Pater Kraschl: Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands und die jesuanische Friedensethik

9. August 2022 in Spirituelles


Frag den Theologen - „Es geht Jesus wohl nicht darum, sich als jedes Unrecht gefallen zu lassen – damit würde man die Welt den Übel- und Gewalttätern überlassen“, sondern…


Salzburg (kath.net/Antonius) kath.net übernimmt den Beitrag von Pater DDr. habil. Dominikus Kraschl OFM aus dem „Antonius“ in voller Länge und dankt der Zeitschrift der österreichischen Franziskaner für die freundliche Erlaubnis zur Weiterveröffentlichung.

„Lieber P. Dominikus, im Ukraine-Krieg mischen sich auch immer mehr Kirchenvertreter ein. Nicht nur auf russisch-orthodoxer Seite. Auch katholische Geistliche verlangen Waffenliefe-rungen. Ist Pazifismus nicht ein Gebot Jesu, an das wir uns alle zu halten haben?“ Veronika K., Wien.

Berechtigung und Grenze des Pazifismus

Unter Pazifismus ist eine Einstellung zu verstehen, die Krieg und jegliche Form von Gewalt kategorisch ablehnt. Sein berechtigtes Anliegen besteht in der Einsicht, dass Gewalt ein Übel und Friede ein Gut darstellt. An eine Grenze stößt der Pazifismus indes, wo er ignoriert oder negiert, dass der Einsatz von Gewalt in einigen Fällen moralisch erlaubt oder sogar geboten ist.

Das ist der Fall, wenn der Verzicht auf Gewalt einen Schaden zulassen würde, welcher größer ist als der durch den Einsatz von Gewalt hervorgerufene. Mitunter ist der Einsatz von Gewalt eben das einzige Mittel, noch größere Gewalt zu verhindern. Aus diesem Grund bedürfen Rechtsstaaten auch einer exekutiven Gewalt. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ein Polizist ist verpflichtet, einen Amokläufer zu stoppen. Er muss notfalls Gewalt ausüben, um die Bürger wirksam schützen zu können.

Die Lehre vom gerechten Krieg

Nun lässt sich argumentieren: Wenn individuelle Selbstverteidigung gegenüber einem ungerechten Angriff moralisch erlaubt ist, dann auch kollektive Selbstverteidigung. Bei einem Verteidigungskrieg geht es darum, das Leben der Bürger sowie die staatliche Integrität zu schützen.

Die bis in die Antike zurückreichende «Lehre vom gerechten Krieg» knüpft die moralische Legitimität staatlicher Gewaltausübung an eine Reihe von Bedingungen: 1) Es muss ein gerechter Grund vorliegen, d. h. ein schweres Unrecht. 2) Die staatliche Gewaltausübung muss in der rechten Absicht geschehen, d. h. auf die Beseitigung des Unrechts zielen. 3) Sie muss von der politischen Führung eines Gemeinwesens ausgehen und getragen sein. 4) Die für die Erreichung des Ziels eingesetzten Mittel müssen verhältnismäßig sein. 5) Die friedlichen Mittel für eine Konfliktlösung müssen ausgeschöpft sein. 6) Es müssen reale Erfolgsaussichten gegeben sein.

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist zweifellos völkerrechtswidrig. Die Bedingungen für einen Verteidigungskrieg sind erfüllt, sofern die Ukraine mit militärischer Unterstützung aus dem Ausland rechnen kann. Von daher ist davon auszugehen, dass Waffenlieferungen im vorliegenden Fall moralisch erlaubt sein können.

Jesuanische Friedensethik

Jesus preist die Friedfertigen selig (Mt 5,45). Er fordert seine Jünger auf, Gewalt nicht mit Gegengewalt zu beantworten (Lk 6,39) und ihren Hassern sogar noch Gutes tun (Mt 5,44).

Fordert Jesus damit einen Pazifismus ein, der den Einsatz von Gewalt kategorisch ausschließt? Im Fokus der Bergpredigt steht etwas anderes. Jesus ruft seine Jünger dazu auf, bei allem, was sie denken, sagen und tun, an Gottes unüberbietbarer Liebe Maß zu nehmen. Gottes Liebe, die stärker ist als aller Hass, soll auch das Verhalten der Jünger gegenüber jenen beseelen, die ihnen Unrecht tun oder Feindseligkeit entgegenbringen.

Auf diese Weise sollen sie bezeugen, dass sie Söhne des himmlischen Vaters sind, der die Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und der es regnen lässt über Gerechten und Ungerechten (Mt 5,45). Es geht Jesus wohl nicht darum, sich als jedes Unrecht gefallen zu lassen – damit würde man die Welt den Übel- und Gewalttätern überlassen. Aber es geht ihm sehr wohl darum, stets von Gottes alles übertreffender Liebe beseelt zu sein. Dazu bedarf es im Einzelfall der Unterscheidungsfähigkeit, ob das bessere Mittel zu diesem Zweck der Widerstand gegen ein Unrecht oder dessen Erleiden darstellt. Das freiwillige Erleiden eines Unrechts ist in vielen Fällen keine moralische Pflicht, aber es ist ein Werk der Übergebühr und ein Zeugnis der Verwurzelung in Gott.


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