Vatikan-Gesandter: Europa hat versäumt für den Frieden zu arbeiten

29. Juli 2022 in Weltkirche


Päpstlicher Außenbeauftragte Gallagher bekräftigt Wille von Franziskus zu Kiew-Besuch: "Wenn Kanada einigermaßen gut läuft, könnte es mit der Planung relativ schnell gehen"


Köln/Vatikanstadt  (kath.net/KAP) Das "Ende einer gewissen Nachkriegs-Unschuld in Europa" angesichts des Krieges in der Ukraine ortet der päpstliche Außenbeauftragte Erzbischof Paul Gallagher. "Wir haben den Frieden zu lange als Gegebenheit hingenommen und nicht mehr dafür gearbeitet - persönlich, individuell, gemeinschaftlich und institutionell. Frieden muss geschaffen und gestärkt werden. Das haben wir versäumt", sagte der britische Kurienerzbischof im Interview des Podcast "Himmelklar" (Mittwoch). Kriege müssten aktiv vorhergesehen und vermieden werden. "Das ist das Gebot der Stunde."

Als Papst Franziskus schon vor einigen Jahren mit Blick auf die Weltlage zum ersten Mal von einem "Dritten Weltkrieg auf Stücken" sprach, habe das auch ihn "schockiert", so Gallagher, der seit 2014 für die vatikanischen Beziehungen zu den Staaten zuständig ist. Der Papst habe mit dieser Aussage versucht, die Menschen wachzurütteln, so der vatikanische Spitzendiplomat. "Schaut man sich die Entwicklung der letzten Jahre an, hat er recht behalten, denke ich. Es ist eine Warnung an die Welt, dass diese Gefahren existieren." Weltweit beobachtet Gallagher "mehr Konflikte, Spannungen, Polarisierung und Hass". Wegen Nahrungsmangel und Probleme beim Zugang zu grundsätzlichen Lebensnotwendigkeiten gebe es große Verzweiflung, so der Kurienerzbischof: "Was in der Ukraine passiert, hat natürlich auch Auswirkungen auf den Nahen Osten.

Was im Nahen Osten passiert, hat Auswirkungen auf Nordafrika. Nordafrika auf die Subsahara-Region, und so weiter. Das ist die große Gefahr." Für Europa hätte aus Sicht Gallaghers schon der Krieg auf dem Balkan ein Weckruf sein müssen, mehr für den Erhalt von Frieden zu tun. "Leider haben wir in Europa nicht angemessen auf die Problemstellungen reagiert, die sich herauskristallisiert haben", so der Erzbischof. Auch nach einem Ende des Ukraine-Krieges werde nicht alles wie früher werden, zeigte sich Gallagher überzeugt. "Das wird nicht passieren. Ein ausgewachsener Krieg in Europa ist möglich, trotz aller Institutionen, trotz allen Fortschritts." Im Interview verteidigte der päpstliche Außenbeauftragte auch einmal mehr die Position des Heiligen Stuhls zum Krieg in der Ukraine. Dieser sei politisch neutral, keinesfalls aber in seiner Reaktion auf das Leid in der Ukraine. "Wir sind neutral, aber nicht ethisch gleichgültig", so der Diplomat. "Wir heißen nicht irgendetwas gut, das Russland tut."

Auch die Position des Papstes, "was seine Unzufriedenheit und Kritik am Moskauer Patriarchat angeht, ist ganz klar". Gleichzeitig sei es für den Heiligen Stuhl aber notwendig, ein gewisses Maß an Offenheit zu behalten, um zur Lösung des Konfliktes beizutragen. Für einen möglichen Besuch von Franziskus in Kiew gebe es noch keine konkreten Planungen, auch wenn der Wille dazu da sei, sagte Gallagher. Erst müsse sich zeigen, wie es nach der aktuellen Kanada-Reise um die Gesundheit des Papstes steht. "Wir müssen schauen, wie das läuft. So lange können wir uns da noch nicht festlegen oder eine Einladung annehmen", erklärte der Kurienerzbischof. Eine Reise nach Kiew dauere zwei Tage - und zwei Tage zurück. "Wenn Kanada einigermaßen gut läuft, könnte es mit der Planung relativ schnell gehen." Man könne diese Entscheidung aber nicht übers Knie brechen.

 

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