20. Juli 2022 in Prolife
„Die Frage des Lebensschutzes wird zur Frage der Konfessionszugehörigkeit: Es kann nicht katholisch sein, wer sich nicht klar und eindeutig zum uneingeschränkten Recht auf Leben von Anfang an bekennt!“ Gastbeitrag von Weihbischof Thomas Maria Renz
Rottenburg-Stuttgart (kath.net) Die Lehre der Katholischen Kirche über die Unantastbarkeit und Heiligkeit jedes menschlichen Lebens vom Augenblick seiner Zeugung bis zu seinem letzten Atemzug ist seit den apostolischen Zeiten glasklar bezeugt und niemals in Frage gestellt worden – zumindest von niemandem, der selbst dabei katholisch bleiben wollte. Der Spielraum in der Frage, ob die vorgeburtliche Kindstötung im Mutterleib nicht doch vielleicht unter diesen oder jenen Umständen im Einzelfall aus „Humanitätsgründen“ katholischerseits zumindest toleriert werden müsste, tendiert gegen Null. Denn die Sachlage ist in kaum einem anderen Bereich der katholischen Glaubens- und Sittenlehre so eindeutig wie im Fall der vorsätzlichen Abtreibung der Leibesfrucht: Das 5. Gebot („Du sollst nicht töten“) lässt keinen Interpretationsspielraum zu, weil es ein bisschen tot genauso wenig gibt wie ein bisschen schwanger. Dem schließen sich zahllose kirchliche Äußerungen an wie die Deutung der Abtreibung als „verabscheuungswürdiges Verbrechen“ (II. Vatikanisches Konzil), als „größter Zerstörer des Friedens“ (Hl. Mutter Teresa von Kalkutta) oder als „Auftragsmord“ (Papst Franziskus). Niemand muss diese scharfe Diktion der kirchlichen Lehre eins zu eins in seinen eigenen Sprachgebrauch übernehmen, aber die klare Linie, die so gut wie keinen davon abweichenden Interpretationsspielraum zulässt, ist damit für jeden Menschen nachvollziehbar gezogen. Es ist sozusagen die rote Linie, die nicht ungestraft überschritten werden darf, wenn man katholisch bleiben möchte. So wird die Frage des Lebensschutzes zur Frage der Konfessionszugehörigkeit: Es kann nicht katholisch sein, wer sich nicht klar und eindeutig zum uneingeschränkten Recht auf Leben von Anfang an bekennt!
Der Glaube, dass Gott „mich gewoben hat im Schoß meiner Mutter“ (Ps 139), dass ich also schon im embryonalen Frühstadium meines Lebens von Gott gewollt, geformt und gesegnet war, verbietet es Christenmenschen, Hand an den eigenen Nachwuchs zu legen. Hier kann und darf es keine faulen Kompromisse geben. Das unterscheidet die Kirche von der Politik, die selbst in solch existenziellen Fragen wie der vorgeburtlichen Kindstötung nach Mehrheiten, Stimmungen und Kompromissen schielt, anstatt eine konsequente Linie zu verfolgen. Eine solche Taktiererei ist in der Frage der Menschenwürde und des Lebensrechts der Ungeborenen für Christenmenschen nicht möglich. Wer katholisch sein und bleiben möchte, wird daher selbstverständlich ein flächendeckendes Angebot von vielfältigen Hilfen für Schwangere in Konfliktsituationen fordern, nicht aber ein flächendeckendes Angebot an Möglichkeiten, sich des eigenen Nachwuchses zu entledigen.
Nachdem es nachweislich erwiesen ist, dass 9 von 10 Frauen, die sich in einem Schwangerschaftskonflikt befinden, nicht das Kind unter ihrem Herzen loswerden wollen, sondern „nur“ die aktuellen Probleme, die sich wie unbezwingbare Berge vor ihnen auftürmen, würden wir diesen 9 Frauen einen Bärendienst erweisen, wenn sie sozusagen an jeder Straßenecke ihr Kind um die Ecke bringen könnten. Das ist genau das falsche Angebot, das der Staat, die Gesellschaft und die Kirche Schwangeren in schwersten Bedrängnissen machen kann. Die allermeisten Frauen wollen niemals ihr eigenes Kind gewaltsam aus dem Leib gerissen bekommen, aber vielfach werden sie von ihrem Partner oder ihren Lebensumständen genau in diese Richtung gedrängt und genötigt. Die Vorstellung, dass sich eine Frau „selbstbestimmt“ für eine Abtreibung entscheidet, entspricht in den allermeisten Fällen nicht der Lebensrealität von konfliktreich erlebten Schwangerschaften. Hier macht man sich etwas vor, was wenig mit der Realität zu tun hat. Hier ist mehr Ehrlichkeit und mehr echtes Hinhören auf die wirklichen Nöte der betroffenen Frauen gefordert! Die überwiegende Mehrheit der Frauen, die in ihrer Schwangerschaft eine Beratung suchen, suchen konkrete Perspektiven, Argumente und Hilfen für die Annahme ihres Kindes, und nicht einen schnellen Weg, um ihr Kind loszuwerden. Diesem Umstand müssen Staat, Gesellschaft und Kirche in ihren Angeboten für Schwangere in Konfliktsituationen Rechnung tragen. Wer die konkreten Nöte der Schwangeren ernst nimmt und in den Mittelpunkt stellt, der wird auch seine Hilfsangebote dementsprechend ausrichten und ihr nichts anbieten, was nicht ihrer innersten und eigentlichsten Bedürftigkeit entspricht. Und diese innerste Bedürftigkeit lautet tatsächlich in 9 von 10 Fällen nicht: „Nimm mir mein Kind!“, sondern: „Nimm mir die Hindernisse, die mich hindern, mein Kind anzunehmen!“
Wer die Menschenrechte – und da zuvorderst das fundamentale Recht auf Leben – dem Menschen nicht von Anfang an zugestehen will, der steht in der Begründungspflicht, ab wann denn dann? Wann ist der Mensch ein Mensch? Mit welchen wissenschaftlich begründeten Argumenten will man einem Menschen das Lebensrecht zu einem späteren Zeitpunkt zugestehen als vom Augenblick seiner Zeugung an? Wissenschaftlich valide Begründungen wird es nicht geben für ein Desiderat, dass einem Menschen ab dem 3. Monat oder ab dem 6. Monat oder ab dem 9. Monat oder ab dem Tag seiner Geburt das Recht auf Leben und damit die Menschenrechte zustehen. Im aufgeklärten 21. Jahrhundert dürfen solche zentrale Fragen nicht mehr ideologisch begründet sein, sondern müssen strengen naturwissenschaftlichen Kriterien und Fakten unterworfen sein. Alles andere ist Unsinn und gehört gesellschaftlich geächtet. Wer einem „Menschenrecht auf Abtreibung“ das Wort redet oder auch nur das fundamentale Recht auf Leben dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter unterordnen möchte, der untergräbt eine humane Gesellschaft, die sich dem Schutz der bedrohten Arten, der bedrohten Schöpfung und der Vulnerablen und Schwächsten verschrieben hat.
Thomas Maria Renz ist Weihbischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart und ist seit vielen Jahren aktiver prolife. Er engagiert sich in der Schwangerschaftskonfliktberatungsinitiative „1000plus“ von Pro Femina e.V.
Foto Weihbischof Renz (c) Diözese Rottenburg-Stuttgart
VIDEO - ´Leben und leben lassen´ - Weihbischof Thomas Maria Renz beim 1000plusTAG 2014
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