26. Juni 2022 in Chronik
Kirche jenseits von Strukturdebatten - Tagung in Regensburg zu I.F. Görres (1901-1971) mit Bischof Voderholzer und Prof. Gerl-Falkovitz
Regensburg (kath.net/pbr) „Wir lassen uns an diesem Morgen von den Worten von Ida Friederike Görres beschenken.“ Das sagte Bischof Rudolf Voderholzer am vergangenen Samstag beim Gebetsgedenken an Ida Friederike Görres. Der Bischof leitete das Gebetsgedenken, das im Zuge der Tagung des Akademischen Forums Albertus Magnus in der Kapelle des Diözesanzentrums Obermünster Regensburg abgehalten wurde. „Glut und Schmerz des Glaubens“ war der Titel der Tagung, Thema war die außergewöhnliche Schriftstellerin Ida Friederike Görres, die vor über 50 Jahren, am 15. Mai 1971, verstorben war. Das Akademische Forum Albertus Magnus erinnerte mit der Veranstaltung an die außergewöhnliche Frau. Um sie in all ihren Facetten kennenzulernen, gab es Vorträge von Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Fr. Meinrad Hötzel OSB, Prof. Dr. Michael Stahl, Dr. Gudrun Trausmuth, Dr. Jennifer S. Bryson, Prof. Dr. Sigmund Bonk und Prof. Dr. Veit Neumann. Die Tagung war eine Kooperation mit dem Institut EuPHRat der Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz. Die Leitung lag bei Prof. Dr. Dr. h.c. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und Prof. Dr. Sigmund Bonk, dem Direktor des Akademischen Forums.
Wahres Multitalent
Bischof Voderholzer und die anderen Teilnehmer dieser Tagung erfuhren, dass Ida Friederike Görres nicht nur eine engagierte Laientheologin und wortgewandte Schriftstellerin war, sondern auch eine feinfühlige Lyrikerin und Malerin. Einige ihrer eigenen Bilder konnten Bischof Rudolf und die anderen Interessierten sogar an Ort und Stelle betrachten. Görres‘ Leben und Denken, ihr Kirchenbild, ihre Sicht auf das Verhältnis von Kirche und Welt, ihr Verständnis des religiösen Daseins und Alltags, aber auch ihre originalen Schriften über große Heilige wie Therese von Lisieux oder Franz von Assisi, ihr bemerkenswerter Umgang mit der Sprache, vor allem im Rahmen ihres Briefwechsels mit dem Benediktinerpater Paulus Gordan aus Beuron, und die Besonderheiten in englischsprachigen Übersetzungen ihrer Werke waren nur einige der Punkte der vielfältigen Schriftstellerin. I.F. Görres hatte die Kirche bei den Englischen Fräulein in St. Pölten in ihrer mütterlichen und bergenden Form kennengelernt. Gegenüber „Aufbrüchen“ besonders im Nachgang zum Zweiten Vatikanischen Konzil bzw. während diverser Debatten, die sich auf Strukturfragen kaprizierten, war I.F. Görres sehr skeptisch eingestellt. Anliegen war ihr vielmehr der geistliche Kern der Kirche (im Sinne von Bekehrung), der Zukunft verspricht.
Ereignisreiches Leben
Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, maßgebliche Spezialistin für Leben und Werk der Ida F. Görres, ging bei ihrem Vortrag „Zwischen den Kulturen: Ein angefochtenes Leben“ besonders auf deren Herkunft ein. Sie wurde am 2. Dezember 1901 als sechstes Kind des Reichsgrafen und österreichischen Diplomaten Heinrich von Coudenhove und der Japanerin Mitsuko Aoyama in Böhmen geboren. Die elterliche Beziehung war problematisch, was sich dann in einer schwierigen Beziehung zur Mutter niederschlug. „Ida war eigentlich bis zum Schluss ihres Lebens durch diese doppelte Abstammung herausgefordert.“ Ida Friederike besuchte zwei österreichische Klosterschulen, bei den Sacré Cœur-Schwestern in Wien und bei den Englischen Fräulein in St. Pölten, wo sie einige Monate lang Novizin war. Dann studierte sie zunächst Staatswissenschaften in Wien, Sozialwissenschaften in der Sozialen Frauenschule in Freiburg im Breisgau, sodann einige Semester Geschichte, Kirchengeschichte, Theologie und Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie engagierte sich in der katholischen Jugendbewegung, anfangs im Bund Neudeutschland, dann im von Romano Guardini geprägten Quickborn. Dort entstanden ihre ersten Publikationen. Nach mehreren Jahren als Diözesansekretärin für die weibliche Jugendpflege des Bistums Dresden-Meißen heiratete sie 1935 in Leipzig den Ingenieur Carl-Josef Görres. Ida Friederike verfasste eine Reihe von Büchern über religiöse Themen. Sie ist bedeutend für die Entwicklung der Hagiographie.
Besonders ihr 1946 erschienener „Brief über die Kirche“ in den neugegründeten Frankfurter Heften zog große Aufmerksamkeit auf sich. Prof. Dr. Michael Stahl, dessen Gedanken während der Tagung vorgetragen wurden, erläuterte in dem Beitrag „…zur Zeit sehr angefochten von der Knechtschaft der Kirche…“ die sehr kontroversen Reaktionen auf diesen Brief. „Görres kritisierte Missstände aus einem tiefen Glauben aus der Kirche heraus, was viele als eine Art Nestbeschmutzung empfanden.“ Ab 1950 litt sie unter schweren Lähmungen, welche ihre Arbeit stark erschwerten. 1970 wurde sie, wohl auf Wunsch von Bischof Hermann Volk, zur Würzburger Synode berufen. Dort brach sie im Mai 1971 unmittelbar nach ihrer Stellungnahme zur Vorlage „Gottesdienst und Sakrament“ zusammen. Tags darauf, am 15. Mai, starb sie im Frankfurter Krankenhaus der Dernbacher Schwestern. Das Requiem wurde im Freiburger Münster gehalten. Joseph Ratzinger sprach am 19. Mai 1971 im Freiburger Münster die Gedenkworte zu ihrem überraschenden Tod.
Seltene Leidenschaft und gleichzeitige Klarheit
„Hellwach und mit bloßer Leidenschaft, dabei alles andere als kritiklos und brav, hat sie die Kirche nicht nur betrachtet, sondern existenziell gelebt und miterlebt.“ Mit diesen Worten beschreibt Prof. Dr. Sigmund Bonk, Direktor des Akademischen Forums Albertus Magnus, das Wirken von Ida F. Görres. Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz sieht ihr kirchliches Wirken ebenso bahnbrechend: „Ida Görres hat mit seltener Leidenschaft und gleichzeitiger Klarsicht ihre Liebe zur Kirche gelebt, sie hat sie durchdacht und durchlitten.“ Sie bedarf hierzulande noch einer weitergehenden Aufmerksamkeit. Zu hoffen ist, dass es auch durch das Wirken von Dr. Jennifer S. Bryson, die Werke von Ida F. Görres ins Englische übersetzt, zu einer Renaissance dieser außergewöhnlichen Frau des 20. Jahrhunderts kommt.
Archivfoto Görres (c) Bistum Regensburg
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