Papst Franziskus besucht L’ Aquila

28. August 2022 in Aktuelles


Franziskus: Coelestin V. war nicht der Mann des ‚Neins’, er war der Mann des ‚Ja’. Wo es keine innere Freiheit gibt, bahnen sich Egoismus, Individualismus, Eigennutz und Unterdrückung ihren Weg


Rom (kath.net) Am 28. August besuchte Papst Franziskus die im Jahr 2009 von einem Erbeben heimgesuchte Stadt L’Aquila. Am Morgen wurde der Papst auf dem Domplatz begrüßt von:

- Kard. Giuseppe Petrocchi, Erzbischof von L’Aquila

- Marco Marsilio, Präsident der Region Abruzzen

- Cinzia Teresa Torraco, Präfektin von L’Aquila

- Pierluigi Biondi, Bürgermeister von L’Aquila

Franziskus wurde von Kard. Petrocchi in den Dom geleitet (in privater Form; die Kathedrale wurde seit dem verheerenden Erdbeben von 2009 nicht wieder instandgesetzt).

Gegen 9.15 richtete der Papst ein Grußwort an die Familien der Erdbebenopfer, die Behörden und die auf dem Platz anwesenden Bürger.  Anschließend führ er zur Basilika „Santa Maria in Collemaggio“ weiter. Auf dem Platz vor der Basilika feierte Franziskus die heilige Messe.

In seiner Predigt unterstrich der Papst: „Die Heiligen sind eine faszinierende Erklärung des Evangeliums. Ihr Leben ist der privilegierte Aussichtspunkt, von dem aus wir einen Blick auf die gute Nachricht werfen können, die Jesus zu verkünden gekommen ist, nämlich dass Gott unser Vater ist und alle Menschen von ihm geliebt werden. Dies ist das Herz des Evangeliums, und Jesus ist der Beweis dieser Liebe, seine Menschwerdung, sein Abtlitz“.

„Heute feiern wir die Eucharistie an einem besonderen Tag für diese Stadt und für diese Kirche: das zölestinische Vergebungsfest. Hier werden die Reliquien des heiligen Papstes Coelestin V. aufbewahrt“. Wir erinnertenn uns fälschlicherweise an die Figur von Coelestin V. als „derjenige, der die große Absage erteilt hat“, wie es Dante in der Göttlichen Komödie ausdrücke. Doch Coelestin V. „war nicht der Mann des ‚Neins’, er war der Mann des ‚Ja’.

In der Tat gebe es keinen anderen Weg, Gottes Willen zu erfüllen, als die Kraft der Demütigen anzunehmen. Gerade weil sie so seien, erscheinten die Demütigen in den Augen der Menschen als Schwache und Verlierer, aber in Wirklichkeit sind sie die wahren Gewinner, denn sie seien die einzigen, die ganz auf den Herrn vertrauen und seinen Willen kennen. Es sei in der Tat so, dass Gott den Sanftmütigen seine Geheimnisse offenbart

Im Geist der Welt, die vom Stolz beherrscht werde, lade uns das heutige Wort Gottes ein, demütig und sanftmütig zu sein. Demut enicht darin, uns selbst abzuwerten, sondern in jenem gesunden Realismus, der uns unsere Möglichkeiten und auch unsere Nöte erkennen lässt. Die Demut lasse uns, ausgehend von unserem Elend, von uns selbst wegschauen und den Blick auf Gott richten, der alles kann und uns auch das verschaffe, was wir aus eigener Kraft nicht haben könnten.

Die Stärke der Demütigen sei der Herr, nicht Strategien, menschliche Mittel, die Logik dieser Welt. In diesem Sinne sei Coelestin V. ein mutiger Zeuge des Evangeliums gewesen, „denn keine Logik der Macht konnte ihn einsperren und kontrollieren“: „in ihm bewundern wir eine Kirche, die frei von weltlicher Logik ist und den Namen Gottes, der Barmherzigkeit ist, voll bezeugt. Dies ist das Herzstück des Evangeliums, denn Barmherzigkeit bedeutet, uns in unserem Elend zu lieben“. Gläubig zu sein bedeute nicht, sich einem obskuren und beängstigenden Gott zu nähern.

L'Aquila bewahre seit Jahrhunderten das Geschenk, das Papst Coelestin V. ihm selbst hinterlassen hat. Es ist das Privileg, alle daran zu erinnern, dass das Leben eines jeden Mannes und einer jeden Frau mit Barmherzigkeit, und nur mit ihr, mit Freude gelebt werden könne: „Barmherzigkeit ist die Erfahrung, sich angenommen, wiederhergestellt, gestärkt, geheilt und ermutigt zu fühlen. Vergeben zu werden bedeutet, hier und jetzt das zu erleben, was der Auferstehung am nächsten kommt. Vergebung bedeutet, vom Tod zum Leben überzugehen, von der Erfahrung von Angst und Schuld zu der von Freiheit und Freude. Möge dieser Tempel immer ein Ort sein, an dem wir versöhnt werden und die Gnade erfahren können, die uns wieder auf die Beine bringt und uns eine neue Chance gibt. Es soll ein Tempel der Vergebung sein, nicht nur einmal im Jahr, sondern immer“. Denn auf diese Weise werde der Friede aufgebaut, durch empfangene und gegebene Vergebung.

Jeder Mensch könne im Leben, ohne unbedingt ein Erdbeben zu erleben, sozusagen ein „Erdbeben der Seele“ erleben, das ihn mit seiner eigenen Zerbrechlichkeit, seiner eigenen Begrenztheit, seinem eigenen Elend in Kontakt bringe. Bei dieser Erfahrung „kann man alles verlieren, aber man kann auch wahre Demut lernen. Unter solchen Umständen kann man sich vom Leben erzürnen lassen, oder man kann Sanftmut lernen. Demut und Sanftmut sind also die Merkmale dessen, dessen Aufgabe es ist, die Barmherzigkeit zu bewahren und zu bezeugen“.

Es gebe jedoch eine Alarmglocke, die uns sage, wenn wir auf dem falschen Weg seien, und das heutige Evangelium erinnere uns daran. Jesus sei zum Mittagessen bei einem Pharisäer eingeladen und beobachte genau, wie viele Leute sich um die besten Plätze am Tisch drängten. Das sei der Anlass für ihn, ein Gleichnis zu erzählen, das auch für uns heute gelte: „wenn du von jemandem zu einer Hochzeit eingeladen wirst, stelle dich nicht an die erste Stelle, damit nicht ein anderer Gast kommt, der würdiger ist als du, und derjenige, der dich eingeladen hat, und er kommen und zu dir sagen: gib deinen Platz auf! Dann wirst du den letzten Platz mit Schande einnehmen müssen“.

Zu oft dächten die Menschen, dass ihr Wert von dem Platz abhänge, den sie in dieser Welt einnähmen. Der Mensch sei nicht der Platz, den er innehabe, „sondern die Freiheit, zu der er fähig ist und die er voll zum Ausdruck bringt, wenn er den letzten Platz einnimmt oder wenn für ihn ein Platz am Kreuz reserviert ist“.

Der Christ wisse, dass sein Leben keine Karriere in der Art dieser Welt sei, sondern eine Karriere in der Art Christi, der von sich selbst sagen wird, dass er gekommen sei, um zu dienen und nicht, um sich bedienen zu lassen: „solange wir nicht verstehen, dass die Revolution des Evangeliums in dieser Art von Freiheit liegt, werden wir weiterhin Zeugen von Kriegen, Gewalt und Ungerechtigkeit sein, die nichts anderes als das äußere Symptom eines Mangels an innerer Freiheit sind. Wo es keine innere Freiheit gibt, bahnen sich Egoismus, Individualismus, Eigennutz und Unterdrückung ihren Weg“.

 


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