Bischof Ipolt: „Immer wieder spricht Papst Franziskus von der neuen Evangelisierung“

7. September 2022 in Deutschland


Bischof von Görlitz: Der Heilige Vater fasst mit Begriff der Neuevangelisierung „zusammen, was man auch einfach so ausdrücken könnte: Ihr müsst neu anfangen, Maß zu nehmen am Evangelium. Ihr habt euch eingerichtet und angepasst.“


Görlitz (kath.net/pbg) „Nein, die Kirche ist kein Verein, der verschiedene ‚Projekte‘ anbietet, bei denen man mitmachen kann – sie ist eine Gemeinschaft von Jüngerinnen und Jüngern des Herrn, die seinen Weg mitgehen wollen – manchmal auch durch Kreuz und Leid, aber ganz sicher einmal in die österliche Herrlichkeit.“ Darauf weist der Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt in seiner Predigt anlässlich der Bistumswallfahrt in Neuzelle hin.

kath.net dokumentiert die schriftliche Vorlage der Predigt von Bischof Wolfgang Ipolt/Görlitz anlässlich der Bistumswallfahrt am 4.9.2022 in voller Länge:

„Hören, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,7 und öfter)
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer aus Nah und Fern!
I.
Vor 100 Jahren, im Jahre 1922 nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, hat der bekannte Priester und theologische Lehrer Romano Guardini den Satz geprägt: „Ein religiöser Vorgang von unabsehbarer Tragweite hat eingesetzt: Die Kirche erwacht in den Seelen.“ Das war eine Zeit des Aufbruchs – Zeit der Jugendbewegung, der liturgische Bewegung usw.

Einen solchen Satz würde wohl so heute niemand wiederholen! Angesichts der vielen negativen Nachrichten in den Medien über unsere Kirche sind wir heute manchmal eher beschämt, zur Kirche zu gehören. Da ist im Augenblick nicht viel Erbauliches, was über uns berichtet wird. Wir werden ganz schön „durchgeschüttelt“ und verunsichert und fragen uns vielleicht: Kann das alles wahr sein? Gibt es so etwas unter Christen wirklich? Wie können wir eigentlich wieder neue Glaubwürdigkeit gewinnen? Die einen schütteln dann eher ungläubig und die anderen mehr empört den Kopf darüber. Die einen sagen: „Das habe ich doch schon immer gewusst! Katholiken sind falsch!“ Und andere trösten sich vielleicht so: „Die Kirche besteht eben aus Menschen und die sind nun einmal nicht vollkommen…!“

Natürlich wissen wir: Solche schlechten und empörenden Nachrichten sind nicht alles, sie sind nicht das ganze Bild der Kirche. Sie kennen wohl alle den Satz mancher Journalisten: „Eine gute Nachricht ist keine Nachricht!“ Dieser Satz drückt aus: Das normale und treu durchgehaltene Leben ist keine Nachricht wert. Nur das Aufregende und Ärgerliche ist interessant.

Darum gilt auch in der jetzigen Situation der Kirche: Trotz aller Krisenerscheinungen und Spannungen, trotz mancher ernster und tief gehender Auseinandersetzungen, gibt es auch heute weiterhin den treu durchgehaltenen und gelebten Glauben vieler Menschen; es gibt die Liebe in Wort und Tat, die insbesondere in den Diensten der Caritas gelebt wird und durch die vielen Menschen die Liebe Gottes bezeugt wird; und gibt es die frohe Hoffnung und Zuversicht vieler auf Gott, die manches „wegstecken“ kann und kraftvoll sogar andere aufbauen und stärken kann.

In einer solchen Situation der Kirche kommt es genau auf das an, was der Seher Johannes, der ein guter Seelsorger für Gemeinden in Kleinasien war, am Beginn der Apokalypse jeder seiner sieben Gemeinden ins Stammbuch schreibt: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“(so Offb 2, 7.11.17.29; 3,6.13.22).

Nachdem er seine Gemeinden getadelt und Kritisches angemerkt hat, nachdem er auch das Gute in ihnen und ihre Glaubenskraft beim Namen genannt hat, fügt er jedes Mal diesen einen Satz hinzu: „Wer Ohren hat, der höre…“

Es waren wahrhaftig keine einfachen Zeiten für die Christen am Ende des 1. Jahrhunderts. Es waren Verfolgungszeiten und Zeiten innerer Auseinandersetzungen und des Kampfes um die Wahrheit des Glaubens. Man liest dort von falschen Lehren, man liest von Verweltlichung und Gleichgültigkeit.

Ich sage es ehrlich: Diese Briefe und die Situationen, die darin beschrieben werden, helfen mir persönlich derzeit, die Lage der Kirche aus dem Blickwinkel Gottes besser zu verstehen. Darum habe ich einen dieser sieben Briefe heute als zweite Lesung bei unserer Wallfahrt ausgewählt. Laodizea ist zwar die einzige Gemeinde, die kein Lob, sondern nur Kritik bekommt. Dennoch endet der Brief mit einer großen Hoffnung und dem Ausblick auf die Teilnahme am himmlischen Hochzeitsmahl – an der endgültigen Gemeinschaft mit Gott. Demütig und zaghaft steht Gott selbst vor der Tür dieser Gemeinde und sagt ihr: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir.“ (3,20)

II.
Liebe Schwestern und Brüder,

immer wieder spricht unser Heiliger Vater Papst Franziskus von der neuen Evangelisierung, die für Europa und die Kirche in unserem Land nötig ist. Mit diesem Begriff fasst er zusammen, was man auch einfach so ausdrücken könnte: Ihr müsst neu anfangen, Maß zu nehmen am Evangelium. Ihr habt euch eingerichtet und angepasst. Man merkt gar nichts mehr von der Würze des Christlichen und vom Licht der Botschaft Jesu.

Es gilt also – so wie für die Gemeinden des Johannes damals – einfach neu zu hören, was der Geist Gottes uns heute zu sagen hat und vor allem: Wie ein solcher neuer Anfang im Geist des Evangeliums gelingen kann.

Ich nehme dazu den Brief an die Gemeinde in Laodizea zu Hilfe und entdecke darin drei Hinweise, die auch für uns im 21. Jahrhundert und in der augenblicklichen Lage der Kirche von Bedeutung sein können.

(1) Christus hält der Gemeinde als Erstes vor: „Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Daher, weil du lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“ Das ist ein hartes Gerichtswort! Es ist aber ein wichtiger Hinweis für das Leben als Christ und für unsere Kirche als ganze. Die größte Gefahr ist immer Halbherzigkeit, ist das Tragen auf zwei Schultern, ist die Gleichgültigkeit – das ist die hier so genannte Lauheit. „Ein bisschen katholisch ist schon gut – aber nur nicht übertreiben. Da fällt man ja auf…“, so denken wir vielleicht.

Der Geist Gottes wird uns immer zur Entschiedenheit rufen und nicht zur Lauheit. Solche Entschiedenheit fängt bei ganz kleinen Dingen an, z. B.: Beten wir vor dem Essen noch ein Tischgebet oder nicht? Gehen wir am Sonntag zum Gottesdienst oder nicht? Bin ich ehrlich bei meiner Steuererklärung oder nicht? Da gibt es kein „sowohl als auch“ – da gibt es nur „Ja“ oder „Nein“!

(2) Christus hält der Gemeinde als Zweites vor: „Du behauptest: Ich bin reich und wohlhabend und nichts fehlt mir…“ Ja, äußerlich kann alles wohl geordnet sein in der Kirche – Strukturen, Veranstaltungen, Personal, Gebäude, Kirchensteuer … aber innerlich kann etwas fehlen – die eigentliche Herzmitte: die Freundschaft mit dem Herrn, die unverwechselbare Beziehung zu Gott. Gottesdienste können zu religiösen Veranstaltungen werden, Treffen in der Pfarrei können beim „gemütlichen Beisammensein“ stecken bleiben…

Was fehlt uns? Dieser Frage gehen wir unter anderem auf dem synodalen Weg in Deutschland nach, dieser Frage möchte Papst Franziskus nachgehen in dem großen synodalen Prozess der ganzen Kirche, den er angestoßen hat.

Was uns derzeit fehlt, das muss uns wirklich der Geist Gottes zeigen und es ist zu hoffen, dass er auf offene Ohren bei uns stößt!

(3) Und noch etwas schreibt Johannes mit der Stimme Christi seiner Gemeinde ins Stammbuch: „Mach also ernst und kehr um!“ Wer getauft und gefirmt ist, der hat sich auf einen Lebensweg mit dem Herrn, auf seine Nachfolge, eingelassen.

Ich gestehe, es ist meine große Sorge, dass insbesondere die Vorbereitung auf die Sakramente für viele wie ein „Projekt“ ist, das man eben absolviert wie andere Projekte in der Freizeit. Und wenn die Erstkommunion oder Firmung vorbei ist, dann kann man das „abhaken“. Ich frage mich manchmal: Ist es beim Christsein nicht eigentlich so wie im Sport: Man trainiert doch –meist in einer Mannschaft -, um einmal beim großen Spiel, beim Wettkampf dabei zu sein und vielleicht sogar einen Sieg davon zu tragen?

Zum Leben eines Christen gehört regelmäßiges Training, denn hier geht es um ein großes Ziel, für das sich alle Mühe und Treue lohnt. Es geht um ein ewiges Ziel, das Johannes mit der Stimme Christi seiner Gemeinde so beschreibt: „Wer siegt, der darf mit mir auf einem Thron sitzen…“Mach also ernst und kehr um! Das ist die Mahnung, dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Nein, die Kirche ist kein Verein, der verschiedene „Projekte“ anbietet, bei denen man mitmachen kann – sie ist eine Gemeinschaft von Jüngerinnen und Jüngern des Herrn, die seinen Weg mitgehen wollen – manchmal auch durch Kreuz und Leid, aber ganz sicher einmal in die österliche Herrlichkeit.

III.

Liebe Schwestern und Brüder,
ich denke, Sie haben es bemerkt: die neue Evangelisierung fängt bei jedem von uns an – im eigenen Herzen. Denn: Bei mir selbst geht es darum,
- nicht lau zu sein, sondern entschieden – kalt oder heiß;
- ehrlich zu entdecken und zuzugeben, was mir noch fehlt im Christsein;
- und wirklich ernst zu machen - in den Sackgassen des Lebens umzukehren -, um des großen Zieles willen, auf das wir zugehen.

Auf einen solchen Weg der Erneuerung schickt uns und die ganze Kirche der Heilige Geist in dieser nicht einfachen Zeit. Wenn wir unsere Ohren nicht verschließen für das, was der Geist uns zu sagen hat, dann kann die Kirche auch aus der gegenwärtigen Krise erneuert und gestärkt hervorgehen. Es wird dann möglich sein, dass „die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient.“ (EG 27)

Allein dafür sind wir katholische Kirche hier in Brandenburg und Sachsen – um dieser unserer Welt etwas von Gott zeigen und vorzuleben. Möge die heilige Hedwig, die genau das in ihrer Zeit getan hat, dabei unsere große Fürsprecherin sein. Amen.

Foto: (c) Bistum Görlitz


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