8. August 2022 in Kommentar
Die Kirchensteuer ist dysfunktional. Sie macht eine satte, zufriedene, reiche, glaubensarme Kirche, die nur noch um sich selber kreist - Der Montagskick von Peter Winnemöller
Linz (kath.net)
Zahlen üben eine ungeheure Faszination aus. Gerade jetzt ist eine Zeit, in der viele Zahlen rund um die Kirche und das kirchliche Leben in Deutschland unterwegs sind. Es scheint der rechte Moment, mit diesen Zahlen mal ein paar interpretierende Überlegungen anzustellen. Deutschland ist ein Land mit 83,23 Millionen Einwohnern. Davon sind 21,65 Millionen registrierte Mitglieder der katholischen Kirche. Schon hier erkennt man, wie Zahlen viel sagen und doch täuschen. Registrierte Mitglieder bedeutet, getaufte Katholiken minus die Katholiken, die dem Staat gegenüber den Austritt aus der Kirche erklärt haben. Zählt man die evangelischen Christen aus den freien und den Landeskirchen hinzu und legt dann die Dynamik von Geburten/Taufen, Sterbefällen, Ein- und Austritten zu Grunde, dann ist 2022 ein historisches Jahr. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik und sicher erstmals, seit man von der Existenz eines deutschen Staates reden kann, stellen die Christen in Deutschland nicht mehr absolute Mehrheit der Bevölkerung. Das wird in Zukunft Bedeutung erlangen, wenn es in der Politik um Belange der Kirche geht.
Im Jahr 2021 zahlten die Katholiken in Deutschland 6,73 Mrd. Euro Kirchensteuer. Damit zahlte jeder einzelne Katholik (vom Säugling bis zum Greis) durchschnittlich 310 Euro Kirchensteuer. Dabei sollte man bedenken, dass ein verheirateter Durchschnittsverdiener mit 4100 Euro/monatlich bei Steuerklasse III mit zwei Kindern nicht einmal 10 Euro Kirchensteuer im Monat zahlt. Auch die Kirchensteuer unterliegt der Progression. Nimmt man dann hinzu, dass im Jahr 2021 ferner 390.000 Katholiken aus der Kirche ausgetreten sind, das Kirchensteueraufkommen hingegen um 300 Millionen Euro gestiegen ist, dann zeigt sich, wie sehr das Kirchensteueraufkommen von der kirchlichen Wirklichkeit entkoppelt ist.
Auch eine andere Zahl zeigt diese entkoppelte Wirklichkeit überdeutlich. Gerade einmal 4,3 Prozent der Katholiken gehen am Sonntag regelmäßig in die Heilige Messe. In absoluten Zahlen ausgedrückt sind das 931 000 Menschen, die jeden Sonntag in Deutschland eine Heilige Messe aufsuchen. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind das gerade einmal 1,1 Prozent. Nimmt man die Zahlen der unterschiedlichen protestantischen Denominationen dazu, dann nehmen wöchentlich in Deutschland ungefähr 2 Prozent der Menschen überhaupt nur an einem Gottesdienst teil. Was das mit einem Land macht, kann man wohl täglich im Alltag erleben. Warum wir eine Regierung haben, die glaubt ohne Gott auskommen zu können, hier ist der Grund.
Eine andere Zahl, die nicht einmal eine Zahl ist, sondern nur eine nicht genau definierte Wortwolke, findet sich im Bericht der Deutschen Bischofskonferenz zum weltweiten Synodalen Prozess. Im Brustton der Überzeugung vertritt man seitens des deutschen Episkopats die ganze Palette der dysfunktionalen Reformbestrebungen des sogenannten synodalen Weges. Zugleich aber – und hier macht sich der deutsche Episkopat dann weltkirchlich wirklich zum Hanswurst – gibt der Bericht an, dass die Beteiligung der Gläubigen im niedrigen einstelligen Bereich gelegen hat. Auf deutsch: Stellung bezogen haben in der deutschen Kirche im Wesentlichen die Funktionäre, die auch den sogenannten synodalen Weg von DBK und „ZdK“ bestreiten oder zumindest mittragen.
An dieser Stelle muss man auf die weiter oben aufgeführten Zahlen der kirchlichen Wirklichkeit schauen. Glaubt wirklich jemand, eine nennenswerte Zahl von Gläubigen wird sich äußern können, wenn nur eine winzige Minderheit der amtlich registrierten Katholiken überhaupt noch einen regelmäßigen Kontakt zur Kirche haben? Es ist allerdings nicht nur so, dass die Gläubigen den Anschluss an die Kirche verloren haben. Die Hirten der Kirche, die Bischöfe, die nur noch mit den Funktionären reden, haben längst den Anschluss an die Gläubigen verloren. In einem Land, in dem die Menschen im kommenden Winter zu vermutlich frieren werden, sind diese lächerlichen Synodalquisquilien ziemlich auf dem letzten Platz des Interesses der Menschen. Eine weitere Zahl: 13 – das ist die Temperatur, auf die das Bistum Rottenburg- Stuttgart Kirchengebäude im kommenden Winter maximal heizen will. Eine Kirche, die großspurig verkündet, auf wieviel Grad Celsius man im kommenden Winter die Heizungen in Kirchengebäuden absenkt, hat den Kontakt zur Gesellschaft in ihrer Gesamtheit verloren und dreht sich wirklich nur noch propagandistisch um sich selbst.
Eine letzte Zahl kann man als Folge daraus ansehen. In der vergangenen Woche machte eine Umfrage von INSA im Auftrag der Bild die Runde. Sagenhafte 68% der Katholiken lehnen die Kirchensteuer ab. Das ist eine satte Zweidrittelmehrheit und das ist ein Signal, dass vielleicht sogar mal in die Köpfe von Bischöfen vordringt. Die Kirchensteuer ist dysfunktional. Sie macht eine satte, zufriedene, reiche, glaubensarme Kirche, die nur noch um sich selber kreist. Die Alternative ist sicher kein romantisierendes Armutsideal, welches im Barockpalais über eine arme Kirche fabulierend daherkommt. Die Alternative zeigen uns geistliche Gemeinschaften oder katholische Initiativen, die sich bewusst sind, dass sie alles, was sie haben, der Gnade Gottes verdanken und dabei trotzdem seriöse Geschäftspläne schreiben.
Die Abschaffung der Kirchensteuer wird nicht ad hoc alles wieder gut machen in der katholischen Kirche in Deutschland. Doch wenn wir über dringend nötige Reformen der Kirche reden, dann steht die Abschaffung der Kirchensteuer, mithin die grundlegende Reform der Kirchenfinanzierung in Deutschland, auf einem der ganz oberen Plätze der dringendsten Reformen. Die Kirchensteuer – das muss man sich bewusst machen – macht die hohe Zahl der Kirchenaustritte erst möglich und sogar nötig. Der Kirche den Rücken kehren zu müssen, nur weil man mit der Mittelverwendung unzufrieden ist, ist ein Skandal. Stattdessen könnte man die kirchenrechtlich gebotene Finanzierung der Kirche einfach der Gemeinschaft zukommen zu lassen, der man sich geistlich nahe fühlt. Auch dass die Hirten dies den Gläubigen nicht zutrauen, ist ein Marker für den Grad der Entfremdung zwischen Hirten und Herde.
© 2022 www.kath.net