16. Juni 2022 in Spirituelles
Alles nimmt – so könnte man sagen – seinen Anfang beim Herzen Christi, der beim Letzten Abendmahl, am Vorabend seines Leidens - Benedikt XVI. zum Fest Fronleichnam
Rom (kath.net)
Das Hochfest des Leibes und Blutes Christi ist untrennbar mit dem Gründonnerstag, mit der Messe »in Caena Domini«, verbunden, in der die Einsetzung der Eucharistie gefeiert wird. Während am Abend des Gründonnerstags das Geheimnis Christi, der sich uns im gebrochenen Brot und im vergossenen Wein darbringt, wieder lebendig wird, wird eben dieses Geheimnis heute, am Fronleichnamsfest, zur Anbetung und Meditation des Gottesvolkes dargeboten, und das Allerheiligste Sakrament wird in Prozession durch die Straßen der Städte und Dörfer getragen, um zu bekunden, daß der auferstandene Christus mit uns auf dem Weg ist und uns zum Himmelreich führt. Was uns Jesus in der Vertraulichkeit des Abendmahlssaales geschenkt hat, bringen wir heute öffentlich zum Ausdruck, da die Liebe Christi nicht einigen wenigen vorbehalten, sondern für alle bestimmt ist. In der Abendmahlsmesse am vergangenen Gründonnerstag habe ich hervorgehoben, daß sich in der Eucharistie die Verwandlung der Gaben dieser Erde – Brot und Wein – vollzieht, mit dem Ziel, unser Leben zu verwandeln und so die Verwandlung der Welt zu eröffnen. Diesen Gedanken möchte ich heute abend wieder aufgreifen.
Alles nimmt – so könnte man sagen – seinen Anfang beim Herzen Christi, der beim Letzten Abendmahl, am Vorabend seines Leidens, Gott gedankt und ihn gepriesen hat und so durch die Macht seiner Liebe den Sinn des Todes, dem er entgegenging, verwandelt hat. Die Tatsache, daß das Altarsakrament den Namen »Eucharistie« – »Danksagung« – erhalten hat, bringt genau dies zum Ausdruck: Die Verwandlung der Substanz von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi ist Frucht der Selbsthingabe Christi, Geschenk einer Liebe, die stärker ist als der Tod, der göttlichen Liebe, die ihn von den Toten auferstehen ließ. Und deshalb ist die Eucharistie Speise des ewigen Lebens, Brot des Lebens. Aus dem Herzen Christi, aus seinem »eucharistischen Gebet« am Abend vor seinem Leiden und Sterben, entspringt jene dynamische Kraft, die die Wirklichkeit in allen ihren Dimensionen – kosmisch, menschlich und geschichtlich – verwandelt.
Alles geht von Gott, von der Allmacht seiner dreieinigen Liebe aus, die in Jesus Fleisch geworden ist. In diese Liebe wird das Herz Christi hineingenommen; darum kann er auch angesichts des Verrats und der Gewalt Gott danken und ihn preisen und verwandelt auf diese Weise die Dinge, die Menschen und die Welt. Diese Verwandlung ist möglich dank einer Verbundenheit, einer Communio die stärker ist als die Trennung, die Gemeinschaft Gottes selbst. Das Wort »Kommunion«, das wir auch zur Bezeichnung der Eucharistie gebrauchen, faßt in sich die vertikale und die horizontale Dimension der Hingabe Christi zusammen. Schön und vielsagend ist der Ausdruck »die Kommunion empfangen«, der sich auf den Akt des Essens des eucharistischen Brotes bezieht. Wenn wir diese Handlung vollziehen, treten wir tatsächlich mit dem Leben Jesu selbst in Gemeinschaft, in die Dynamik dieses Lebens ein, das sich uns und für uns hingibt. Von Gott durch Jesus bis zu uns: eine einzigartige Gemeinschaft, Communio, wird in der heiligen Eucharistie vermittelt. Das haben wir vorhin in der zweiten Lesung in den Worten des Apostels Paulus gehört, die er an die Christen von Korinth gerichtet hat: »Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Segen Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?« (1 Kor 10,16–17).
Der hl. Augustinus hilft uns, die Dynamik der eucharistischen Gemeinschaft zu verstehen, wenn er sich auf eine Art Vision bezieht, die er hatte und in der Jesus zu ihm sagte: »Ich bin die Speise der Starken. Wachse, und so wirst du mich haben. Du wirst nicht mich in dich verwandeln, als Speise des Leibes, sondern du wirst es sein, der in mich verwandelt werden wird« (Bekenntnisse VII,10,18). Während also die leibliche Speise von unserem Organismus aufgenommen wird und zu seiner Erhaltung beiträgt, handelt es sich im Fall der Eucharistie um ein anderes Brot: Nicht wir nehmen es in uns auf, sondern es nimmt uns [in sich] auf, so daß wir Jesus Christus gleichgestaltet, Glieder seines Leibes, eins mit ihm werden. Dieser Übergang ist entscheidend. In der Tat, da es eben Christus ist, der in der eucharistischen Kommunion uns in sich verwandelt, wird in dieser Begegnung unsere Individualität offen, befreit von ihrem Egozentrismus und in die Person Jesu eingebunden, die ihrerseits in die trinitarische Gemeinschaft eingesenkt ist. Während uns also die Eucharistie mit Christus verbindet, öffnet sie uns auch gegenüber den anderen, macht uns gegenseitig zu Gliedern: Wir sind nicht mehr getrennt, sondern eins in Ihm. Die eucharistische Gemeinschaft verbindet mich mit dem Menschen neben mir, auch mit einem, zu dem ich vielleicht kein gutes Verhältnis habe, aber auch mit den fernen Brüdern überall auf der Welt. Von hier, von der Eucharistie, geht also das tiefe Bewußtsein für die soziale Präsenz der Kirche aus, wie die großen Sozialheiligen bezeugen, die immer große eucharistische Menschen gewesen sind. Wer in der heiligen Hostie Jesus erkennt, der erkennt ihn im leidenden Bruder, der Hunger und Durst hat, der fremd, nackt, krank, im Gefängnis ist; und er achtet auf jeden Menschen, setzt sich konkret für alle ein, die in Not sind. Aus dem Geschenk der Liebe Christi erwächst daher unsere besondere Verantwortung als Christen beim Aufbau einer solidarischen, gerechten, brüderlichen Gesellschaft. Besonders in unserer Zeit, in der die Globalisierung uns immer abhängiger voneinander macht, kann und muß das Christentum bewirken, daß diese Einheit nicht ohne Gott, das heißt nicht ohne die wahre Liebe, errichtet wird; andernfalls würde sich das Chaos, der Individualismus, die Unterdrückung aller gegen alle ausbreiten. Das Evangelium zielt seit jeher auf die Einheit der Menschheitsfamilie ab, eine Einheit, die nicht von außen, weder von ideologischen noch wirtschaftlichen Interessen auferlegt wird, sondern vom gegenseitigen Verantwortungsgefühl, weil wir uns als Glieder ein und desselben Leibes, des Leibes Christi anerkennen, weil wir vom Altarsakrament gelernt haben und ständig lernen, daß das Teilen, die Liebe der Weg der wahren Gerechtigkeit ist.
Kehren wir nun zu der von Jesus beim Letzten Abendmahl vollzogenen Handlung zurück. Was ist in jenem Augenblick geschehen? Was geschah, als er sagte: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird, das ist mein Blut, vergossen für euch und für viele? Jesus nimmt in jener Geste das Geschehen von Golgota vorweg. Aus Liebe nimmt er die ganze Passion mit ihrem Verrat und ihrer Gewalt bis zum Tod am Kreuz auf sich; durch dieses Annehmen verwandelt er sie in einen Akt der Hingabe. Das ist die Umwandlung, die die Welt nötig hat, denn sie erlöst sie von innen heraus, öffnet sie für die Dimensionen des Himmelreiches. Aber diese Erneuerung der Welt will Gott immer durch denselben Weg verwirklichen, den Christus gegangen ist, durch jenen Weg, der er selbst ist. Im Christentum ist nichts Magisches am Werk. Es gibt keine schnellen Abkürzungen, sondern alles verläuft durch die bescheidene und geduldige Logik des Weizenkornes, das zerbricht, um das Leben zu schenken, durch die Logik des Glaubens, der mit der sanften Kraft Gottes Berge versetzt. Deshalb will Gott die Menschheit, die Geschichte und den Kosmos immer wieder erneuern durch diese Kette der Verwandlungen, deren Sakrament die Eucharistie darstellt. Durch das gesegnete Brot und den gesegneten Wein, in denen sein Leib und sein Blut tatsächlich gegenwärtig sind, verwandelt Christus uns, indem er uns in sich aufnimmt: Er bezieht uns in sein Erlösungswerk ein, indem er uns durch die Gnade des Heiligen Geistes dazu fähig macht, nach seiner eigenen Logik des Schenkens zu leben, wie Weizenkörner, die in ihm und mit ihm vereint sind. So werden in die Ackerfurchen der Geschichte die Einheit und der Friede ausgesät und zur Reife gebracht, die nach Gottes Plan das Ziel sind, nach dem wir streben. Ohne Illusionen, ohne ideologische Utopien gehen wir durch die Straßen der Welt, während wir in uns den Leib des Herrn tragen, wie die Jungfrau Maria im Geheimnis der Heimsuchung.
Mit der Bescheidenheit des Bewußtseins, einfache Weizenkörner zu sein, hüten wir die feste Gewißheit, daß die Fleisch gewordene Liebe Gottes größer ist als das Böse, die Gewalt und der Tod. Wir wissen, daß Gott für alle Menschen einen neuen Himmel und eine neue Erde vorbereitet, in denen Friede und Gerechtigkeit herrschen, und im Glauben erblicken wir bereits die neue Welt, die unsere wahre Heimat ist. Auch heute abend, während die Sonne über unserer geliebten Stadt Rom untergeht, machen wir uns auf den Weg: Mit uns ist der Eucharistische Jesus, der Auferstandene, der gesagt hat: »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Danke, Herr Jesus! Danke für deine Treue, die unsere Hoffnung unterstützt. Bleibe bei uns, denn es wird Abend. »Guter Hirt, du wahre Speise, / Jesus, gnädig dich erweise! Nähre uns auf deinen Auen, / lass uns deine Wonnen schauen / in des Lebens ewigem Reich!« Amen.
(Predigt Hl. Messe am Hochfest des Leibes und Blutes Christi, 23. Juni 2011)
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