1. Juli 2022 in Kommentar
Während Deutschland im Tief der Austrittszahlen versinkt, feiern Familien aus aller Welt in Rom den Glauben voller Freude und Dankbarkeit - BeneDicta am Freitag von Dorothea Schmidt
Regensburg (kath.net)
Bei der aktuellen Kirchenstatistik geht es richtig zur Sache. Man sucht nach Ursachen der Kirchenaustritte. Die einen sehen im Synodalen Weg den Schwarzen Peter, andere die Rettung. Manche halten der Kirche mangelnden Reformwillen vor, wieder andere sprechen von der Krise als sichtbar gewordene Entfremdung der Menschen von Glauben und Kirche. Und das ist sicher der tiefer liegende Aspekt, der näherer Betrachtung bedarf. Denn wo Menschen sich Gott zuwenden und sich der Herausforderung des katholischen Glaubens stellen beziehungsweise Gottes Gegenwart sogar als einen Rettungsanker in Krisenzeiten erleben — wie zuletzt beim Weltfamilientreffen in Rom letzte Woche deutlich geworden ist —, kann man dieser Frage nicht länger ausweichen.
Zumal die Kirche geradezu zum Synonym für Missbrauch geworden ist und viele ihren eigentlichen Auftrag, ihre Identität, aus dem Blick verloren haben. Dies ist leider auch ein wenig hausgemacht: Wenn die Kirche statt eines Gutachtens für alle 27 Bistümer immer wieder Missbrauchsgutachten pro Bistum veröffentlicht und den Gläubigen somit ständig aufs Brot schmiert, dass Missbrauch eine Realität in unserer Kirche ist, eine noch viel schlimmere sogar als in der MHG-Studie vermutet, dann muss es nicht wundern, wenn Menschen der Kirche überdrüssig werden. Das ist Selbstdemontage nach der Salamitaktik.
Angesichts der aktuellen Austrittszahlen und der auffälligen Glaubenserosion wäre es neben einer klugen Missbrauchsaufarbeitung sinnvoll, Erfahrungen aus der Weltkirche in die Betrachtungen und Analysen heranzuziehen. Die Kirche müsste sich klarmachen, was der Auftrag der Kirche eigentlich ist und evaluieren, wo der Glaube blüht — und warum. Hier war das X. Weltfamilientreffen in Rom eine bedeutender Wegweiser. Das Treffen hat gezeigt, dass es nicht nur möglich, sondern geradezu befreiend, hilfreich, erfüllend und vor allem auch ansteckend ist, Gottes Botschaft von Glaube, Liebe, Hoffnung in die Welt zu tragen und Zeugen zu sein, sich von ihm verwandeln und entzünden zu lassen und im hoffnungsmachenden Licht Gottes zu gehen.
Auf dem Weltfamilientreffen drehte sich niemand um sich und seine Ideen für eine neue Kirche, in der man das Gewissen mit der eigenen oder der Mehrheitsmeinung gleichsetzt und moralische Fragen auf der Basis von wechselnden Meinungen diskutiert. Sondern da zeigte sich Kirche in ihrer ganzen Pracht, als eine Kirche, in der Leid in Aufbauarbeit umgewandelt wird durch die Kraft der Vergebung, durch Liebe und Geschwisterlichkeit, eine lebendige Gottesbeziehung, Hingabe und Treue zur 2000 jährigen Überlieferung: Blinde sehen wieder, Drogenabhängige werden rein, Ausgestoßene finden Heimat und Freundschaft. Kinder lernen von christlichen Vorbildern, Menschen verzeihen Mördern, finden kreative Wege, die Botschaft Jesu zu verkünden, Menschen zu Gott und Paare zueinander finden zu helfen und in Heiligen eine Inspirationsquelle für den Weg ins himmlische Vaterhaus zu sehen.
Das Weltfamilientreffen war eine einzige Ermutigung, ein Treffen von Menschen, die in Gott verbunden sind und die Freude am Herrn weitergeben, sich den am Rande der Gesellschaft Stehenden zuwenden und die verwandelnde Kraft Jesu für andere sichtbar werden lassen. Die Tochter eines Ehepaares, das entschieden begonnen hat, seinen Weg mit Gott zu gehen, sagte: „Ihr habt euch verändert, ihr wirkt viel verliebter.“
Die Lehre der Kirche über christliche Ehe und Familie ist keine Einengung. Sie ist kein unrealistisches Etwas, auch nicht absurd, wie sie viele wahrnehmen und wie sie in der Gesellschaft und leider auch der Kirche oft dargestellt wird.
Die Wahrheit ist: Die Familie ist nicht nur gangbarer Weg in ein liebevolles, glückliches und erfülltes Leben, sondern auch die Tür zu Christus für andere Menschen. Das ist in Rom sehr deutlich geworden. Familien interessieren sich nicht für die Frauenweihe oder eine neue kirchliche Lehre. Sie empfinden die Lehre und Gottes Gegenwart vielmehr als Hilfe, schwierige Situationen im Leben zu überwinden und zu bewältigen. Sie dürsten aber nach besseren Ehevorbereitungen und einer guten Begleitung von Paaren und Familien.
In einem Interview mit der Tagespost stellte der Berliner Erzbischof Heiner Koch fest, dass die sakramentale Ehe nach deutscher Auffassung nicht andere Lebensformen diskriminieren dürfe. „Die Frage, die die Menschen bei dem Weltfamilientreffen bewegte, war aber eher: Wie kann die Sakramentalität der Ehe, ihre Einzigartigkeit und das Glück, das sie mit sich bringt, gestützt, geschützt und zur Entfaltung gebracht werden?“ Koch ist Vorsitzender der Kommission für Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz und als solcher mit einer 24-köpfigen Delegation zum Weltfamilientreffen nach Rom gereist.
Auch ihm ist es nicht entgangen, dass sich auf dem Weltfamilientreffen keine perfekten Familien präsentiert haben. Es waren Menschen, die auch (Ehe-)Krisen, Verlust durch Tod, Krankheit, Trennungen mitgemacht haben, in Gott und der kirchlichen Lehre aber trotzdem eine fundamentale Stütze sehen und darin Freude und Erfüllung finden. Oder wie sonst schafft es ein Paar, dem Mörder seiner Kinder zu vergeben und damit Außenstehende mit Gott in Verbindung zu bringen? Die christliche Familie entspricht dem Menschen zutiefst und ist ihrem Wesen nach missionarisch.
Darum müsste auch die christliche Lehre zu Ehe und Familie mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die Kirche müsste Familien helfen, ihre Berufung als Familie zu entdecken. Wir brauchen neue und fruchtbare Wege, die Beziehungen heilen helfen, Familien als Stützpunkte wahrnehmen und diese wieder leuchten lassen. Auch das ist Missbrauchsprävention! Das sind die Reformen, nach der die Kirche dürstet. Alle, die in der Verkündigung arbeiten, inklusive Priester und Bischöfe, müssten ein neues positives Bewusstsein für Bedeutung von Ehe und Familie entwickeln. Dass dabei echte unverfälschte Katechesen und das persönliche Zeugnis als Ermutigung fundamental wichtig sind, hat das Weltfamilientreffen auf eindrucksvolle Weise gezeigt.
Die Familie ist ein Ort, an dem Laien und Geistliche einander bereichern und voneinander lernen können. Familien sind die Zukunft der Kirche. Hier darf und muss die Kirche investieren. Das leuchtete auch Erzbischof Koch ein: „Die Ehe ist vitalisierend für Beziehung und Familie und bedeutet daher auch eine vitale Kraft für Kirche und Gesellschaft. Das ist ein Impuls, den wir mit nach Deutschland nehmen müssen.“
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