Polnischer Historiker: „Nie wieder“ – Es hätte nie wieder Krieg in Europa geben dürfen

15. Juni 2022 in Chronik


„Es stellt sich die Frage, ob wir als Europa oder als Welt in der Lage sein werden, eine weitere Eskalation der Aktionen von Putin zu stoppen, oder ob wir es zulassen werden, dass dieser Diktator weitermachen kann?“


Warschau (kath.net/Polnische Bischofskonferenz/pl) kath.net dokumentiert eine Pressemeldung der Polnischen Bischofskonferenz in voller Länge in eigener Übersetzung – Übersetzung © kath.net

Wir hatten gehofft, der Zweite Weltkrieg würde eine Warnung für die Menschheit sein, vor allem für die Europäer, die erst vor kurzem seine Gräueltaten erlebt hatten. Nie wieder – es hätte keinen Krieg mehr in Europa geben dürfen, sagte Dr. Robert Derewenda, Direktor des Lubliner Büros des Nationalen Gedenkinstituts und Dozent an der Katholischen Universität Johannes Paul II. in Lublin. Derewenda wurde am Gedenktag für die Opfer der deutschen NS-Konzentrationslager und Vernichtungslager interviewt. Seit 2006 wird dieser Tag in ganz Polen am 14. Juni begangen.

„Die aktuelle Situation drängt sich in die heutige Feier des Gedenktags für die Opfer der deutschen NS-Konzentrations- und Vernichtungslager. Niemals hätten wir erwartet, dass es heute, im 21. Jahrhundert, wieder zu Kriegen kommen könnte. Dieser Krieg bedroht die ukrainische Nation im Herzen Europas. Wir hatten gehofft, dass der Zweite Weltkrieg als Warnung für die Menschheit dienen würde, vor allem für die Europäer, die erst vor kurzem seine Gräueltaten erlebt hatten. Der Krieg sollte nur aus Büchern kennengelernt werden. Es hätte nie wieder Krieg in Europa geben dürfen“, betonte Derewenda.
 
Der Direktor des IPN in Lublin bemerkte, dass wir uns heute, zu Beginn eines andauernden Konflikts in der Ukraine, der schlimmen Auswirkungen eines jeden Krieges bewusst werden müssen. „Die unmenschlichen Gräueltaten geschahen während des Zweiten Weltkriegs nicht sofort. Menschen überschritten immer neue Grenzen. Der Besetzung Österreichs, der Tschechoslowakei und Polens folgte bald die Invasion anderer Länder. Konzentrationslager, die zuerst errichtet wurden, führten zu einer umfassenden Tod- und Vernichtungsmaschinerie – was als Konzentrationslager begann, wurde zu Todeslagern.“

Der Forscher verwies auf die Welle von Fake News und Manipulationen in den Kommunikationsmedien zur Lage in der Ukraine. Der Historiker betonte, dass man heute wie – im Zweiten Weltkrieg – Bestrebungen beobachte, militärische Aktionen zu rechtfertigen, um die Verantwortung für die begangenen Verbrechen zu verringern. „Während im Zweiten Weltkriegs die Identifizierung der Täter unstrittig war, begann sich dies nach Kriegsende zu ändern. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Holocaust vielleicht ohne die Zustimmung bzw. stillschweigende Zustimmung anderer Nationen nicht stattgefunden hätt. Es wurde versucht, die Verantwortung der Deutschen für die von ihnen nicht nur in Gang gesetzte, sondern bis in die letzten Kriegstage hinein betriebene Verbrechensmaschinerie zu relativieren. So sind auch heute Manipulationsversuche zu beobachten. Die Deutschen benutzten damals Ideologien, um ihre Operationen zu rechtfertigen, während die russische Seite heute nach einer Rechtfertigung sucht, um in die Ukraine einzudringen und ihr souveränes Land zum Preis der Ermordung von Menschen zu erobern. Es ist schwierig, die Opfer zu überzeugen, aber die Täter schaffen eine Gewissheit Raum, um ihre Reue zu lindern. Das wissen wir aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs“, betonte Dr. Derewenda.

„Heute stehen wir an der Schwelle zu einem bestimmten Prozess, der in der Ukraine in Gang gesetzt wurde. Es stellt sich jedoch die Frage, ob wir als Europa oder als Welt in der Lage sein werden, eine weitere Eskalation der Aktionen von Wladimir Putin zu stoppen, oder ob wir es zulassen werden, dass dieser Diktator weitermachen kann?“ fragte der Gelehrte.

Die zentralen Feierlichkeiten zum Gedenktag für die Opfer der deutschen NS-Konzentrationslager und Vernichtungslager begannen im Gefängnismuseum Pawiak in Warschau. Nach einem gemeinsamen Gebet legten die Teilnehmer Kränze am Warschauer Mausoleum der Opfer der Konzentrationslager auf dem Militärfriedhof Powązki nieder. An diesem Tag fanden in ganz Polen eine Reihe von Gedenkfeiern und besonderen Veranstaltungen stattfinden.

Der Direktor des Museums in Treblinka, Edward Kopówka, stellt fest, dass der Gedenktag für die Opfer der deutschen NS-Konzentrationslager eine Gelegenheit bietet, der Opfer der schrecklichsten Orte gemeinsam zu gedenken. Er betont: „Es ist eine Zeit der gemeinsamen Abrechnung mit den Gräueln von damals. An den Feierlichkeiten im Museum in Treblinka wird in diesem Jahr eine Gruppe deutscher Staatsbürger aus Sachsen-Anhalt teilnehmen. Wir werden gemeinsam einen Baum im Korczak-Wald pflanzen, um Janusz Korczak, seinen Mündeln und Mitarbeitern anlässlich seines 80. Todestages zu gedenken. Dies wird eine Zeit der Versöhnung, des Verständnisses und des gemeinsamen Aufrufs zum Frieden sein.“

„‚Nie wieder‘ ist das Motto des Museums in Treblinka. Es scheint, dass die moderne Welt diese Botschaft nicht gehört hat. Heute leben wir alle im Schatten eines andauernden Krieges. Wir sehen, dass es zu Zerstörung, Grausamkeit und menschlicher Tragödie führt. Das Fernsehen hält uns nun seit über hundert Tagen über die Geschehnisse in der Ukraine auf dem Laufenden. Wir können mit eigenen Augen sehen, was Krieg bedeutet. Krieg ist nicht nur Geschichte. Es stellt sich jedoch die Frage, warum sich diese Geschichte wiederholt hat? Warum hat dieser schreckliche Krieg so lange gedauert? Was kann getan werden, um ihn zu stoppen, damit Frieden herrschen kann?“, fragte der Direktor des Museums in Treblinka.

Der Polnische Gedenktag für die Opfer der deutschen NS-Konzentrations- und Vernichtungslager findet am 14. Juni anlässlich des ersten Massentransports von 728 Polen aus dem Gefängnis in Tarnów in das deutsche NS-Konzentrationslager Auschwitz statt. Seit 2006 wird das Jubiläum als Nationaler Gedenktag für die Opfer der NS-Konzentrationslager begangen. Im Jahr 2015 hat das polnische Parlament (Sejm) ihn im Einklang mit der historischen Wahrheit über die Art der Lager und die Täter der dort begangenen Verbrechen in Nationalen Gedenktag für die Opfer der deutschen NS-Konzentrationslager und Vernichtungslager umbenannt.


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