Bericht: Zunehmende Selbstzensur von Christen in Europa

12. Juni 2022 in Aktuelles


Fallstudie weist auf größtes Ausmaß säkularer Intoleranz in Universitäten - Expertin: Hohe soziale Kosten für ein Äußern religiöser Überzeugungen lassen viele Menschen ihren Glauben aufgeben


Wien (kath.net/KAP) Auf eine zunehmende Bedrohung der Meinungsfreiheit für Christen deutet eine neue Studie über vier Länder Europas wie auch Lateinamerikas hin. Christen, die ihren Glauben aktiv praktizieren, müssten immer häufiger Selbstzensur üben, da ihr Umfeld abschreckend auf die freie Äußerung ihrer Überzeugungen wirke, hat das in Wien beheimatete "Observatory for Intolerance and Discrimination against Christians in Europe" (OIDAC) am Donnerstagabend dargelegt. An dem Bericht und dessen Online-Pressekonferenz waren auch die internationalen Partnereinrichtungen OLIRE und IIRF (Internationales Institut für Religionsfreiheit) beteiligt.

Der von den drei Einrichtungen veröffentlichte Bericht fasst die Ergebnisse von vier Fallstudien zusammen, die in Deutschland, Frankreich, Mexiko und Kolumbien durchgeführt wurden und stützt sich auf zehn Jahre Forschung über säkulare Intoleranz. Persönlich befragt wurden praktizierende Christen aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen. Als "besorgniserregendste und tragischste Erkenntnis" bezeichnete es OIDAC-Geschäftsführerin Madeleine Enzlberger, "dass die Menschen ihren Glauben aufgeben, wenn die sozialen Kosten dafür, dass sie ihre Überzeugungen vertreten und äußern, zu hoch werden". Besonders der Glaube jüngerer und ungebildeter Menschen sei gefährdet.

Nicht die jeweilige Gesetzeslage, sondern vor allem die kulturelle Mentalität sorgt in Ländern mit fortgeschrittenem Säkularisierungsgrad wie Frankreich und Deutschland für den beobachteten "Abschreckungseffekt", geht aus dem Bericht hervor. Das Ergebnis sei zwar nicht religiöse Verfolgung, wohl aber eine "Veränderung des Klimas" und eine "Verengung des Meinungskorridors", erklärte Friederike Boellmann, die für die Untersuchung zu Deutschland zuständig war. Als das für Christen "feindlichste" Umfeld hätten sich die Universitäten herausgestellt, ebenso wie sie auch im akademischen Bereich die meiste Selbstzensur angetroffen hätte.

Auch der soziale Druck sei ein gewichtiger Faktor für Selbstzensur, erklärte die Studienleiterin für Mexiko und Kolumbien, Teresa Flores. Immer öfter kämen Christen in Situationen, "in denen sie ihre auf dem Glauben gründende Standpunkte zu kontroversen Themen gar nicht äußern können". Problematisch sei bei der Selbstzensur besonders, "dass sie sehr häufig, aber in kleinem Rahmen auftritt, wobei sich diese kleinen Vorfälle irgendwie summieren", berichtete Dennis P. Petri, der Herausgeber des Berichts.

Janet-Epp Buckingham, die Chefredakteurin des "International Journal for Religious Freedom" griff die Analogie des "Todes durch tausend Schnitte" auf: "Ein kleiner Schnitt bringt einen nicht um, aber tausend Schnitte schon. Das kann der Religionsfreiheit schaden." Zahlreiche kleinere Angelegenheiten würden sich zu einem größeren Problem summieren und dafür sorgen, dass sich Menschen wegen ihres Glaubens unter Druck gesetzt fühlten - und in Folge verstummten, um nicht gemobbt zu werden oder in ihrem Job nicht die Aussicht auf Beförderung zu verlieren, so die Expertin mit Verweisen auf die Ergebnisse aus Mexiko.

Eine der am häufigsten von Christen zum Thema gestellten Fragen sei: "Darf ich das sagen?", berichtete Simon Calvert vom britischen "The Christian Institute", im konkreten Beispiel etwa: "Ist es legal, wenn ich eine christliche Meinung über Abtreibung oder Sexualität und Geschlecht äußere?" Ganz ernsthaft würden sich Christen erkundigen, ob es Gesetze gebe, "die uns daran hindern, eine christliche Meinung zur gleichgeschlechtlichen Ehe oder zu Gender zu äußern?" Das Niveau der Selbstzensur sei so weit gekommen, "dass die Leute denken, dass es irgendwie gegen das Gesetz sein muss, diese Ansichten zu äußern - doch das ist es natürlich nicht".

Die Studienerkenntnisse sollen nicht Angst, Spaltung oder Ressentiments schüren, sondern ein besseres Verständnis dafür geben, "wie sehr wir eine pluralistische Gesellschaft brauchen, in der jeder ohne Angst vor Repressalien seine Meinung sagen und seinen Glauben ausleben kann, ohne diskriminiert zu werden", betonte die Wiener Expertin Enzlberger. (Link zum Bericht: www.intoleranceagainstchristians.eu/publications/perceptions-on-self-censorship)

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