Sie ist das Schiff, dessen Steuermann er ist. Sie ist das Paradies, und er ist der Baum und die Quelle des Lebens darin.
„Praktisch“ - so sagt es der französische Konzilstheologe und spätere Kardinal Henri de Lubac - „praktisch ist also für uns Jesus Christus eins mit seiner Kirche“ (Die Kirche S. 188). Jesus hat als Architekt der Kirche auch ihr Gefüge und ihre Ordnung gegeben. Er hat sie auf das Fundament der Apostel gebaut, unter denen Petrus den ersten Platz einnimmt und der damit für die Einheit der Kirche steht. Durch sie und ihre Nachfolger nimmt Jesus seine Aufgabe als Haupt der Kirche, als Lehrer der Wahrheit und Spender des Heils wahr. „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab“ (Lk 10,16; Mt 10,40), sagt Jesus zu den Aposteln. In ihnen geht seine Sendung weiter: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Ihnen gibt er die Vollmacht, Sünden nachzulassen. Ihnen trägt er auf, in seiner Person zu tun, was er beim letzten Abendmahl getan hat: Den Gläubigen im Zeichen von Brot und Wein seinen geopferten Leib und sein am Kreuz vergossenes Blut zu zeigen. Das tut Jesus bis heute in ihren Nachfolgern. So ist die Kirche das Sakrament Jesu Christi, das Mysterium seiner Gegenwart unter uns, verwirklicht durch den Hl. Geist, den Gott an Pfingsten ausgegossen hat. Die Sendung der Kirche ist nicht etwas zusätzliches zur Sendung Christi. Vielmehr ist sie durch den Hl. Geist „Zeichen und Werkzeug“ für die Sendung Christi auch in unserer Zeit. Die Sendung des Hl. Geistes bildet und bewirkt die Kirche. Kirche und Geist gehören damit eng zusammen (Katechismus Nr. 738).
Auch das dreigestufte Amt in der Kirche - Bischöfe, Priester und Diakone mit dem Nachfolger Petri als einheitsstiftender Mitte - steht nicht gegen den Geist, sondern ist eine Gabe des Geistes für seine Kirche und damit für uns alle. Jeder Versuch, Kirche und Hl. Geist voneinander zu trennen oder gar in einen Gegensatz zu bringen, kann sich nicht auf das Zeugnis der Schrift berufen. Eine solche Sicht bleibt an der Oberfläche und wird dem Wesen der Kirche nicht gerecht. Der Märtyrerbischof Irenäus von Lyon hat das bereits im zweiten Jahrhundert so ausgedrückt: „Wo die Kirche ist, da ist Gottes Geist, und wo Gottes Geist ist, da ist die Kirche und jegliche Gnade und der Geist der Wahrheit; sich von der Kirche entfernen, heißt den Geist verwerfen ‘und sich eben damit‘ vom Leben ausschließen“ (Adv. haer. III, 24,1). Liebe Schwestern, liebe Brüder, wir brauchen heute mehr denn je ein klares Bild von der Kirche. Denn dabei geht es ja um uns, um unsere christliche Identität, ja sogar um unser Verhältnis zu Gott.
Denn was wir als Christen sind, das sind wir durch die Kirche. Durch den Geist lebt Jesus in der Kirche. Und durch die Kirche empfangen wir Gemeinschaft mit Christus und Teilhabe am Leben Gottes. Darum sagt der hl. Augustinus auch: „Um vom Geiste Christi zu leben, muss man in seinem Leibe wohnen“ (epist. 185, 11,50).
Liebe Schwestern, liebe Brüder, vor diesem Hintergrund gilt es immer wieder neu zu bedenken und zu durchbeten, was Christus seiner Kirche eingestiftet hat. Nur das schafft nämlich Einheit. Nur das hält uns zusammen. Wie die Kirche nicht von uns geschaffen ist, so wird auch die Einheit der Kirche nicht von uns hergestellt.
Sie ist uns vorgegeben in der Stiftung des Herrn. Sie müssen wir annehmen, indem wir die Wahrheit des Glaubens annehmen. Nur so bleiben wir davor bewahrt, in eine Vielzahl von Gruppen auseinander zu fallen und damit die kirchliche Einheit aufzulösen. An Pfingsten feiern wir den Geburtstag der Kirche. Durch das Kommen des Hl. Geistes hat sie zu leben begonnen. In der Kraft des Geistes pilgert sie durch die Jahrhunderte. Danken wir deshalb heute dem Herrn dafür, zu dieser Kirche gehören zu dürfen. Und lieben wir die Kirche, trotz aller menschlichen Schwächen, Fehler und Sünden, mit der wir ihre Schönheit immer wieder beflecken.
„Denn im selben Maß, in dem einer die Kirche liebt, hat er in sich den Heiligen Geist“, sagt der hl. Augustinus. Durch die Kirche lebt Jesus Christus in uns und unter uns. In ihr belebt uns Gottes Hl. Geist. Und durch sie führt uns der Vater zu sich in die Fülle des göttlichen Lebens.
Amen.
Archivfoto Kardinal Woelki (c) Erzbistum Köln
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