13. Juli 2022 in Kommentar
„Der Bruch des deutsch-synodalen Sonderwegs mit dem synodalen Prozess in der Weltkirche unter dem Lehr- und Leitungsamt der Bischöfe.“ Gastkommentar von Hubert Hecker
Bonn-Frankfurt (kath.net) Der theologische „Orientierungstext“/ OT, der auf der dritten Synodalversammlung Anfang Februar 2022 verabschiedet worden ist, enthält einen Bruch mit der klassischen theologischen Grundlagenlehre:
Bisher war die göttliche Offenbarung in Schrift und Überlieferung / Tradition die einzige Quelle unserer kirchlichen Glaubenslehre. Neuerdings will uns der Synodale Weg Glauben machen, dass auch die ‚Zeichen der Zeit‘ Quellen göttlicher Selbstmitteilung wären. In Zeitgeist und Zeitströmungen – wie etwa Homosexualität – würde Gott seinen Willen kundtun.
Mit dieser angeblich zeitgeschichtlichen und für unsere Zeit aktuellen Offenbarung wird das unüberbietbare biblische Gotteswort in die zweite Reihe gerückt, wenn nicht gänzlich marginalisiert.
Kardinal Walter Kasper hat kürzlich in einem Beitrag auf der Seite „Neuer Anfang“ die Gleichstellung von genuin theologischen Glaubensquellen (wie Schrift und Tradition) mit menschlich-historischen Erkenntnisquellen (wie Vernunft, Geschichte oder eben ‚Zeichen der Zeit‘) als „völlig verkehrt“ eingestuft:
„Eine solche Gleichstellung bedeutet eine tektonische Verschiebung in den Grundfesten der Theologie, die dann notwendig zu einem kirchlichen Erdbeben führen muss“.
Der Bonner Priester und Dogmatiker Karl-Heinz Menke spricht von der „Anmaßung“ der deutschen Synodal-Theologen, mit dem Orientierungstext eine „Revision der theologischen Erkenntnislehre“ einführen zu wollen.
I. Neben den Zeichen der Zeit meinen die Synodaltheologen in dem gemeinsamen ‚Glaubenssinn aller Gläubigen‘ eine weitere neue Offenbarungsquelle sehen zu können: Es ereigne sich „im Glaubenssinn der Gläubigen immer wieder neu eine Selbstmitteilung Gottes“ (45/OT).
Was steckt hinter dieser Neu-Lehre?
Es zeigt sich in den weiteren Textpassagen, dass die offenbarungstheologische Überhöhung von Gläubigen und Glaubenssinn gegen das Lehr- und Leitungsamt der Bischöfe in Stellung gebracht wird.
In der einschlägigen Stelle im Kap. 46 des Orientierungstextes heißt es mit Bezug auf Konzilstexte: Der Glaubenssinn wurzele im gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen, das „grundsätzlich zur aktiven Teilhabe am dreifachen Amt Christi befähigt, dem Amt des Leitens, dem Amt des Heiligens und dem Amt des Lehrens“. Doch in den angegebenen Konzilskapiteln 12 und 36 von Lumen Gentium/LG steht nichts davon. Dagegen heißt es in LG 21 unmissverständlich, dass das dreifache Amt der Heiligung, Lehre und Leitung nur durch die Bischofsweihe übertragen und in der hierarchischen Gemeinschaft ausgeübt wird. Das Konzil bestimmt in LG 37, dass die Laien das „in christlichem Gehorsam bereitwillig aufnehmen, was die geweihten Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer und Leiter in der Kirche festsetzen“. Offensichtlich soll die Falschdarstellung von der Teilhabe der Laien am dreifachen Amt des sakramentalen Priestertums das Bestreben des Synodalen Wegs begründen, dass die Laien-Gläubigen durch „Partizipation und Gewaltenteilung“ an Amt und „Macht“ von Bischof und Priester „teilhaben“ sollen, was der programmatische Ansatz im Forum I ist.
Weiter heißt es im Kap. 44 des Orientierungstextes: Das Volk Gottes könne aufgrund des gemeinsamen Priestertums und mittels des übernatürlichen Glaubenssinns nicht fehlgehen unter der Voraussetzung, dass alle Glieder des Gottesvolkes „von den Bischöfen bis zum den letzten gläubigen Laien ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußern“. Die zitierte Konzilsaussage scheint die Form der deutschen Synodalversammlung zu rechtfertigen und ihr eine Lehrautorität zu bescheinigen, sofern sie die Repräsentanz aller deutschen Katholiken beansprucht. Doch auch in diesem Fall wird eine wichtige Spezifizierung der Aussage im folgenden Satz unterschlagen:
Das Gottesvolk empfängt „unter der Leitung des heiligen Lehramtes und in dessen treuer Gefolgschaft“ das Wort Gottes und hält am Glauben und Glaubenssinn unverlierbar fest (LG 12). Die ähnliche Aussage zum Priestertum in LG 10 lautet: „Der Amtspriester bildet (…) das priesterliche Volk heran und leitet es.“ Die Internationale Theologenkommission bestätigt die Aufsicht des Lehramts sowie dessen Beurteilungspflicht zur Echtheit des sensus fidelium. Unter dem Gesichtspunkt dieser Lehraussagen ist das Frankfurter Synodal-Parlament, in dem die mit Lehr- und Leitungsamt ausgestatteten Bischöfe auf den Status laienhafter Diskutanten degradiert werden, keine kirchliche Veranstaltung, die Konzilsbegründung und Lehrautorität beanspruchen kann.
Bischof Bätzing schreibt in seinem Antwortbrief an die Nordische Bischofskonferenz, dass „die Überlegungen des Synodalen Wegs in guter kirchlicher Tradition und in enger Anbindung an die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzil“ entwickelt werden. Doch bei der oben aufgezeigten Falschdarstellung ist eine ‚enge Anbindung an Konzilsaussagen‘ nur vorgetäuscht. Das gezielte Auslassen von zentralen Weisungen des Konzilstextes entspricht nicht ‚guter kirchlicher Tradition‘, sondern zeugt von unredlicher Täuschungsabsicht.
Der „Glaubenssinn aller Gläubigen“ sei in der „Wahrheit des Gewissens“ in jedem einzelnen Gläubigen versammelt, heißt es weiter. Gerade wenn es zu einem Dissens zwischen dem Lehramt und Teilen des Volkes Gottes komme, sollte sich das Lehramt vom „Spürsinn“ des Glaubenssinns „aller Getauften und Gefirmten“ anleiten lassen.
II. Gegenüber der von deutsch-synodalen Theologen behaupteten Verankerung der Gewissenswahrheit und des sensus fidelium bei allen Gläubigen beharrt das kirchliche Lehramt auf voraussetzenden Dispositionen wie Teilnahme am kirchlichen Leben, Hörbereitschaft zur Schrift und dem Lehramt sowie Bemühen um Erbauung der Kirche (sentire cum ecclesia). Wenn aber wegen fehlender Katechese seit 50 Jahren das Glaubenswissen der meisten Katholiken gegen Null geht und die Mehrheit der Getauften und Gefirmten sowie ein Teil des Klerus nicht mehr an die Gottessohnschaft Jesu Christi, seine leiblich-verklärte Auferstehung und die eucharistische Realpräsenz glauben, kann bei den Gläubigen von der Wahrheit des Gewissens und einem daraus erwachsenen christlichen Glaubenssinn nicht mehr verantwortlich gesprochen werden.
Angesichts der Implosion des kirchlichen Glaubens, die für die Austrittsbereitschaft von ca. sieben Millionen Katholiken verantwortlich ist, wäre eine Offensive zur Evangelisation notwendig, die Papst Franziskus in seinem Brief von 2019 an die Synodalen und Katholiken geforderte hatte. Aber das Synodalpräsidium wollte es besser wissen mit seinem Primat von Strukturreformen. In diesem Schreiben sprach Franziskus auch vom ‚sensus ecclesiae‘, der passenderen theologischen Kategorie im Glaubenszusammenhang. Denn der ‚gemeinsame Glaubenssinn der Kirche‘ stellt den „sicheren Maßstab dar, um zu erkennen, ob eine besondere Lehre oder Praxis in Übereinstimmung mit der katholischen Tradition steht“ (Lexikon für Theologie und Kirche). Wenn etwa im Vorfeld der Familiensynode angeblich 90 Prozent der befragten Katholiken die katholische Ehe- und Sexualmoral ablehnten, zeigt das, wie weit sich die (Taufschein-)Katholiken vom Glaubenssinn der Kirche entfernt haben.
So wie in dem Orientierungstext der Glaubenssinn der Gläubigen begründet, dargestellt und überhöht wird, ist er als BRUCH mit der kirchlichen Lehre formuliert.
Abbau des ordentlichen Lehramts von Papst und Bischöfen
III. In den letzten zwanzig Kapiteln des Orientierungstextes arbeiten sich die Theologen des Synodalen Wegs am Verhältnis zwischen kirchlichem Lehramt und Theologie ab. Zunächst wird das (universale) Lehramt der Kirche in seiner Bedeutung eingeschränkt und neudefiniert:
- In der Konzilskonstitution Dei verbi heißt es: „Die Aufgabe, das geschriebene und überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut.“ Neuerdings soll das Lehramt in gleicher Weise wie an die Schrift auch an den Glaubenssinn der Gläubigen und die Zeichen der Zeit „gebunden“ sein (Kap.50/OT).
- Das ordentliche Lehramt könne irren, wenn es nicht den Glaubenskonsens aller Gläubigen ausdrückt (58/OT) – aktuell bei dem großen Dissens mit der Kirche in Deutschland (57/OT).
- Auch die „Geschichtlichkeit und Zeitbedingtheit“ aller Lehramtsäußerungen seien als relativierende Momente zu beachten (59/OT).
- Sowohl die Worte der hl. Schrift als auch die Dogmen der Kirche seien nicht eindeutig. Die eine Wahrheit könne nur „in Vielfalt und bleibender Vieldeutigkeit zur Sprache“ gebracht werden (60/OT).
- Daher komme dem Lehramt „in Bewahrung der Einheit die Aufgabe zu, jene legitime Vielfalt des Glaubens und der Lehre zu ermöglichen und zu schützen“, auch indem es theologische Streitfragen unterhalb von Konzilsentscheidungen der Theologie überließe (55/OT).
Der Synodaltext relativiert in mehrfacher Weise das bischöflich-päpstliche ordentliche Lehramt in seiner Verbindlichkeit, Eindeutigkeit und Reichweite. Besonders gravierend ist die substantielle Veränderung, dass die einheitliche und eindeutige Lehre der Kirche in eine protestantische Vielfalt und Vieldeutigkeit verunklart werden soll.
Die Abkehr des deutsch-synodalen Wegs vom apostolischen Lehramt ist offensichtlich ein BRUCH mit der konziliaren Kirchenlehre.
IV. In der synodalen Neu-Kirche als „weltumspannende Dialoggemeinschaft aller Getauften und Gefirmten“ (49/OT) sind die Bischöfe nur noch „wichtige Teilnehmer am Gespräch“, die sich am Glaubenssinn der Gläubigen orientieren sollen (3/OT. Aber „alle“ Dialogpartner hätten „mitzuentscheiden“ in kirchlich-theologischen Fragen, was seit apostolischen Zeiten bis heute allein dem bischöflichen Lehramt anvertraut ist. Nunmehr sollen die Bischöfe ihr Leitungsamt aufgeben und auf die Rolle von Moderatoren und „Brückenbauer“ herabgestuft werden (49/OT) – und auch das nur bei wenigen Prälaten: Auf dem Synodalen Weg sind fünf Bischöfe Co-Moderatoren in den Foren und auf der Vollversammlung. 19 Bischöfe hat das Präsidium ausgewählt als bevorzugte Forums-Dialogpartner. Die anderen vierzig Prälaten dürfen in der Vollversammlung wie jeder andere Laien-Synodale ihre Stimme und zweiminütige Redebeiträge abgeben.
Christus hat die Apostel, und damit die bischöflichen Nachfolger, mit der Leitung und Lehraufsicht seiner Kirche beauftragt (LG 20/21) – und nicht ein gemischtes Doppel als präsidiale Co-Moderatoren/innen auf den (synodalen) Weg geschickt.
Die deutschen beamteten Synodaltheologen spielen sich als Kontrolleure des Lehramts auf.
V. Der Abbau des bischöflichen Lehramtes zu einer einheitssymbolischen Instanz ohne substanzielle Aufgaben hat den Zweck, die Bedeutung und Funktion der „wissenschaftlichen Theologie“ als das „spezifische Lehramt“ (56/OT) ins Zentrum der Kirche zu rücken – ebenfalls ein BRUCH mit der bisherigen kirchlichen Auffassung.
Die Theologenautoren des Orientierungstextes sprechen der deutschen verbeamteten Theologenschaft im Staats- oder Kirchendienst folgende Aufgabe zu:
- Im „Lichte wissenschaftlicher Erkenntnisse und Reflexionen“ bisherige Lehrpositionen zu überprüfen und notwendige Veränderung der Lehre einzuleiten (59/OT);
- den einen Glauben an Gott auf „plurale Weise“ darzustellen mit der Frucht „reicher Pluralität“ (59/OT);
- die beträchtliche Anzahl „nicht mehr nachvollziehbarer Lehrpositionen“ einer konstruktiven Kritik zu unterziehen (57 und 58/OT);
- mit „anderen Wissenschaften gemeinsam nach der Wahrheit zu suchen“ (59 und 62/OT);
- die Vorgaben der kirchlichen Lehre durch die Theologie kritisch zu untersuchen (58/OT);
- mit der Stützung auf den Glaubenssinn und die Deutung der Zeitzeichen neue Impulse für die Aktualisierung von Glauben, Verkündigung und kirchlichen Strukturänderungen zu geben.
Der Synodale Weg führt zu einem BRUCH mit Schrift, Tradition und Lehramt
VI. Zu der Analyse des Orientierungstextes ist als Resümee festzuhalten:
Neben und über das ordentliche bischöfliche Lehramt, das auf der Basis von Schrift und Tradition die kirchlichen Glaubensinhalte authentisch und verbindlich auslegt und verkündet, bringen die Autoren des Orientierungstextes die wissenschaftliche Theologie als spezifisches Lehramt und kritisches Kontrollorgan in Stellung. Die besondere Kompetenz der Theologie bestehe darin, im Glaubenssinn der Gläubigen sowie in den Zeichen der Zeit immer wieder neu die angeblich aktuelle Selbstmitteilung Gottes entdecken zu können.
Strukturell ausgedrückt lautet das Ergebnis:
Gegenüber der bibel- und traditionsbasierten Hierarchie soll die an Demokratie und gesellschaftlicher Aktualität orientierte Interpretationsmacht der akademischen Theologie positioniert werden als wissenschaftsorientierte Kontrollinstanz - auch im Sinne einer kirchlichen Macht- und Gewaltenteilung.
Der Synodenteilnehmer Pfarrer Michael Berentzen stellte auf der Vollversammlung Anfang Februar 2022 klar: Hier gehe es um mehr als eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre und Strukturen. „Hier geht es um einen Bruch!“ Das berichtete Regina Einig in der Tagespost vom 10. Februar 2022.
Damit ist aufgedeckt, was das Synodalpräsidium stets zu kaschieren und zu vertuschen versucht:
- Der Bruch des deutsch-synodalen Sonderwegs mit dem synodalen Prozess in der Weltkirche unter dem Lehr- und Leitungsamt der Bischöfe;
- der Bruch der strukturändernden Kirche in Deutschland gegenüber dem päpstlich-kirchlichen Erneuerungsprozess durch Evangelisierung;
- der Bruch, dass akademische Theologie und humanwissenschaftliche Erkenntnisse die biblische und lehramtliche Glaubens- und Weltdeutung dominieren sollen;
- der Bruch, dass der Mensch Jesus als Zeichengeber für die Nähe Gottes an die Stelle des Erlösers als wahrer Gott und wahrer Mensch gestellt wird;
- der Bruch mit der „apostolischen Kirche“, wenn die Bischöfe als Nachfolger der Apostel durch den Synodalen Weg aus ihrem Lehr- und Leitungsamt verdrängt und zu synodalen Moderatoren degradiert werden.
Anmaßende teutonische Nachhilfe für das weltkirchliche Lehramt
Mit dem Orientierungstext gibt das deutsche Synodalpräsidium auch ein Signal an den Vatikan für theologischen Nachhilfeunterricht: Man würde mit der theologischen Argumentation dem weltkirchlichen „Lehramt helfen, bisherige Äußerungen im Licht wissenschaftlicher Erkenntnisse und Reflexionen zu überprüfen und über eine mögliche Veränderung der Positionen nachzudenken.“
Beim nächsten Vatikan-Besuch stände dann von Seiten der selbsternannten teutonischen Magister eine Überprüfung der Lernfortschritte von Papst und Kurie auf dem Stundenplan.
Oberstudienrat em. Hubert Hecker hat bereits ein Buch über den Kölner Klinikskandal veröffentlicht.
kath.net-Buchtipp:
Der Kölner Kliniken- / Medienskandal
Eine Fallstudie zu Skandalisierungsprozessen, Schwarmjournalismus und Medienpreisen
Von Hubert Hecker
Taschenbuch, 204 Seiten
2021 Tredition; Heckmedien
ISBN 978-3-00-068482-1
Preis Österreich: 11.40 EUR
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