6. September 2022 in Kommentar
„Die Kampfansage deutscher Reformatoren gilt schon immer dem Zölibat. Dies hat sich seit Luthers Zeiten nicht verändert und dies gilt insbesondere in der Zeit des Synodalen Irrwegs der Kirche in Deutschland.“ Von Joachim Heimerl
Wien-München (kath.net/joh) Die Kampfansage deutscher Reformatoren gilt schon immer dem Zölibat. Dies hat sich seit Luthers Zeiten nicht verändert und dies gilt insbesondere in der Zeit des Synodalen Irrwegs, den die Kirche in Deutschland beschritten hat: Der Zölibat muss fallen und dies um jeden Preis, darum geht es in erster Linie.
Wo der katholische Glaube schwindet, da schwindet zuallererst immer auch die Akzeptanz der Priester und des Zölibats; wer sich von Christus entfernt, der entfernt sich ganz zwangsläufig auch vom Verständnis der Lebensweise, die ER uns vorgelebt hat. Die „Ehelosigkeit um des Himmelreichs willen“ (Mt 19,12) erscheint dann nur noch als überkommenes Beiwerk, nicht mehr als ein Kernmotiv des Evangeliums und der Verkündigung der Apostel (1 Kor 7,7). Als bloßes „Gesetz“ sei der Zölibat demnach längst Makulatur; zwar sei er dem Priestertum „angemessen“, aber im Grunde ein museales Relikt. Stattdessen sollen verheiratete Priester her.
All diese Tendenzen hat Kardinal Alfons Maria Stickler (1910-2007) in seinem vielbeachteten Buch „Der Klerikerzölibat“ schon 1993 beschrieben.
Stickler macht darin sehr deutlich klar, dass der Zölibat eben nie nur ein schales Gesetz gewesen ist, das man jederzeit ebenso beliebig abschaffen könnte, wie man es einmal eingeführt hat; im Gegenteil: Die Enthaltsamkeit der Kleriker geht, wie Stickler zeigt, in der mündlichen Tradition bis auf die Apostel zurück und wurde bereits in der frühen Kirche selbstverständlich von allen Geistlichen erwartet. Freilich waren die meist verheiratet; das änderte aber nichts daran, dass sie von der Weihe an, mit ihren Frauen nicht mehr verkehren durften; sie sollten sie fortan wie eine Schwester lieben. Diese Praxis führt Stickler überzeugend auf 1 Kor. 9 zurück und weist auf die entsprechenden Beschlüsse der Konzile von Tours (461), Gerona (517) und Auvergne (535) hin. Vor allem aber macht er klar, dass es beim Zölibat um viel mehr geht als um einen äußeren Verzicht oder eine rigorose Praxis: Es geht um Christus und mit ihm um das Priestertum des Neuen Bundes; es geht – kurz gesagt – um alles oder nichts; wo der Glaube an Christus stirbt, schreibt Stickler, da „stirbt auch die Enthaltsamkeit“, und wo Häresien und Schismen auftreten, tritt als Vorbote immer die Abschaffung des Zölibats auf. Dies war während der Reformation bei Protestanten, Calvinisten, Zwinglianern und Anglikanern zu sehen – heute sieht man es bei den deutschen „Synodalen“ und ihren Anhängern in aller Welt. In der Tat ist der Zölibat zu einem Gradmesser der Treue zur Kirche geworden, und weil es dabei im Letzten um Christus geht, hat die Kirche stets an ihm festgehalten, dies auch in schweren Zeiten, und sicher in schwereren als heute. Als Beispiel nennt Stickler die Situation der Kirche in Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Während der Revolution verheiratete Priester mussten damals entweder ihre (ungültige) Ehe aufgeben oder wurden aus dem kirchlichen Dienst entfernt. Auf einen komfortableren Mittelweg, den man heute vorschlagen würde, ließ man sich stattdessen niemals ein. Es gab keine Zugeständnisse an die Welt; nicht wenn es um das Heiligste geht und um diejenigen, die es vermitteln.
Niemand aber hält über Jahrhunderte lediglich an einem schnöden Beiwerk fest oder an einem beliebigen Gesetz, und dies schon gar nicht, wenn es in der Welt permanent auf Ablehnung stößt. Auch diese Ablehnung aber kommt letztlich von Christus her und ist wie SEIN Gütesiegel: Wie die Welt IHN schon immer abgelehnt hat, lehnt sie auch diejenigen ab, die ihm in seiner Lebensform folgen und die ihm als seine Priester sakramental verbunden sind.
Heute ist diese Ablehnung in der Gesellschaft ohne Zweifel dramatisch spürbar, und inzwischen hat sie sogar die Kirche erfasst, denn selbst hier steht der Zölibat mittlerweile unter dauerndem Beschuss: Bischöfe wie Priester sind zu Verrätern an der priesterlichen Lebensform geworden, man darf sogar sagen: zu Verrätern Christi, zu Verrätern dessen, dem sie in der Weihe gleichgestaltet worden sind und dessen zölibatäres Leben sie teilen sollen.
Gerade der Zölibat weist ja mit Christus auf das innerste Wesen des Priestertums hin: Der Priester ist in einer sakramentalen und ontologischen Einheit mit Christus verbunden, und weil das so ist, ist das Priestertum niemals auf eine äußere Funktion beschränkt. Es ist nicht ein „Beruf“ wie jeder andere, sondern eine heilige Berufung; vor allem aber erfasst es den ganzen Mann. Stickler schreibt, es erfasst ihn, „was sein Inneres und Äußeres angeht, und was seinen Dienst betrifft. Christus will von seinem Priester Seele, Herz und Leib und in seiner gesamten Tätigkeit die Reinheit und die Enthaltsamkeit als Zeugnis dafür, dass er nicht mehr nach dem Fleisch, sondern nach dem Geiste lebt (Röm 8,8).“
Priester zu sein, ist keine halbe Sache, und wer sich selbst nicht opfert, kann nie das Opfer Christi vollziehen. Stickler nennt dies ganz klar das „andauernde Opferleben“ des Priesters, das heute so wenig verstanden wird wie der Opfercharakter der heiligen Messe. Mit dem levitischen Priestertum des Alten Bundes, das eine kultische, nur auf die Zeit des Tempeldienstes begrenzte Enthaltsamkeit praktizierte, hat dieses neutestamentliche Priestertum nichts mehr zu tun; es überragt jenes, wie Stickler sagt, „dem ganzen Wesen nach“.
Nirgends wird dies äußerlich sichtbarer als wiederum am Zölibat und gerade deshalb wird er so nachhaltig bekämpft. Immer, wenn es um den Zölibat geht, geht es ja stets nur um die gleiche Frage, nämlich um die, ob er nicht endlich aufgehoben oder wenigstens aufgeweicht werden könne. Der vorgebliche Priestermangel mache dies notwendig, auch wenn der in Wahrheit aus dem eklatanten Mangel an Gläubigen resultiert. Stickler wiederum antwortet auf diese Frage mit einer Gegenfrage, die kaum einen Spielraum offen lässt: „Angesichts der auch vom offiziellen Lehramt der Kirche bestätigten und vertieften Theologie des neutestamentlichen Priestertums dürfen wir uns fragen, ob die Gründe für den Zölibat tatsächlich nur für eine 'Angemessenheit' sprechen, oder ob er nicht doch notwendig und unverzichtbar ist, ob nicht doch ein Junktim zwischen beiden besteht.“
Dieses „Junktim“, von dem Stickler spricht, ist in der Apostolischen Tradition und letztlich in Christus begründet. Dass die lateinische Kirche dieses Junktim bewahrt hat, zeichnet sie als „katholisch und apostolisch“ aus; man könnte sagen: Es ist ihr „Markenkern“ und deshalb unverzichtbar. Zudem könnte die Kirche hier niemals gegen ihr Herkommen von den Aposteln handeln. Und selbst wenn sie in Ausnahmefällen verheirateten Männern die Priesterweihe spendet, wäre gerade in diesen Fällen die Praxis der ehelichen Enthaltsamkeit wiederzuentdecken und in ihrer Notwendigkeit deutlich zu machen.
Ohne das Opfer der Ganzhingabe an Christus kann niemand ein Leben als Priester führen. Kardinal Stickler zeigt dies quer zum heutigen Mainstream auf, und genau dies macht sein Buch noch immer so erfrischend und aktuell. Es wiederzuentdecken ist allemal ein geistlicher Gewinn; keineswegs nur für Kleriker. Dagegen darf man die Vorschläge des Synodalen Irrwegs ruhigen Gewissens links liegenlassen.
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