Judas Iskariot: Der große Verrat in der Kirche

24. Juli 2022 in Kommentar


„Stärkung, die aus der Fülle der Überlieferung kommt …, ist heute notwendiger denn je, soll die Kirche vom Verrat des Judas nicht in weiten Teilen erfasst und im Namen des Zeitgeists auseinandergerissen werden.“ Von Joachim Heimerl


Wien (kath.net/joh) Wenn jemand in den Evangelien eine schlechte „Presse“ hat, dann ist das sicher Judas Iskariot.

Wer an Judas denkt, denkt automatisch an Verrat, und gewiss gilt Judas als der Verräter schlechthin. So zeichnen ihn die Evangelien und überzeichnen ihn dabei ganz sicher auch.

Johannes nennt ihn einen „Heuchler“ und einen „Dieb“ (Joh. 12,6), Jesus selbst – wieder bei Johannes – sogar einen „Teufel“ (Joh. 6,70). -Ohne Frage wird die Geschichte des Judas hier von ihrem Ende her erzählt. Von dem, der Judas am Anfang war, ist nichts übrig geblieben; und doch war Judas kein anderer, als es die anderen waren: Er war ein Berufener, einer der Zwölf. Er war einer genau wie sie: Er war ein Apostel.

Wie alle anderen Apostel bringt Judas seine Fehler und seine Schwachheiten in seine Berufung mit, anders als bei den anderen gewinnen diese dann offensichtlich die Oberhand. Und doch: Judas ist in die Gemeinschaft der Apostel bis zum Abendmahl vollständig integriert. Er sticht nicht hervor und keiner von den anderen misstraut ihm. Der Verräter ist in ihm nicht von vorneherein angelegt, gleichsam so, als würde sich irgendwann bestätigen, was man von ihm schon immer erwartet hätte. Als Jesus beim Abendmahl ankündigt, dass einer der Zwölf ihn verraten würde, fragt ihn der Lieblingsjünger ausdrücklich: „Herr, wer ist es?“ (Joh.13,25), doch weder er selbst noch einer von den anderen scheint dabei wie selbstverständlich auf Judas zu blicken – überhaupt nicht.

Und doch muss in Judas etwas vorgegangen sein, was den anderen bis dahin verborgen blieb: Er muss irgendwann aufgehört haben zu tun, was er zuvor wohl von ganzem Herzen getan hatte: Er muss aufgehört haben, an Jesus zu glauben. Warum er das getan hat, wissen wir nicht. Ganz sicher war er von Jesus enttäuscht. Ob das einfach daran gelegen hat, dass er sich einen „politischen“ Messias erhofft hätte und keinen „spirituellen“, ist nicht wahrscheinlich. Dafür ist Judas Jesus zu lange gefolgt, hat ihm zu lange zugehört und die Zeichen gesehen, die er getan hat. Viel wahrscheinlicher ist, dass Judas – wie viele andere Jünger – in Kapharnaum seinen Glauben an Jesus verloren hat, und zwar dann, als Jesus die Eucharistie verhieß. Jesu Rede vom Brot des Lebens und seinem Fleisch, schien dort den meisten unerträglich „und viele seine Jünger gingen nicht mehr mit ihm“ (Joh. 6, 60-66). Das war ein klarer Wendepunkt; der äußere „Erfolg“ Jesu schlug ins Gegenteil um. Übrig blieb jetzt nur noch der harte Kern der Apostel, der sich tapfer und doch verunsichert hinter Petrus stellt. Judas tut das auch, wohl noch mehr verunsichert als die anderen und vielleicht schon halbherzig. Aber er bleibt. Er geht nicht mit den anderen Jüngern weg, obwohl ihn niemand gehalten hätte. Er bleibt bei den Aposteln und beginnt zugleich, sich von Jesus zu entfernen. Er spürt: Was Jesus sagt, das ist mit dem Judentum dieser Zeit nicht vereinbar, das kommt bei den Leuten nicht mehr an, das ist herausfordernd, das entspricht nicht dem, was die Leute hören wollen. Kurz: Jesus entspricht nicht dem Zeitgeist. Was er sagt, wird sich nie durchsetzen. Und ganz sicher denkt er: „Ich habe an den Falschen geglaubt. Jesus ist nicht der Messias.“

Was so oder so ähnlich in Judas vorging, geht heute in vielen Gläubigen vor, offensichtlich auch in nicht wenigen Nachfolgern der Apostel, den Bischöfen. Sie bleiben zwar äußerlich bei Jesus, bei Petrus, den anderen Aposteln und damit in der Gemeinschaft der Kirche, aber sie hören nicht mehr auf Jesus, sondern auf den Zeitgeist; in Wahrheit sind sie keine Apostel mehr. Sie sind schon lange mit den Vielen weggegangen, die Jesus verlassen haben. Sie sagen, sie wollen die Kirche mit Reformen an die Gesellschaft „anschlussfähig“ machen, dabei wollen sie in Wahrheit nur weiter volle Kirchensteuereinnahmen und vor allem über den Mainstream ihren Einfluss auf die Gesellschaft zurückgewinnen. Die Anstößigkeit des Glaubens, das Kreuz selbst, steht dem im Wege und deshalb muss eben ein neuer Glaube her, erst recht eine neue Moral – eine „Weiterentwicklung“ nennen Bätzing, Marx und andere dies und meinen damit nicht weniger als jenen Verrat an Jesus, für den wiederum Judas Iskariot steht. Genau wie sie hat Judas die Stimmen der Zeit für das gehalten, was sie niemals sind: für den „sensus fidelium“, für den Glaubenssinn der Gläubigen oder derer, die sich wenigstens dafür halten. - Diesen wirren Stimmen hat Judas am Ende mehr vertraut, als der einen Stimme, die ihm einst zugerufen hatte: „Judas, folge mir nach!“

Die Schwäche des Judas, die zum Verlust seines Glaubens und schließlich zu seinem Untergang führt, ist letztlich in jedem Apostel angelegt. Wir finden sie in ihren Nachfolgern bis auf den heutigen Tag und - wenn wir ehrlich sind - in jedem von uns selbst. So ist Judas nicht der Einzige, der an Jesus zweifelt; auch Thomas tut das ganz offen. Ebenso ist Judas in der Nacht des Gründonnerstags keineswegs der einzige Verräter unter den Zwölf, sondern Petrus ist es auch. Zwar führt sein Verrat nicht zur Verhaftung und zur Verurteilung Jesu und bleibt insofern folgenlos, aber das macht ihn keineswegs geringer. Für eine Spanne Zeit geht Petrus in dieser Nacht zu Jesus auf die gleiche Distanz, wie Judas dies schon viel länger tut. Konsequent verleugnet er Jesus gerade so, wie Judas ihn verraten hat. Judas tut dies einmal, Petrus sogar dreimal. Einen Moment lang haben beide die gleiche Haltung und beide handeln gleich. - Allerdings fängt Petrus sich rasch wieder und bekehrt sich noch in der gleichen Nacht unter bitteren Tränen zum Herrn, während Judas genau das nicht macht und daran - viel mehr als an seinem Verrat - fürchterlich zugrunde geht. Genau wie in Judas liegt so auch in Petrus eine Dunkelheit, und das obwohl ihn der Herr zum Fels seiner Kirche erwählt hat.

In der Geschichte der Päpste ist diese Dunkelheit des Petrus immer wieder zu spüren und bei manchen Päpsten hat sie sicher in der Weise überhand genommen, wie sie es gegenwärtig bei all jenen Nachfolgern der Apostel tut, die mit ihren Reformforderungen nicht mehr Jesus folgen, sondern dem Judas: Protestantisierung der heiligen Eucharistie, Frauenweihe, Aufhebung des Zölibats, eine neue, natürlich laxe „Moral“ – der große Verrat in der Kirche ist spätestens seit dem Beginn des Synodalen Irrweges in Deutschland in vollem Gang und wird mit der Bischofssynode im nächsten Jahr seinem Höhepunkt zustreben. Alles hängt deshalb davon ab, dass der gegenwärtige Papst ebenso wie sein Nachfolger die Dunkelheit dieser Anfechtung überwinden und aus dieser Überwindung heraus den Auftrag erfüllen, den Jesus dem Petrus gegeben hat: „Wenn Du Dich wieder bekehrt hast, dann stärke Deine Brüder“ (Lk 22,32). Diese Stärkung, die immer aus der Fülle der Überlieferung kommt und bis an die Quelle des Evangeliums hinabreicht, ist heute notwendiger denn je, soll die Kirche vom Verrat des Judas nicht in weiten Teilen erfasst und im Namen des Zeitgeists auseinandergerissen werden. Insofern markieren in der Nacht des Gründonnerstags Judas und Petrus jenen Scheideweg, an dem die Kirche heute steht.

Gewiss könnte man einwenden, der Papst habe mit der jüngsten Verlautbarung den Synodalen Irrweg der Deutschen ausgebremst und die Einheit der Kirche gerettet. Allerdings zeigt die Geschichte, dass sich die Deutschen niemals bremsen lassen, Bätzing und seine Gefolgsleute am wenigsten. Der Synodale Irrweg wird weitergehen – und der Verrat des Judas damit auch.

 


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