11. Juli 2022 in Kommentar
Bischof Glettler lehnt „euphorische Kundgebungen“ über das US-Höchstgerichtsurteil ab und zeigt sich an der Strafbarkeit von Abtreibungen „keinesfalls interessiert“. Er hinterlässt damit Verwirrung - Ein Kommentar von Michael Koder
Innsbruck (kath.net/KAP/mk) Die katholische Kirche sei beim Thema Schwangerschaftsabbruch „keinesfalls an der Strafbarkeit interessiert“. Diese krude Aussage stammt ausgerechnet vom österreichischen „Familienbischof“ Hermann Glettler in seiner Stellungnahme zum Urteil der US-Höchstrichter, mit dem „Roe vs. Wade“ als Fehlentscheidung aufgehoben und die Abtreibungsregulierung in die Hände des Gesetzgebers zurückgegeben wurde. Der Nachsatz des Bischofs „sondern daran, dass Menschen Ja zum Leben sagen“ mag für sich genommen richtig und unterstützenswert sein, ändert aber nichts an der vorangehenden Entgleisung. Glettler widerspricht sich in seinem Interview selbst, wenn er unterstreicht, dass die mögliche Abtreibung behinderter Kinder bis zur Geburt „diskriminierend“ sei und es darüber hinaus kein „Recht auf Abtreibung“ gebe und daher kein Staat verpflichtet werden könne, Abtreibungen zu „legalisieren“. Denn was heißt die „Nicht-Legalisierung“ denn anderes, als dass solche Vorgänge eben mit Strafe bewehrt sind. Von jeher ist die Regulierung von Abtreibungen im staatlichen Strafrecht verankert, dem stärksten Instrument der Gemeinschaft, um konkrete Taten ihrer Mitglieder zu missbilligen. Und die Platzierung dort ist auch sinnvoll, denn schließlich geht es um ein menschliches Leben, das zu schützen ist.
Wenn Glettler sich von einer Strafbarkeit so deutlich distanziert („keinesfalls interessiert“), will er also – wie die deutsche Ampel-Regierung – die Abtreibung überhaupt aus dem Strafgesetzbuch entfernen? Wenn der Innsbrucker Oberhirte dann noch erklärt, „euphorische Kundgebungen“ angesichts des Urteils (wie sie von Amerikas Lebensschützern abgehalten wurden und auch von vielen US-Bischöfen zu lesen waren) seien nicht angemessen, fragt man sich doch, wie Glettler einem Fehlurteil, unter dessen Regime schätzungsweise 60 Millionen Ungeborene abgetrieben wurden, etwas abgewinnen kann. Selbst sagt er, die neue Entscheidung habe Klarheit über die Zuständigkeit für die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen geschaffen. Warum soll man sich über diese neue Klarheit nicht freuen dürfen?
Während der Familienbischof alte Forderungen wie mehr Hilfe für Frauen in Konfliktschwangerschaften und die Einführung einer Statistik sowie einer Bedenkzeit zwischen Beratung und Abtreibung zu Recht bekräftigt, bleibt er in der Sanktionsfrage in leider bekannter Art unkonkret. Wenn er über Frauen, die abgetrieben haben, nicht urteilen will, lässt Glettler offen, ob er damit nur die Verurteilung der Person ächtet oder auch die Bewertung der Abtreibung als (objektiv) schwere Sünde. Er erweckt mit seinem Interview insgesamt den Eindruck, eine geschehene Abtreibung sei zwar schade, aber nichts Falsches, und vernachlässigt damit die Perspektive des ungeborenen Kindes, das ja gar nicht zugestimmt hat. Ein Kuschelkurs mit den Medien zwischen Herumlavieren und Entschuldigen manövriert die Kirche bei solchen brisanten gesellschaftspolitischen Themen, die eigentlich zu ihrem Kerngebiet gehören, in ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, auf allen Seiten, denn niemand weiß mehr, wofür die Kirche nun eigentlich steht. Herr Familienbischof, bitte mehr Klarheit!
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